Direkt zum Inhalt

Der Mathematische Monatskalender: Regiomontanus (1436–1476)

Regiomontanus (eigentlich Johannes Müller aus Königsberg) schuf astronomische Tafeln in bisher unerreichter Genauigkeit, war an der Wiederentdeckung der antiken griechischen Mathematik maßgeblich beteiligt und fand Neues in der sphärischen Trigonometrie.
Regiomontanus

Philipp Melanchthon, der Praeceptor Germaniae, gab ihm Jahrzehnte nach seinem Tod den Namen, unter dem wir heute einen der bedeutendsten Gelehrten des 15. Jahrhunderts kennen: Regiomontanus, der Königsberger. Er selbst, Johann Müller, Sohn eines vermögenden Mühlenbesitzers aus Königsberg (lateinisch: mons regius) in Unterfranken, schreibt sich im Alter von elf Jahren unter dem Namen Johannes Molitoris de Künigsperg an der Universität Leipzig ein, später nennt er sich Joannes de Monte Regio. Im Alter von 14 Jahren wechselt er an die Universität in Wien und wird Schüler des Astronomen Georg von Peuerbach. Zwei Jahre später erwirbt er den Grad eines Baccalaureus. Er muss allerdings fünf Jahre warten, bis er den Titel eines Magister artium führen darf (und damit die Lehrberechtigung an der Universität erhält), da die akademischen Regeln eine frühere Ernennung nicht zulassen.

Gemäß der Wissenschaftsauffassung des Humanismus, überlieferte Erkenntnisse grundsätzlich einer Prüfung zu unterziehen, führen Peuerbach und Regiomontanus eigene astronomische Messungen durch. Abweichungen bei den Positionen von Sonne, Mond und Planeten führen zur Revision der alphonsinischen Tafeln (um 1270 auf Anordnung von Alfons von Kastilien und León entstanden). Vor allem wählen sie Himmelskonstellationen aus, bei denen Planeten durch den Mond bedeckt werden (Okkulationen) sowie Mondfinsternisse, da dann die Messbedingungen besonders günstig sind. Da die Qualität einer Messung insbesondere von der Genauigkeit der verwendeten Messgeräte abhängt, macht es sich Regiomontanus zur Lebensaufgabe, astronomische Geräte selbst zu bauen und deren Genauigkeit zu verbessern.

Eine nicht unwesentliche Motivation, die astronomischen Daten zu verbessern, sind die Horoskope: Als Regiomontanus den Auftrag erhält, für die Braut des Kaisers Friedrich III. ein Horoskop zu erstellen, und seine Vorhersagen nicht eintreten, führt er dies auf die schlechte Qualität seiner Daten zurück: Die Astrologie ist für ihn ... ohne Zweifel die zuverlässigste Künderin des unsterblichen Gottes.

Um 1450 sendet der Universalgelehrte Nicolas Cusanus (Kardinal Nikolaus von Kues, 1401 – 1464) eine Abhandlung an seinen Freund Peuerbach, in der er darzustellen glaubt, wie die Umwandlung eines Kreises in ein flächengleiches Quadrat konstruiert werden kann (De circuli quadratura).

Regiomontanus wird von Peuerbach mit der Abfassung einer Entgegnung beauftragt. Als Cusanus weiter Schriften verfasst, in denen er wiederholt, dass eine solche Konstruktion möglich sei, und darunter auch ein konkreter Vorschlag ist, bei der die zugehörige Verhältniszahl von Umfang und Durchmesser außerhalb der Abschätzung des Archimedes liegt, reagiert Regiomontanus heftig: C. sei als Geometer eine lächerliche Figur; er habe aus Eitelkeit das Geschwätz in der Welt vermehrt.

Regiomontanus vergleicht und korrigiert die vorliegenden Übersetzungen der Elemente des Euklid und verfasst einen Kommentar dazu. Überhaupt ist er – wie viele Wissenschaftler der Renaissance – fasziniert von den Einsichten der Mathematiker der Antike, deren Erkenntnisse über die Jahrhunderte aus dem Bewusstsein der Wissenschaft verloren gegangen sind. Nach seinem Tod findet man in seinen Unterlagen unter anderem Abschriften von Texten, die von Archimedes, Apollonius von Perge, von den Brüdern Banu Musa und von Thabit Ibn Qurra verfasst wurden.

