Freistetters Formelwelt: Ein mathematischer Pakt mit dem Teufel
Es gibt Bereiche in der Mathematik, die mir aus unklaren Gründen immer wieder Schwierigkeiten bereitet haben. Nicht, weil sie so kompliziert wären, sondern weil es mir schwerfällt, ein intuitives Verständnis für sie zu entwickeln. Der Logarithmus gehört dazu, ebenso wie Ungleichungen. Mein Gehirn scheint etwas dagegen zu haben, wenn in einer Formel kein Gleichheitszeichen zu finden ist. Und auch die Logarithmus-Funktion macht mir mehr gedankliche Schwierigkeiten, als sie es tun sollte. Trotzdem gibt es eine Formel, die mir besonders gut gefällt, obwohl sie beide Phänomene kombiniert:
Diese Gleichung wird »nepersche Ungleichung« genannt, nach dem schottischen Mathematiker John Napier (auf Latein »Neper«), der im frühen 17. Jahrhundert das Konzept des Logarithmus entwickelte. Hat man zwei reelle Zahlen a und b für die 0 < a < b gilt, dann gilt die obige Ungleichung. Sie ist praktisch, wenn man – wie John Napier damals – keinen Taschenrechner zur Verfügung hat, um den Logarithmus schnell berechnen zu können. Man muss dazu nur a = x und b = x + 1 setzen. Dann folgt mit der neperschen Ungleichung, dass der Wert des Logarithmus von 1 + 1⁄x zwischen 1⁄x+1 und 1⁄x liegen muss. Damit kann man den korrekten Wert abschätzen – und das hat Napier genutzt, um seine Tabellen mit Logarithmen zu erstellen. Man kann die Ungleichung sogar noch verschärfen, was im späten 19. Jahrhundert genauere Abschätzungen ermöglich hat.
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Die Entwicklung einer Methode zur Berechnung des Logarithmus hat nicht nur die Mathematik nachhaltig beeinflusst. Sie machte zudem die Weiterentwicklung von Hilfsmitteln wie dem Rechenschieber möglich, ohne den die technischen Wissenschaften vor der Erfindung des Taschenrechners längst nicht so viele beeindruckende Maschinen und Anlagen konstruieren hätten können.
Ein Dieb überführt sich selbst
Dass John Napier auch abseits der Mathematik sehr kreativ war, zeigen die vielen Anekdoten aus seinem Leben. Er soll einen schwarzen Hahn besessen haben, was ihm zwar einerseits den Vorwurf einbrachte, er sei ein Magier – ihm aber andererseits dabei half, einen Diebstahl aufzuklären. Napier vermutete, dass ihn einer seiner Bediensteten bestohlen hatte. Er schickte sie deswegen alle in einen dunklen Raum, wo sie seinen schwarzen Hahn streicheln sollten. Der, so Napier, würde laut zu krähen anfangen, wenn er vom Dieb berührt würde. Tatsächlich hatte er das Tier mit Ruß bedeckt und musste nur noch nachsehen, welcher seiner Bediensteten keine schmutzigen Hände hatte. Nur der Dieb hätte Grund zu schummeln, den Hahn nicht zu berühren und den Raum mit sauberen Fingern zu verlassen.
Ob diese und die anderen Anekdoten (etwa, dass er immer mit einer Spinne in einer Schachtel durch die Gegend reiste oder die Toten beschwört haben soll) wirklich stimmen, ist unklar. Aber sie zeigen zwei Dinge, die auch heute noch korrekt sind, wenn es um Mathematik geht. Erstens: Ohne Kreativität geht es nicht. Selbst wenn die Mathematik als trocken und formal angesehen wird, kann es auch hier keine Fortschritte geben, wenn nicht schlaue Menschen kreative Ideen haben. Und zweitens zeigen die Anekdoten um Napier, dass die Mathematik den Menschen bereits damals irgendwie unheimlich war. Wer mit Zahlen umgehen konnte und vielleicht noch ein paar komische Haustiere hatte, wurde wie Napier der dunklen Künste verdächtigt.
Heute ist man zwar eher selten dem Vorwurf ausgesetzt, man wäre mit dem Teufel im Bund, wenn man komplexe Formeln berechnen kann. Doch ein klein wenig Unbehagen ergreift manche Menschen immer noch, wenn sie es mit Mathematikerinnen und Mathematikern zu tun haben. Oder wenn sie, wie in meinem Fall, auf Logarithmen und Ungleichungen treffen.
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