»Gladiator II«: Als Patrioten das Römische Reich vor dem Zerfall retteten
Bei seiner Fortsetzung des Römerspektakels »Gladiator« hat es Regisseur Ridley Scott erneut mit den historischen Fakten nicht so genau genommen. In »Gladiator II«, der seit dem 14. November 2024 in den deutschen Kinos zu sehen ist, stimmen die Biografien der Figuren, Roms Stadtplan oder Kostüme und Ausstattung nicht immer mit der bekannten Geschichte und Sachkultur des römischen Kaiserreichs überein. Aber sollte man überhaupt erwarten, dass sich ein Hollywoodstreifen an gesichertes Wissen hält? Nein, sollte man nicht. Auch weil es den Filmemachern vielleicht um etwas anderes geht als Historizität.
»Gladiator II« will – mit sehr viel Blut und Action – mehr über das Hier und Jetzt erzählen als über das Rom um 200 n. Chr. Filme sollen zudem unterhalten und gefallen. Ihre Ästhetik lehnt sich deshalb oft an Vorstellungen an, die wir heutzutage von der Vergangenheit haben und mit der damaligen Lebenswirklichkeit nichts zu tun haben müssen.
Wer also ins Kino geht, sollte nie davon ausgehen, dass in einem Historienfilm Szene für Szene historische Tatsachen abgebildet werden. Selbst Filme, die auf einer wahren Geschichte beruhen, müssen dieses Kriterium nicht erfüllen. Sie beruhen lediglich auf einer Überlieferung, geben diese aber nicht unbedingt exakt wieder. Ein Spielfilm ist keine Dokumentation.
So auch »Gladiator II«. Es ist ein Film. Dennoch haben – wie so oft, wenn Hollywood in der Geschichtekiste kramt – Fachleute aufgedröselt (etwa hier und hier und hier und hier), was unstimmig an dem Streifen ist und sich nicht mit den Begebenheiten im Römischen Reich zu Beginn des 3. Jahrhunderts deckt. Aus den Faktenchecks lernt man Einiges über das alte Rom, aber nicht immer etwas über den Film »Gladiator II« und seine Absichten.
Von Gladiatoren, Kaisern und Barbaren
»Gladiator II« spielt eine halbe Generation nach den Ereignissen des ersten Teils. Die Hauptfigur heißt Hanno alias Lucius. Er ist der Sohn des Gladiators Maximus aus »Gladiator«. Dieser war Feldherr und designierter Nachfolger von Kaiser Mark Aurel, der ihm helfen sollte, die Republik wiederherzustellen, jedoch verraten wurde und als Gladiator in den Arenen Roms landete. Lucius' Mutter ist Lucilla, die Tochter von Mark Aurel. Sie schickte einst ihren Jungen in ein Versteck nach Numidien. Dort, in Nordafrika, setzt der zweite Teil ein, und Lucius ist inzwischen ein Mann.
Zu Beginn des Films gärtnern Lucius und seine Frau selig in ihrer Stadt an der numidischen Küste. Dann bricht das große Unglück herein. Eine Flotte römischer Kriegsschiffe rückt an, um das numidische Bollwerk zu erobern. Denn bisher hatten sich die Bewohner erfolgreich gegen die Römer gewehrt. »Die Darstellung einer rebellischen numidischen Stadt im Film wirkt eher wie eine scherzhafte Anspielung auf die französische Comic-Reihe Asterix und Obelix, in der ein kleines Dorf der römischen Herrschaft trotzt«, schreiben der Archäologe Stephan Blum und der Kunsthistoriker Michael La Corte von der Universität Tübingen im Wissenschaftsmagazin »The Conversation«. Der Film würde nicht »die Komplexität des römischen Imperialismus« wiedergeben, sondern das Klischee einer kleinen, unbezwingbaren Truppe bedienen. »Diese Vermischung von Mythos und Geschichte lässt eher an einen Comic denken als eine ernsthafte historische Erzählung, wobei Spektakel über Genauigkeit gestellt wird.«
Das ist ganz offensichtlich der Fall.
Außerdem seien die Lebensdaten und Beziehungen der Figuren zueinander größtenteils falsch. Die historische Lucilla war im Jahr 200 n. Chr. längst verstorben. Und die kaiserlichen Brüder Geta und Caracalla waren gerade einmal neun und zehn Jahre alt und nicht wie im Film dargestellt junge Männer. Doch: Ist das wirklich zu erwarten, dass ein Spielfilm historische Akkuratesse walten lassen will?
Mit dem Nashorn in die Arena
Dieser Gedanke verliert sich spätestens bei der ersten Szene in der Gladiatorenarena, nachdem Held Lucius und seine numidischen Kameraden in Gefangenschaft geraten sind und gegen Killerpaviane kämpfen müssen. Die Tiere wären die perfekte Staffage für einen Horrorstreifen – und als horrorhafte Begegnung lassen sie sich auch in »Gladiator II« verstehen. Der Held plumpst ohne Umschweife in ein inszeniertes Schauspiel auf Leben und Tod, voller Gewalt, Demütigung und einem von Schaulust aufgegeilten Publikum.
Wahr oder unwahr – diese Frage erscheint zweitrangig, wenn im Film ein Gladiator auf einem Nashorn in die Arena reitet. Das Nashorn an sich, das durch das Kolosseum stampft, ist keine große Überraschung, aber wer ist in der Lage, auf einem Nashorn zu reiten, noch dazu damit in den Kampf zu galoppieren? Die Szenen sind derart übertrieben, sie präsentieren ein übersteuertes Spektakel, das sich die Römer wohl selbst nicht ausgemalt hätten. Hier sind ein Volk und seine Kaiser porträtiert, die nach Ausschweifung und Unterhaltung lechzen. Rom zeigt sich als dekadenter Moloch, an dessen Toren Scharen von Kranken und Armen dahinsiechen. Dieser Staat, so scheint Ridley Scott es zeigen zu wollen, steht am Rand des Zerfalls.
