Freistetters Formelwelt: Mit Mathematik zu besserem Fußball
Dass Wissenschaft im modernen Spitzensport eine wichtige Rolle spielt, ist wenig überraschend. Wenn es um Materialforschung oder Sportmedizin geht, liegt die Relevanz auf der Hand. Bei mathematischen Formeln wie der folgenden dagegen erkennt man den Wert vielleicht erst auf den zweiten Blick:
Die beiden Gleichungen stammen aus der Arbeit »Estimating the probability of a shot resulting in a goal: The effects of distance, angle and space«, die Richard Pollard, Jake Ensum und Samuel Taylor 2004 im »International Journal of Soccer and Science« veröffentlicht haben. Es war eine der ersten ausführlichen Arbeiten, die sich mit dem Konzept der »expected goals (xG)« beschäftigt haben. Es geht dabei – wenig überraschend – um die mathematische Darstellung der Chancen, ein Tor beim Fußball oder anderen Sportarten zu erzielen.
Die Forscher analysierten die Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft 2002 und versuchten die Faktoren zu identifizieren, die beeinflussen, ob ein Schuss aufs Tor danebengeht oder nicht. Aus der ursprünglichen Liste von zwölf Parametern konnten sie fünf isolieren, die besonders relevant waren: der Abstand zum Tor, der Winkel zum Tor, der Abstand des Schützen zum nächsten Verteidiger, ob der Ball durch eine Flanke zum Schützen gekommen ist und wie viele Spieler sich zwischen Schützen und Tor befinden.
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In der oben angesprochenen Arbeit wurden danach auch Daten einer früheren Fußball-Weltmeisterschaft einbezogen. Diese zeigten, dass eigentlich nur die ersten drei Parameter der Liste wirklich wichtig sind. Und sie sind es, die in der Formel auftauchen: Der Abstand d zum Tor (der in »Yard« angegeben wird, immerhin ist es ja eine US-amerikanische Arbeit), der Winkel a und der Parameter s (der gleich 0 ist, wenn zwischen Schütze und Verteidiger weniger als ein Meter Platz ist und sonst den Wert 1 hat).
Mit jedem Meter steigt die Trefferwahrscheinlichkeit um 15 Prozent
Die drei Forscher berechnen in der Arbeit das Beispiel eines Schusses aus 15 Yard (zirka 13 Meter) Entfernung, unter einem Winkel von 20 Grad und ohne Verteidiger in der Nähe. Dann folgt y = −1,649 und eine Wahrscheinlichkeit p für ein Tor von 0,16, also 16 Prozent. Die Formel zeigt, dass die Trefferwahrscheinlichkeit für jeden Meter, den man sich näher am Tor befindet, um 15 Prozent steigt. Und sie verdoppelt sich, wenn man es schafft, die Verteidiger auf Abstand zu halten.
Es mag ein wenig sinnfrei erscheinen, diese fußballerischen Trivialitäten in mathematische Formeln zu packen. Und das ist es in der Praxis auf dem Feld vermutlich auch. Man braucht keine komplexe Mathematik, um zu wissen, dass man am leichtesten ein Tor schießen kann, wenn man direkt davorsteht und keine Verteidiger in der Nähe sind. Wenn die Spieler über den Platz laufen, tun sie das auf Grund der gerade herrschenden Dynamik und rechnen dabei nicht die optimalen Schusswinkel und Abstände aus.
Doch wenn es darum geht, eine große Anzahl an Spielen nachträglich zu analysieren und aus den Daten Hinweise für künftige Strategien oder Trainingspläne zu gewinnen, dann kann ein Konzept wie das der »expected goals« durchaus sinnvoll sein. Vor allem, weil die Mathematik hinter dem Fußball deutlich komplexer geworden ist: Es gibt Modelle, die Passverhalten und Ballbesitz mit Markov-Ketten modellieren. Man verwendet Kerndichtenschätzung, um die Verteilung der Spieler am Feld oder die Positionen des Balls zu visualisieren, oder die Spieltheorie, um Strategien beim Elfmeterschießen einzuschätzen.
Abseits des Spielfelds spielt die Mathematik eine wichtige Rolle. Am Rasen gilt aber vermutlich weiterhin vor allem: Das Runde muss ins Eckige.
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