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Lexikon der Biochemie: Tumorviren

Tumorviren, Krebsviren, onkogene Viren, Viren, die bei Tieren maligne Tumore hervorrufen. Es sind nur wenige T. bekannt, die bei Menschen maligne Tumore verursachen. Die Virusinfektion kann auch als ein "Risikofaktor" betrachtet werden, der zusammen mit anderen Einflüssen (chemische, genetische, hormonale, physikalische) an der Entwicklung eines malignen Tumors beteiligt ist. Dies bedeutet, dass die Tumorgenese durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden kann. T. findet man sowohl unter Retroviren als auch unter allen Hauptgruppen der tierischen DNA-Viren, insbesondere den Papova-, Adeno- und Herpesviren. T. verursachen bei in vitro kultivierten Zellen auch eine maligne Transformation – ein Phänomen, das mit verändertem Wachstum und veränderter Vermehrung verknüpft ist. Nach der malignen in-vitro-Transformation gehen einige Zellen nach der Transplantation in geeignete Wirtstiere in malignes Wachstum über und stellen so ein in-vitro-Modell für Carcinogenese dar. Zahlreiche Viren (z.B. Human-Adenoviren), die Humanzellen in vitro transformieren, wirken im Humanorganismus jedoch nur selten carcinogen. Andererseits transformieren einige onkogene Viren (z.B. die chronischen Onkornaviren oder der Hepatitis-B-Virus) Humanzellen nicht in vitro.

Das Genom beinahe aller T. kann in das Genom der Wirtszelle durch nichthomologe Rekombination inkorporiert werden. Dies trifft auch auf onkogene RNA-Viren (Onkornaviren) zu, die wie andere Retroviren eine RNA-abhängige DNA-Polymerase (Revertase, reverse Transcriptase) für die Synthese virusspezifischer doppelsträngiger DNA besitzen. Die Inkorporation der Virus-DNA führt zu regulärer Replikation und Übertragung des Virusgenoms auf alle nachfolgenden Generationen, d.h. die maligne Entdifferenzierung erhält eine genetische Basis. Zumindest im Fall der chronischen Onkornaviren scheint die Integration des Provirus für die anschließende maligne Transformation (s. u.) notwendig zu sein. Die Pro-Onkoviren haben große Ähnlichkeit mit springenden Genen. Obwohl die Pro-Viren aller T. sich anscheinend wie die Prophagen temporärer Bakteriophagen verhalten, konnte bisher keine analoge Repressoraktivität in T.-infizierten Zellen nachgewiesen werden.

Jeder T. wirkt nur in bestimmten Tierarten und gewöhnlich nur in spezifischen Organen und Geweben onkogen. Wenn ein Virus mit malignem Wachstum in Verbindung steht, vermehrt es sich in den betroffenen Zellen in der Regel nicht, d.h. die Zellen sind für den betreffenden Virus nichtpermissiv. Die meisten T. rufen spezifische Krebsarten hervor (oder tragen zu deren Entwicklung bei), so verursacht z.B. der Papilloma-Virus Hauttumore, während der Hepatitis-B-Virus einen Faktor bei der Entwicklung von Leberkrebs darstellt. Dass bei der Carcinogenese viele Faktoren eine Rolle spielen, wird besonders im Fall des Epstein-Barr-Virus (EBV) deutlich. Bei nichtimmunen Personen in Europa und Nordamerika ruft dieses Virus eine benigne Fieberkrankheit hervor, die sog. infektiöse Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber). In Afrika und Papua Neuguinea führt eine Kombination aus einer Infektion durch das Malariaplasmodium Plasmodium falciparum und einer durch EBV verursachten Chromosomenmutation zur Entwicklung eines malignen Tumors, des sog. Burkittschen Lymphoms (ein B-Lymphozyten-Krebs). In Südchina und Grönland ruft EBV in Kombination mit anderen unbekannten Faktoren (Histokompatibilitäts-Phänotyp? Verzehr von gesalzenem Fisch in der Kindheit?) maligne Tumore des Nasen-Rachen-Raums hervor. Für die maligne Transformation oder Carcinogenese gibt es keinen einheitlichen Mechanismus. Der Vorgang kann sogar zwischen Vertretern der gleichen Virusgattung unterschiedlich sein. Beispielsweise ist für die onkogene Wirkung des Polyoma-Virus, dem Maus-Papova-Virus, das Genprodukt verantwortlich, während dieses Genprodukt beim Affenvirus SV 40, der zur gleichen Gattung gehört, vollständig abwesend ist.

Für die Virus-induzierte Carcinogenese sind mindestens drei prinzipielle Mechanismen möglich:

1) Virus-spezifische Gene und deren Produkte sind direkt für die onkogene Wirkung verantwortlich, z.B. im Fall der Polyoma- und Adenoviren.

2) Ein zelluläres Onkogen (c-onc) oder Proto-Onkogen wird durch T. aktiviert. Dies ist die Wirkungsweise der Retroviren, die als chronische Onkornoviren bekannt sind und kein virales Onkogen besitzen. Die Aktivierung erfolgt, wenn das Provirus in das Wirtsgenom nahe oder sogar innerhalb des Proto-Onkogens inkorporiert wird. Der Aktivierungsprozess des zellulären Onkogens wird Insertions-Mutagenese genannt. Onkogenese kann ebenso durch eine Virus-induzierte Chromosomen-Modifizierung aktiviert werden.

3) Der Virus bringt ein virales Onkogen (v-onc) in die Zelle ein, wie z.B. im Fall der Onkorna-Viren. Das virale Onkogen ist zu einem von 15-20 zellulären onc-Genen homolog und wurde im Verlauf der Virus-Evolution von einem Wirtsgenom in das Virus-Genom inkorporiert. Der Prototyp eines solchen akuten Onkorna-Virus ist das Rous-Sarkoma-Virus, das erste entdeckte T. (Peyton Rous, 1911; Rous erhielt für diese Entdeckung 1966 den Nobelpreis). Das Onkogen des Rous-Sarkoma-Virus ist das src-Onkogen, das für eine Protein-Kinase codiert. Bei der Umwandlung eines Proto-Onkogens in ein Onkogen durch Inkorporation in ein Retrovirus kann die Gensequenz verändert oder unterbrochen werden, so dass es für ein Protein mit anormalen Eigenschaften codiert. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass das Gen innerhalb des Virus-Genoms unter die Steuerung eines starken Promotors und Verstärkers gerät, wodurch das Genprodukt entweder im Überschuss produziert oder gebildet wird, wenn es nicht benötigt wird. Oft treten beide Effekte (Genmodifizierung und Überproduktion des Genprodukts) auf.

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