Wahrnehmung: Warum wecken Gerüche oft intensive Erinnerungen?
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an einem Sommerabend mit Freunden um ein herrliches Lagerfeuer versammelt. Plötzlich macht sich ein Gefühl in Ihnen breit, das von Wehmut und Trauer allmählich in eine warme, wohlige Empfindung übergeht – und Sie haben das Bild Ihres verstorbenen Großvaters vor Augen. Sie fühlen sich zurückversetzt in Ihre Kindheit und erinnern sich intensiv daran, wie Sie einst mit Ihrem Opa an solch einem Feuer saßen, Zweige zurechtschnitten und Stockbrot in die Flammen hielten, während er Ihnen Geschichten erzählte.
Wodurch wurde nun diese Erinnerung in Ihnen ausgelöst? Wenig später bemerken Sie, dass jemand heiße Kartoffeln aus der Glut geholt hat und es wunderbar danach duftet. Genau so war es auch damals mit Ihrem Großvater!
Der Geruch hat hier eine lange vergessen geglaubte Erinnerung geweckt, und zwar in ähnlicher Weise, wie es der Ich-Erzähler in Marcel Prousts berühmtem Roman »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« berichtet. Darin löst eine in Tee getunkte Madeleine eine intensive Rückschau in die eigene Kindheit aus, weshalb man das Phänomen auch als »Proust-Effekt« bezeichnet.
Warum aber wecken Gerüche oft so lebhafte Erinnerungen? Oder ist das etwa nur ein Gerücht? Denn betrachtet man die wissenschaftlichen Studien zum Thema, so stellt man fest, dass durch Düfte evozierte Erinnerungen tatsächlich gar nicht lebhafter sind als solche, die durch andere Reize wie Wörter oder Bilder angestoßen werden. Allerdings bestätigt die Forschung, dass sich geruchsassoziierte Erinnerungen in anderen Aspekten durchaus von sonstigen unterscheiden: Sie reichen häufig besonders weit zurück, sind emotionaler und im Schnitt auch positiver gefärbt.
Eine Erklärung dafür lautet: Unser Geruchssinn ist neuroanatomisch grundlegend anders verschaltet als alle übrigen Sinne. Die primäre Region für die Geruchswahrnehmung ist eng verknüpft mit Hirnarealen, die für die Verarbeitung emotionaler Reize zuständig sind, wie auch mit solchen, die Gedächtnisspuren speichern. Viele Forscher betrachten dies als biologische Grundlage dafür, dass geruchsassoziierte Erinnerungen häufig emotional aufgeladen sind und Erlebnisse, die mit Gerüchen assoziiert sind, meist besonders schnell und dauerhaft im Gedächtnis haften bleiben.
Aber wieso holen Düfte auch lange zurückliegende Erlebnisse hervor? Es gibt verschiedene Ideen, was die psychologischen Ursachen hierfür sein könnten. Womöglich sind uns Gerüche in den frühen Lebensjahren einfach stärker präsent und ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich, weshalb entsprechende Erinnerungen durch Gerüche leichter wieder ausgelöst werden. Zudem sind Erinnerungen aus der Kindheit tendenziell positiver. Diese Erklärung bezieht sich insbesondere auf die Phase des Erlebens und Abspeicherns des Erlebten.
Einer anderen Theorie zufolge liegt die Ursache eher im Akt des Gedächtnisabrufs: Der Moment des Wiedererlebens könnte selbst gefühlsgeladen sein, und man schreibt dann diese Emotion fälschlicherweise der Erinnerung zu. Welche Hypothese zutrifft, ist allerdings nicht abschließend geklärt.
Die Forschung hat also noch eine Menge offene Fragen zu beantworten, was unter anderem daran liegt, dass sich Gerüche nur sehr schwer gezielt einsetzen lassen, um den Proust-Effekt im Labor zu erzeugen. Schließlich sind Erinnerungen und deren Auslöser hochgradig individuell und subjektiv. Umso schöner, wenn sie uns ganz unerwartet im Alltag zum Schwelgen bringen!
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.