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Freistetters Formelwelt: Kann eine Atomexplosion die Atmosphäre entzünden?

Die Forscher des Manhattan-Projekts mussten das prüfen. Selten war eine mathematische Berechnung von solcher Bedeutung wie beim Bau der ersten Nuklearwaffe.
Atombombentest
Die Forscher des Manhattan-Projekts mussten überprüfen, ob eine Atomexplosion die Atmosphäre entzünden könnte.

Der Erfolg des Kinofilms »Oppenheimer« hat nicht nur zu heftigen Diskussionen darüber geführt, ob der Film besser oder schlechter ist als der gleichzeitig erschienene Film »Barbie«, sondern auch zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit Atomwaffen. Im Werk von Christopher Nolan geht es zwar um das Leben des US-amerikanischen Physikers J. Robert Oppenheimer. Doch das lässt sich nur erzählen, wenn man auch dessen Arbeit als wissenschaftlicher Leiter des Manhattan-Projekts schildert und damit den Bau der ersten Atombombe.

Prominent im Trailer zum Film ist eine Szene zu sehen, in der Oppenheimer mit Leslie Grove, dem militärischen Leiter des Projekts, darüber diskutiert, ob die Zündung einer Atombombe eventuell die Erdatmosphäre in Brand setzen und komplett zerstören könnte. Oppenheimer beruhigt: Die Wahrscheinlichkeit dafür sei nahezu null. In der Realität waren sich die Forscher des Manhattan-Projekts aber darüber im Klaren, dass es tatsächlich unmöglich ist, die Atmosphäre durch die Explosion einer Atombombe zu entzünden.

Die entsprechende Mathematik basiert auf einer Formel, die man auch in der ursprünglich geheimen und mittlerweile frei verfügbaren Arbeit »Ignition of the atmosphere with nuclear bombs« nachlesen kann:

Schon früh während des Manhattan-Projekts war den beteiligten Forscherinnen und Forschern klar geworden, dass zumindest theoretisch die Möglichkeit besteht, durch die Zündung einer Atombombe eine Kettenreaktion in den Atomen der Erdatmosphäre anzustoßen. Die Stickstoffatome der Luft können, ausreichend viel Energie vorausgesetzt, miteinander fusionieren. Unter Umständen setzt sich dieser Prozess unkontrolliert fort, bis die gesamte Atmosphäre unter Freisetzung gewaltiger Energiemengen verbrannt ist. Diese Konsequenz war dramatisch genug, um die Sache genauer zu betrachten.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

In ihrer Arbeit untersuchten die beteiligten Forscher (unter anderem Edward Teller, der später maßgeblich am Bau der ersten Wasserstoffbombe beteiligt war), wie viel Energie durch die Fusion von Stickstoffatomen produziert wird und wie viel dabei verloren geht. Das Verhältnis beider Größen war der »Sicherheitsfaktor« Θ, der in obiger Formel dargestellt ist. Die bei der Stickstofffusion freigesetzte Energie hängt unter anderem von der Dichte des Stickstoffatome in der Luft ab, aber auch von der Wahrscheinlichkeit, dass zwei dieser Atome miteinander reagieren. Diesen Parameter kannte man damals nicht und ging daher vom schlechtesten Fall aus, nämlich dass alle Atome immer fusionieren, wenn sie sich treffen.

Energie geht während des Prozesses jedoch auch verloren, vor allem durch Bremsstrahlung. Bei den hohen Temperaturen während einer Atombombenexplosion lösen sich die Elektronen von den Stickstoffatomkernen. Die Wechselwirkung zwischen den negativ geladenen Elektronen und den positiv geladenen Atomkernen setzt elektromagnetische Strahlung frei. Das Verhältnis der beiden Größen gibt den Sicherheitsfaktor an. Er ist umso größer, je dominanter der Energieverlust ist. Solange der Sicherheitsfaktor größer als 1 ist, kann keine Kettenreaktion aufrechterhalten werden.

Keine brennende Luft – doch sicher sind wir trotzdem nicht

Die Forscher konnten zeigen, dass – egal wie hoch die Temperatur ist – der Sicherheitsfaktor immer größer als 1 ist. Bei sehr hohen Temperaturen von zirka 100 Milliarden Kelvin ist der Faktor zwar deutlich kleiner als bei niedrigeren Temperaturen, aber so heiß würde auch die Explosion einer Atombombe niemals werden.

Der Test der ersten Nuklearwaffe würde die Atmosphäre also nicht zerstören, da waren sich die beteiligten Forscher sicher. Doch die durch das Manhattan-Projekt geschaffene Realität der atomaren Bedrohung hat die Welt nicht unbedingt zu einem besseren Ort gemacht. Selbst wenn sie die Luft nicht entzünden: Es gibt mehr als genug Gründe gegen den Einsatz und die Existenz von Atomwaffen.

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