Die fabelhafte Welt der Mathematik: Einfaches Multiplizieren: Parabeln, Primzahlen und sichere Passwörter
Jahrelang haben uns quadratische Funktionen in der Schule geplagt: von binomischen Formeln über die Geometrie von Parabeln bis hin zur beschleunigten Bewegung in der Physik. Doch tatsächlich haben die Graphen quadratischer Funktionen auch einen Nutzen, der häufig verschwiegen wird. Sie können dabei helfen, zwei Zahlen miteinander zu multiplizieren. Und vielleicht noch erstaunlicher: Die Idee lässt sich weiterspinnen und bildet einen wichtigen Zweig der Kryptografie.
Diese oft unerkannten Fähigkeiten quadratischer Funktionen kann man im Mathematikum in Gießen bewundern. Dort steht eine Parabel der Form x2, an der Schnüre befestigt sind. Möchte man herausfinden, was drei mal vier ergibt, dann befestigt man das eine Ende einer Schnur an dem Punkt auf der Parabel mit x-Koordinate minus drei (y = 9). Das andere Ende der Schnur hängt man an einen Punkt mit der x-Koordinate vier (y = 16) und zieht sie fest. Die Schnur bildet nun eine Gerade, welche die y-Achse im Punkt zwölf schneidet. Zufall? Probieren Sie es ruhig aus.
Dafür muss man nicht einmal natürliche Zahlen betrachten. Man kann auf diese Weise beliebige Zahlen auf dem Zahlenstrahl miteinander multiplizieren. Zu beweisen, dass dieser Zusammenhang immer gilt, ist relativ einfach. Angenommen, man möchte zwei beliebige Zahlen a und b miteinander multiplizieren. Wenn man so vorgeht wie zuvor, befestigt man ein Ende der Schnur am Punkt (−a, a2) und das andere an (b, b2).
Parabeln als Rechenhilfe
Die dadurch entstehende Gerade y = mx + c schneidet die y-Achse im Punkt c. Um unsere Vermutung zu bestätigen, muss man also c berechnen. Die Geradengleichung besteht aus zwei Unbekannten, m und c, aber wir kennen zwei Punkte (−a, a2) und (b, b2), die auf der Geraden liegen. Das sind genügend Informationen, um alle Parameter festzulegen.
Dafür setzt man die x- und y-Koordinaten der beiden Punkte in die Geradengleichung ein und erhält daraus zwei Gleichungen, die man nach c auflösen kann. Der erste Punkt liefert den Zusammenhang: a2 = −ma + c und der zweite: b2 = mb + c. Indem man die zweite Gleichung nach m auflöst und in die erste einsetzt, ergibt sich: a2 = a(c−b2)/b + c. Wenn man diesen Ausdruck nach c auflöst, erhält man das Ergebnis: c = a·b.
Falls Sie also mal keinen Taschenrechner zur Hand haben und zwei Zahlen miteinander multiplizieren müssen, können Sie stattdessen eine Parabel aufzeichnen und zu Hilfe nehmen. Okay, ich gebe zu, das ist nicht wirklich praktikabel. Vor allem, wenn man das Produkt von nichtganzen Zahlen berechnen möchte: Das Ergebnis kann man höchstwahrscheinlich nicht exakt ablesen, sondern macht Rundungsfehler. Dennoch lässt sich das Produkt damit zumindest abschätzen.
Auf der Suche nach Primzahlen
Diese Eigenschaft kann man sogar nutzen, um Primzahlen zu finden! Und zwar ganz nach der Logik des Siebs von Eratosthenes: Dafür geht man jede natürliche Zahl auf dem Zahlenstrahl nach und nach durch und entfernt alle ihre Vielfachen – am Ende bleiben nur Primzahlen übrig. Indem man also alle ganzzahligen Koordinaten von Parabeln miteinander verbindet, bleiben auf der y-Achse nur noch jene ganzen Zahlen, die durch eins und sich selbst teilbar sind.
