Waldsterben: Die vergessene Krise
Es begann in Australien: Anfang 2020 standen riesige Wald- und Buschgebiete auf dem fünften Kontinent in Flammen. Mitunter verbrannten komplette Nationalparks, und selbst feuchte Ökosysteme wie Schluchtwälder, die unter normalen Bedingungen kein Feuer fangen, wurden vernichtet. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Regionen je wieder davon erholen.
Seit dem Frühjahr folgt Sibirien: Angetrieben durch eine wochenlange Hitze- und Trockenperiode vernichtete Feuer eine Waldfläche von der Größe Griechenlands. Manche Brände schmorten in den dicken Torfschichten der Region sogar über den letzten Winter hinweg, bevor sie 2020 wieder mit neuer Macht offen ausbrachen. Ein Phänomen, das manche Wissenschaftler mittlerweile als »Zombiefeuer« bezeichnen.
Und nun steht die Brandsaison in Amazonien an. Alle Daten bisher deuten darauf hin, dass sie noch schlimmer ausfallen könnte als jene von 2019, die wiederum eine der heftigsten seit Jahren war und weltweit Empörung auslöste. Knapp 7000 Brände zählte das brasilianische Forschungsinstitut INPE im Juli: ein Anstieg um mehr als ein Viertel verglichen mit dem gleichen Zeitraum im Vorjahr. In den Reservaten von Indigenen nahm die Zahl der Brände sogar um 77 Prozent zu, in Naturschutzgebieten um die Hälfte. Und das, obwohl der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro Anfang Juli ein 120-tägiges Brandrodungsverbot in Amazonien und dem Pantanal (wo ebenfalls riesige Flächenbrände wüten) erlassen hat.
Die Weltöffentlichkeit ist abgelenkt
Doch die Geister, die Bolsonaro rief, wird er so einfach nicht mehr los: Seine Regierung hat den Umwelt- und Indigenenbehörden Gelder gestrichen und Kompetenzen entzogen. Sein Umweltminister spricht sich für die industrielle Entwicklung Amazoniens aus, bei der indigene Völker oder Schutzgebiete nur stören. Angeheizt durch die präsidiale Rhetorik dringen Viehzüchter, Sojafarmer und Goldgräber in Stammesgebiete vor und scheuen auch vor Mord und Totschlag nicht zurück. Konsequenzen müssen sie nur selten fürchten. Ob der angekündigte Einsatz des Militärs die Brandschatzung im noch größten Regenwald der Erde eindämmen kann, ist fraglich.
Anders als 2019 starrt die Öffentlichkeit zudem mit Schrecken auf eine andere globale Krise: die Covid-19-Pandemie, der auch die indigene Bevölkerung Amazoniens praktisch schutzlos ausgeliefert ist. Die Brände könnten die Seuche noch dramatischer machen, warnen Wissenschaftler. Die Feinstaubbelastung, die 2019 sogar noch in der weit südlich gelegenen Millionenmetropole São Paulo durch die Feuer messbar anstieg, erhöht die Zahl der Krankenhausaufenthalte und macht schwere Krankheitsverläufe durch Covid-19 wahrscheinlicher. Dabei ist Brasilien bereits jetzt das durch die Krankheit am zweitstärksten betroffene Land der Erde. Und auch in Südostasien, wo die Feuersaison auf den indonesischen Inseln bald beginnt, könnte die Gesundheit dadurch doppelt leiden.
Die langfristigen Folgen könnten fatal sein
Langfristig sind die Konsequenzen wohl noch verheerender: Die Feuer in Brasilien, Australien, Indonesien oder Russland setzen mehr Kohlendioxid frei, als viele Staaten in einem Jahr ausstoßen. Gleichzeitig fallen die Wälder als Kohlenstoffsenke aus, vor allem wenn sie zu Plantagen oder Viehweiden umgewandelt werden und sich nicht mehr regenerieren dürfen. Für das Amazonasgebiet diskutieren Wissenschaftler, wann die Entwaldung so weit fortgeschritten ist, dass große Teile des Ökosystems kippen und zur Savanne werden. All das treibt den Klimawandel an und erschwert den Klimaschutz.
Feuchte Luft aus dem Amazonasbecken liefert zudem einen großen Teil der Niederschläge weiter südlich. Doch die Entwaldung zerstört diesen Prozess. Schon heute legen Datenreihen nahe, dass die Regenmengen in Teilen Brasiliens wegen der Abholzung abnehmen und die Ernteerträge reduzieren. In Australien werden ähnliche Zusammenhänge angenommen.
Die Welt darf also trotz Corona nicht einfach zusehen, wenn weiter großflächig Wälder zu Asche werden. Einzig und allein der Druck von Großkonzernen und internationaler Politik hat zum Beispiel dafür gesorgt, dass Jair Bolsonaro überhaupt erste Schritte zur Eindämmung der Waldvernichtung in Amazonien unternommen hat. Die Europäische Union darf demnach nicht während der laufenden deutschen Ratspräsidentschaft das Freihandelsabkommen mit den vier südamerikanischen Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay (beide ebenfalls ein Hotspot der Entwaldung) und Uruguay durchwinken, wenn sich diese Staaten nicht gleichzeitig zu nachhaltigen Maßnahmen zum Schutz ihrer Wälder verpflichten. Und dieser scheint machbar: Schließlich sind laut einer Studie in »Science« nur zwei Prozent der Agrarunternehmen für 62 Prozent aller illegalen Rodungen im Amazonas-Regenwald und im angrenzenden Cerrado-Ökosystem verantwortlich. Es ist also im Gegensatz zur Coronakrise keine Herkulesaufgabe.
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