Entscheidend für seinen weiteren Lebensweg ist die Begegnung mit einem der bedeutendsten Gelehrten des Humanismus, Basilius Bessarion (1403 – 1472). Als Vertreter der griechisch-orthodoxen Kirche hatte dieser sich vergeblich um eine Wiedervereinigung mit der Kirche Roms bemüht. Nach dem Scheitern der Verhandlungen macht er in der römischen Kurie Karriere, wird zum Kardinal ernannt und wirbt jetzt als päpstlicher Legat in Wien um Unterstützung für den Kampf gegen die Türken, die 1453 Konstantinopel erobert hatten.

Bessarion ist unter anderem im Besitz einer Abschrift des Almagest des Ptolemäus. Er bittet Peuerbach, ihn bei der Übersetzung dieses Werks zu unterstützen. Nach dem plötzlichen Tod seines Lehrers im Jahre 1461 übernimmt Regiomontanus die weitere Übersetzung des Werks. Er tritt in den Dienst des Kardinals ein und begleitet ihn nach Rom. So gerät er auch in eine Auseinandersetzung mit Georg von Trapezunt, dessen Almagest-Übersetzung und -Interpretation Bessarion für fehlerhaft hält.

Zwei Jahre lang lebt Regiomontanus im Palast des Kardinals und nutzt dessen umfangreiche Bibliothek, die eine Fülle von Schriften von Wissenschaftlern der Antike und des islamischen Kulturkreises umfasst. Dann begleitet er Bessarion, der zum päpstlichen Legaten bei der Republik Venedig ernannt worden ist, auf dessen Reise. An der Universität zu Padua hält er eine Vorlesung über den persischen Astronomen Al-Farghani (Alfraganus).

Als Papst Pius II. stirbt, kehrt Bessarion zur Papstwahl nach Rom zurück. Hier knüpft Regiomontanus vielfältige Kontakte, darunter zu Martin Bylica, dem Hofastronomen des ungarischen Königs, der eine Einladung nach Ungarn vermittelt.

König Matthias Corvinus von Ungarn hatte gerade einen Feldzug gegen die Türken geführt, bei dem unter anderem zahlreiche wertvolle antike Schriften erbeutet wurden. Eine dieser Schriften ist eine unvollständige Kopie der Arithmetica des Diophant.

Regiomontanus ist von dem Inhalt des Fragments so angetan, dass er seine Kontakte zu anderen Wissenschaftlern zu nutzen versucht, um an eine vollständige Kopie der Schrift zu gelangen  in der Absicht, das Werk dann als Ganzes zu übersetzen. Eine solche vollständige Kopie ist bis heute nicht gefunden worden; Regiomontanus ist es jedoch zu verdanken, dass in Europa wieder ein Interesse an den Schriften des Diophant entsteht.

Während seines Aufenthalts in Ungarn vollendet er die Arbeit an neuen Sinustafeln (Compositio tabularum sinuum), zunächst – wie üblich – im Sexadezimalsystem, wobei als Kreisradius 600'000 Einheiten angenommen werden. Einige Jahre später erscheinen dann auch Tafeln im 10er-System. Da eine Dezimalschreibweise noch nicht entwickelt ist, beziehen sich die ganzzahligen Werte der Tafel auf einen Kreis mit Radius 10'000'000 Einheiten. Damit übertreffen sie die Tafeln von Peuerbach und dessen Vorgänger an der Wiener Universität, Johannes von Gemunden, und ermöglichen so auch genauere Rechnungen.

Endlich kann Regiomontanus auch die Übersetzung des Almagest unter dem Titel Epytoma in almagestum Ptolomei fertigstellen. Die Schrift ist mehr als eine bloße Übersetzung des Ptolemäus'schen Werks. Sie enthält eine Reihe kritischer Anmerkungen, Korrekturen bei den Rechnungen und Ergänzungen durch Beobachtungen, die erst in der Zeit nach Ptolemäus erfolgt sind. Das Buch erscheint posthum im Jahr 1496 in Venedig; es erregt große Aufmerksamkeit in Wissenschaftskreisen, darunter auch bei Nikolaus Kopernikus, der sich von 1496 bis 1500 als Student an der Universität Bologna aufhält. Die kritischen Ergänzungen, die teilweise noch von Peuerbach stammen, bilden die Grundlage für eine Revision des Weltbildes, die dann von Kopernikus vorgenommen wird.

