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Lexikon der Biologie: Polygamie

Polygamiew [von griech. polygamia = Vielweiberei], 1) Botanik: bei Höheren Pflanzen das Auftreten von „eingeschlechtlichen“ (staminaten [♂] oder karpellaten [♀]) Blüten neben Zwitterblüten (staminokarpellate Blüten) bei der gleichen Art; z.B. andromonözisch (staminate und staminokarpellate) bei Veratrum album (Weißer Germer; Andromonözie), gynodiözisch (karpellate und staminokarpellate) bei Thymus serpyllum (Feld-Thymian; Gynodiözie) oder triözisch (karpellate, staminate und staminokarpellate) bei Fraxinus (Esche; Dreihäusigkeit). 2) Zoologie: „Vielehe“, sexuelle Beziehung eines Individuums zu mehreren Partnern anderen Geschlechts (Paarbindung). Evolutionsbiologisch zeichnen sich polygame Populationen, verglichen mit monogamen Populationen (Monogamie), durch eine größere Varianz des geschlechtstypischen Fortpflanzungserfolgs aus, d.h., ein Geschlecht ist stärker an der genetischen Reproduktion (Fortpflanzung) beteiligt als das andere. Am weitaus häufigsten unter sexuellen Organismen verbreitet ist Polygynie, d.h. die sexuelle Partnerschaft eines Männchens mit mehreren Weibchen (soziologisch betrachtet). In diesem Fall ist die Varianz des Fortpflanzungserfolgs innerhalb der Männchen sehr groß, weil einige Männchen einen sehr großen Fortpflanzungserfolg haben, während die anderen Männchen wenig bis gar keinen Fortpflanzungserfolg aufweisen (Beispiel: Harem). Eine mögliche Erklärung dafür, daß Weibchen sich auf Polygynie „einlassen“, liefert das Polygynie-Schwellenmodell, wenn Weibchen ein Territorium benötigen, das bestimmte Ressourcen liefert. Ist die Qualität der Territorien unterschiedlich, dann kann es sich für ein Weibchen lohnen, statt ein Männchen in einem schlechten Territorium zu wählen (und monogam zu leben), ein Männchen zur Verpaarung auszusuchen, das in einem deutlich besseren Territorium lebt, aber bereits mit einem zweiten Weibchen verpaart ist. – Es werden verschiedene Polygynie-Systeme unterschieden. Bei der Weibchenverteidigungs-Polygynie gelingt es Männchen, die Weibchen gegen Konkurrenten zu verteidigen, weil die Weibchen aus einem bestimmten Grund (Raubdruck, Nahrungsangebot, Nistplätze usw.) an einem Ort versammelt sind. Bei der Ressourcenverteidigungs-Polygynie kontrollieren Männchen den Zugang zu Ressourcen, die von Weibchen benötigt werden. Bei der Lek-Polygynie (Lek-Paarung) verteidigen Männchen kleine Paarungsreviere, die von den Weibchen aufgesucht werden. Die opportunistische Polygynie entsteht, wenn es Männchen nicht gelingt, entweder Weibchen oder Ressourcen zu monopolisieren, was zu einer Art Wettlauf zwischen den Männchen um Verpaarungen führt (scramble competition polygynie); ein Beispiel ist die explosive breeding assemblage. Die Polyandrie (sexuelle Partnerschaft eines Weibchens mit mehreren Männchen) ist sehr selten und fast nur von einigen Vogelarten bekannt (aber auch bei Wasserläufer, Braunrücken-Tamarin und Mensch). Es gibt Formen der Polyandrie, bei denen Weibchen mit mehreren Männchen verpaart sind, weil sie eine Mindestmenge an Sperma zur Befruchtung benötigen (Fertilitätssicherungs-Polyandrie; z.B. bei Drosophila melanogaster) oder von Sperma mit unterschiedlicher genetischer Ausstattung profitieren („better-sperm“-Polyandrie). In vereinzelten Fällen teilen sich mehrere Männchen die Vaterschaft und beteiligen sich an der Brutpflege (kooperative Polyandrie, beim Menschen auch fraternale Polyandrie). Außerdem gibt es die opportunistische Polyandrie, bei der das Weibchen Ressourcen z.B. in Form von Hochzeitsgeschenken von mehreren Männchen erhält. – Probleme bei der Beschreibung von Polygamie treten immer dann auf, wenn keine klaren Aussagen zu beiden Geschlechtern innerhalb einer Population gemacht werden. Grundsätzlich muß klargestellt sein, ob eine Aussage sich auf das gesamte Fortpflanzungssystem bezieht oder auf das Fortpflanzungsverhalten eines Geschlechts. Bestehen innerhalb einer Population Bindungen über einen gewissen Zeitraum zwischen Männchen zu mehreren Weibchen und zwischen Weibchen zu mehreren anderen Männchen, wird das Paarungssystem als polygynandrisch bezeichnet, gibt es keine Bindungen, als promisk (Promiskuität). – Polygamie kommt im Gegensatz zur Monogamie vor allem bei Arten vor, bei denen sich das polygame Geschlecht nicht an der Brutpflege beteiligt. Es kann dann Zeit und Energie auf die Verteidigung der Partner (meist der Weibchen) und eines ausreichenden Territoriums verwenden. Zeitlich gesehen, geht ein Männchen entweder eine dauerhafte Bindung mit mehreren Weibchen ein (Harem), oder es kopuliert nacheinander mit mehreren Weibchen. Es gibt auch fakultative Polygamie unter besonders günstigen Umständen, z.B. beim Zaunkönig oder der Prärieammer: in diesen Fällen gelingt es dem Männchen, ein für 2 Nester mit 2 Weibchen geeignetes Revier zu besetzen. Arten mit Polygamie zeigen meist einen ausgeprägten Sexualdimorphismus, wobei das polygame Geschlecht größer ist und/oder die auffälligeren Merkmale zeigt. Beispiele sind bei Säugetieren sehr zahlreich, z.B. der dauerhafte Harem der Mantel-Paviane oder der kurzzeitig bestehende Harem des Rothirschs, die Paarung mit mehreren Ricken nacheinander beim Rehbock usw. Eine klassische Arbeit zur Heckenbraunelle von N.B. Davies in den 1980er Jahren zeigt, wie variabel das Fortpflanzungs- und Bindungsverhalten innerhalb einer Population sein kann. Je nach den Randbedingungen zeigen Männchen wie Weibchen monogames wie polygames Fortpflanzungsverhalten. Familienverband.

R.B./H.H./J.Be./M.A.

Lit.:Davies N.B.: Dunnock Social Behaviour and Evolution. Oxford 1992.

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