Freistetters Formelwelt: Die mysteriöse Zahl, die überall im Universum auftaucht
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Im Januar 1919 veröffentlichte der deutsche Mathematiker und Physiker Hermann Weyl einen Aufsatz mit dem Titel »Eine neue Erweiterung der Relativitätstheorie«. Darin findet sich im Abschnitt »Das Problem der Materie« Folgendes: »Noch einen zweiten Punkt muss ich berühren, ehe ich zu expliziten Rechnungen übergehe. Es ist eine Tatsache, dass am Elektron reine Zahlen auftreten, deren Größenordnung gänzlich von 1 verschieden ist; so das Verhältnis des Elektronenradius zum Gravitationsradius seiner Masse, welches von der Größenordnung 1040 ist; das Verhältnis des Elektronenradius zum Weltradius mag von ähnlicher Größenordnung sein.«
Mit dem Weltradius meint Weyl den Radius des beobachtbaren Universums – einen Wert, über den man damals gerade zu spekulieren begonnen hatte. Dank der Arbeit von Einstein, Lemaître, Hubble und Co war klar geworden, dass der Kosmos nicht unendlich groß und alt ist, sondern einen Anfang in der Zeit hat und früher kleiner war als heute. Andere Forscher wie Arthur Eddington oder Paul Dirac waren, so wie Weyl, vom neuen Wissen inspiriert und fanden ähnliche Kombinationen von grundlegenden Parametern, wie etwa diese hier:
Multipliziert man die Lichtgeschwindigkeit c mit dem Alter des Universums t und dividiert das durch den Elektronenradius, erhält man wieder ein Verhältnis von zirka 1040. Dasselbe Ergebnis bekommt man, wenn man das Verhältnis von elektrostatischer Kraft zu Gravitationskraft zwischen einem Proton und einem Elektron berechnet. Bedeutet das auch etwas? Und wenn ja, was?
Der britische Physiker und Nobelpreisträger Paul Dirac war überzeugt davon, dass das Auftreten dieser großen Zahlen kein Zufall sein kann. Ihm zufolge war zum Beispiel die Stärke der Gravitationskraft nicht konstant, sondern indirekt proportional zum Alter des Universums. Genauso soll die Masse des Universums indirekt proportional zum Quadrat des Weltalters sein. Oder anders und etwas vereinfacht gesagt: Das, was wir als Naturkonstanten ansehen, wie den Wert der Gravitationskonstante G, seien in Wahrheit zeitabhängige Größen, die sich seit dem Urknall verändert haben. Und deswegen müsse es auch einen Zusammenhang zwischen Alter und Größe des Universums und anderen Parametern geben – ein Zusammenhang, der sich in der Häufung der extrem großen Zahl 1040 zeige.
Der Schlüssel zum Verständnis des Kosmos
Das klingt zunächst ein bisschen dubios; mehr nach Zahlenmagie und weniger nach echter Wissenschaft. Ist es wirklich so überraschend, dass man große Zahlen erhält, wenn man mit verschiedenen kosmologischen und physikalischen Parametern herumrechnet? Vor allem, wenn es um Zahlen wie die Masse des Universums oder die Gravitationskonstante geht, die wir selbst heute noch nicht so gut kennen, wie wir es uns wünschen?
Tatsächlich steckt ein wenig mehr hinter der »Large Number Hypothesis«, als man vermuten würde. In der Kosmologie gibt es noch viel, was wir nicht verstehen; beispielsweise die Dunkle Energie oder die Dunkle Materie. Wir haben kein vollständiges Bild der Schwerkraft, die aktuell durch die allgemeine Relativitätstheorie beschrieben wird, aber nicht mit der Quantenmechanik in Einklang gebracht werden kann. Das, was wir nicht wissen, lässt durchaus Platz für ein Universum, in dem etwa die Gravitationskonstante zeitlich variabel ist. Beobachtungsdaten können das bis jetzt nicht ausschließen, haben allerdings auch noch keine Belege dafür geliefert.
Die Chancen, dass die Hypothese der großen Zahlen einfach nur eine mathematische Kuriosität ist, sind hoch. Doch es ist nicht unmöglich, dass sich dort vielleicht wirklich der Schlüssel zum Verständnis des Kosmos verbirgt.
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