Wie sich herausstellt, lässt sich die geometrische Multiplikation noch weiter verallgemeinern: Sie gilt nämlich nicht nur für reelle Zahlen a und b, sondern auch für komplexe Werte! Richtig anschaulich kann man das allerdings nicht machen, denn die Magie spielt sich in diesem Fall im Vierdimensionalen ab. Grund dafür ist, dass eine komplexe Zahl aus zwei Komponenten besteht: einem Realteil (reeller Wert) a und einem Imaginärteil (Wurzel aus einer negativen Zahl) b: z = a+ib, wobei a und b reelle Zahlen sind und i die Wurzel aus minus eins ist. Um den Real- und Imaginärteil klar voneinander abzugrenzen, interpretiert man eine Zahl z als zweidimensionalen Punkt, a entspricht dann dem x-Achsenabschnitt und b der y-Koordinate.
Wenn man die Funktion f(z) = z2 geometrisch betrachtet, erhält man folglich eine vierdimensionale Oberfläche: Sowohl z als auch f(z) besitzen einen Real- und Imaginärteil. Grafisch lässt sich das Ganze also nicht mehr lösen, rechnerisch aber schon. Wenn man z1 und z2 miteinander multiplizieren möchte, kann man zwei Punkte auf der Funktion f(z) = z2 zu einer Geraden verbinden und bestimmen, wo sie die entsprechende zweidimensionale Ebene bei z = 0 schneidet.
Auch wenn die bisher beschriebenen Verfahren nur wenig praxisnahe Anwendung finden, begegnen wir tagtäglich einer Methode, die der Parabel-Multiplikation erstaunlich ähnelt. Dabei handelt es sich um die elliptische Kurven-Kryptografie, auf der heutige Verschlüsselungen basieren. In ihrer Form ähneln elliptische Kurven den bekannten quadratischen Funktionen. Sie werden durch folgende Gleichung beschrieben: y2 = ax3 + bx + c. Wenn a = 0 ist, beschreibt die Formel eine Parabel.
Von Parabeln zu elliptischen Kurven
Um eine sichere Verschlüsselungsmethode zu entwickeln, suchen Kryptografen nach mathematischen Aufgaben, die sich einfach berechnen, aber nur schwer umkehren lassen. Zum Beispiel: Man kann zwei große Primzahlen leicht miteinander multiplizieren (etwa mit Hilfe einer Parabel). Wenn man hingegen mit dem Produkt konfrontiert ist und auf die beiden Primteiler rückschließen soll, ist das erstaunlich schwierig. Tatsächlich basiert eine der ersten modernen Verschlüsselungen (die so genannte RSA-Methode) auf diesem Phänomen. Doch später wurde sie durch einen anderen Ansatz abgelöst, der erheblich schneller war: die elliptische Kurven-Kryptografie.
Das zu Grunde liegende mathematische Problem ähnelt dabei der Parabel-Multiplikation: Man definiert eine Art Addition (und daraus schließlich ein Produkt) auf einer elliptischen Kurve, indem man sich an den Punkten des Graphen entlang hangelt. Die Summe eines Punkts P und eines Punkts Q auf einer elliptischen Kurve lässt sich dann berechnen, indem man beide mit einer Geraden verbindet und den Punkt R ermittelt, an dem diese den Graphen nochmals schneidet. Das Ergebnis der Addition lautet: P + Q = −R.
Die Multiplikation lässt sich definieren, indem man zunächst P + P = 2P berechnet. Dafür nähert man Q entlang des Graphen immer mehr an P an. Die dadurch entstehende Gerade wird somit letztlich zu einer Tangente in P. Angenommen, die Tangente schneidet den Graphen außerdem in S, dann entspricht S dem Doppelten von P: 2P = S. Indem man P und S wiederum durch eine Gerade verbindet, erhält man 3P und so weiter. Damit hat man eine (skalare) Multiplikation n·P auf elliptischen Kurven definiert.
Auf diese Weise sind heutige Daten gesichert: Man vervielfacht einen Punkt P, bis man den Punkt S erhält. Die Schwierigkeit besteht dann darin, die Zahl n zu finden, mit der P multipliziert wurde (n·P = S). Wie sich herausstellt, gibt es bisher kein Verfahren, um n schnell zu finden – zumindest mit herkömmlichen Computern. Für Quantencomputer sind hingegen Algorithmen bekannt, welche die elliptische Kurven-Kryptografie knacken können. Das ist jedoch eine andere Geschichte …
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