Während seiner Arbeit am Almagest-Kommentar und dem Studium der Arbeiten von Mathematikern des islamischen Kulturkreises realisiert er, dass es keine systematische Abhandlung gibt, in der alle mit der Berechnung von Dreiecken zusammenhängenden Fragestellungen enthalten sind. Nach gründlichen Recherchen erscheint 1464 De triangulis omnimodis libri quinque. Es umfasst fünf Bücher (Kapitel) und ist ähnlich wie die Elemente des Euklid aufgebaut. Das erste Kapitel enthält die Grundbegriffe und Axiome sowie Sätze zur Dreieckslehre. Im zweiten Kapitel führt er in die Methoden der ebenen Trigonometrie ein; es enthält den Sinus-Satz sowie eine Methoden, wie man aus den Längen zweier Seiten und der Größe des eingeschlossenen Winkels den Flächeninhalt des Dreiecks berechnen kann. Die übrigen drei Kapitel beschäftigen sich mit der Lösung von Problemen aus der sphärischen Trigonometrie, darunter auch der von Regiomontanus entdeckte Seiten-Kosinus-Satz: Aus zwei Seiten und dem eingeschlossenen Winkel kann die dritte Seite bestimmt werden: \(\cos(a) = \cos(b) \cdot \cos(c) + \sin(b) \cdot \sin(c) \cdot \cos(\alpha)\) (oder zyklische Vertauschung der Variablen \(a, b, c\) beziehungsweise \(\alpha, \beta, \gamma\)).

Um 1471 beantragt er, Bürger der freien Reichsstadt Nürnberg zu werden, zu dieser Zeit neben Köln und Prag eine der bedeutendsten Städte des Heiligen Römischen Reiches. Hier richtet er sich ein Observatorium nach seinen Vorstellungen ein, dazu eine Werkstatt, in der Sonnenuhren, Astrolabien und Armillarsphären und anderes mehr für astronomische Beobachtungen gebaut werden. Mithilfe eines von ihm weiterentwickelten Jakobsstabes kann er 1472 Messungen zu der Bahn eines Kometen durchführen (De cometae magnitudine, longitudineque, ac de locus eius vero problemata).

Regiomontanus erkennt sehr schnell die Bedeutung des von Johannes Gutenberg erfundenen Buchdrucks. Er richtet in seinem Haus eine eigene Druckerei ein und entwirft Pläne für zukünftige Publikationen – so wird er der erste Herausgeber wissenschaftlicher Literatur in Europa. Als Erstes lässt er die Nova theoria planetarum seines Lehrers Peuerbach drucken, als Nächstes einen eigenen Kalender. In diesem berechnet er das Osterdatum nach geltendem Verfahren und nach astronomischen Gesichtspunkten und zeigt den zunehmenden Unterschied auf. 1474 gibt er die Ephemerides (Sterntafeln, wörtlich: Tagebücher) für den Zeitraum bis 1506 heraus. Er beschreibt darin die Methode, wie man aus dem Zeitpunkt einer Mondfinsternis die geografische Länge des Beobachtungsortes bestimmen kann. Die Ephemerides gehören zu den Büchern, die Christopher Columbus und Amerigo Vespucci bei ihren Entdeckungsreisen mit sich führen; allerdings scheitert Kolumbus zweimal (1494 und 1504) bei dem Versuch, die Methode des Regiomontanus bei der Längengradbestimmung seines Aufenthaltsortes in der Karibik anzuwenden.

Aufgrund der oben angegebenen Kalenderberechnungen lädt ihn Papst Sixtus IV. ein, an der überfälligen Kalenderreform mitzuwirken. Es werden aber noch mehr als 100 Jahre vergehen, bis diese endlich durchgeführt wird. Als im Januar 1476 der Tiber über seine Ufer tritt, bricht in Rom eine Pestepidemie aus, deren Opfer vermutlich auch Regiomontanus wird. Es hält sich aber auch das Gerücht, dass er von den Söhnen von Georg von Trapezunt vergiftet worden sei – hatte er doch vor seiner Abreise nach Rom angekündigt, eine Schrift herauszugeben, in der dargestellt ist, dass dessen Übersetzung und Kommentar zum Almagest äußerst fehlerhaft sei.

Der Nachlass des Regiomontanus wird von seinem Freund, Helfer und finanziellem Unterstützer Bernhard Walther gewissenhaft verwaltet, begonnene Projekte werden von ihm zu Ende geführt. Als Walther dann 1504 ohne Nachkommen stirbt, kümmert sich niemand mehr um die Einrichtung des Observatoriums und um die wertvollen Bestände der privaten Bibliothek. 1509 wird das geplünderte Haus von Albrecht Dürer erworben.

Regiomontanus (1436 – 1476)

Datei herunterladen
PDF (2.0 MB)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.