Die Brüche mit der historischen Überlieferung und der römischen Sachkultur sind zahlreich, wie die Fachleute darlegen. Hie und da entsprechen die Kulissen und die Ausstattung dem tatsächlichen Fundus der römischen Antike. Doch statt sich durch einen Film zu mühen und zu fragen, was nun davon historisch belegt ist und was nicht, kann man ihn als ein cineastisches Produkt seiner Zeit verstehen.
Dabei bedienen die Kulissen und die Kostüme Vorstellungen über das alte Rom, die in der modernen Populärkultur wurzeln. Es sind Bilder, die Monumentalfilme und Historiengemälde geprägt haben. Beim Drehbuch verhält es sich ähnlich: Die Macher haben für sie geeignete Momente und Menschen der römischen Geschichte herausgepickt und aus diesen einen Plot gestrickt, der den Aussagen ihres Films dient.
Rettet die Republik!
»Gladiator II« handelt diverse Gegenwartsthemen vor pseudoantiker Kulisse ab: Es geht um Freiheit, Patriotismus, Demokratie, Populismus, Inklusion und eine tief gespaltene Gesellschaft. All das ist verpackt in einer mythischen Geschichte.
In diesem Mythos sehen wir einen Prinzen, dessen wahre Identität anfangs keiner ahnt. Wir sehen ein Reich, das von unfähigen, verkommenen Herrschern regiert wird. Und einen Bösewicht, der die Macht an sich reißen will, aber am Ende von ebenjenem Prinzen überwältigt wird. Das ist der Stoff, aus dem Heldengeschichten gemacht sind. Und darin entspinnt sich eine Handlung, die gespickt ist mit Hinweisen auf die Jetztzeit.
Da ist der Traum von Rom, den Mark Aurel (aus dem ersten Teil) hatte: Die Monarchie solle wieder eine Republik werden, das Reich seinem Volk zurückgegeben werden. Die guten Römer in »Gladiator II« wollen Rom daher auch von den degenerierten Herrschern befreien. Dazu gehört der Kriegstribun Acacius, Ehemann von Kaisertochter Lucilla, der Numidien mit Krieg überzieht und siegreich nach Rom zurückkehrt. Er ist ein Eroberer, der, wie sich herausstellt, aber keiner sein will. Doch er handelt für Rom, wie es im Film heißt. Auch Lucilla ist bereit, für das Reich zu sterben. Und so planen die beiden einen Umsturz für ein Imperium Romanum in Freiheit.
Volksheld Acacius und Prinzessin Lucilla werden als ihrem Vaterland verpflichtete Vorzeigerömer charakterisiert. Die beiden perfekten Patrioten scheitern allerdings und sterben. Aus ihren Dialogzeilen mag man noch mehr heraushören: Wer sein Land liebt, muss dafür kämpfen. Und wer Freiheit will, wer Republik oder Demokratie retten möchte, der darf sie nicht Populisten und machtversessenen Politikern überlassen.
Machtgierige und genusssüchtige Populisten
Dann ist da der ehemalige Sklave Macrinus, gespielt von Denzel Washington. Er ist Besitzer einer Gladiatorenschule und ein gerissener Manipulator. Erst im Lauf des Films wird deutlich, dass er der eigentliche Bösewicht ist, der es perfekt versteht, die politisch Mächtigen gegeneinander auszuspielen. Das kaiserliche Brüderpaar Geta und Caracalla, das Phrasen drischt und genusssüchtig im Luxus schwelgt, steht für eine verkommene Regierung ohne Verantwortungsbewusstsein für das Reich und seine Menschen.
Wer die Politik der vergangenen zehn Jahre in den USA und auch im Vereinigten Königreich verfolgt hat – der Film ist eine britisch-amerikanische Koproduktion –, der hat mit Donald Trump, den Brexiteers oder Boris Johnson ausreichend Populisten am Werk gesehen und diverse Regierungskrisen erlebt. Ob Absicht des Regisseurs oder nicht, solche Bezüge sind erkennbar.
Schließlich ist da noch der kaiserliche Enkel Lucius, der für den Traum von Rom in den Ring steigt. Zunächst kämpft er eher unfreiwillig, entschließt sich dann aber, sein Erbe anzutreten und Rom vor dem Untergang zu bewahren. Die Entscheidung ums gebeutelte Imperium fällt im Duell mit Macrinus: Vor Rom stehen sich zwei römische Heere kampfbereit gegenüber. Es droht ein Bürgerkrieg. Die Szene liefert eine bildliche Metapher für eine tief gespaltene Gesellschaft, die schwer bewaffnet und gewaltbereit ist. Dass am Ende Lucius über Macrinus im Schwertkampf siegt, ist dann keine Überraschung mehr. Doch der Retter Roms hat noch eine Rede in petto: für die Freiheit, die Herrschaft des Volkes und ein Reich, in dem jeder Mensch willkommen ist. Dafür lohne es sich zu kämpfen.
Ob man solche Heldengeschichten und ihre Botschaften mag, muss jeder Zuschauer, jede Zuschauerin für sich entscheiden. Mit dem antiken Rom hat das nichts zu tun. Der Film ist als das zu verstehen, was er ist: ein Produkt seiner Zeit, dem Jahr 2024 n. Chr.
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