Freistetters Formelwelt: Eine mathematische Verbindung zwischen Comedians und Aliens
Das Lokal »Lindy's« in New York war in den 1960er Jahren Treffpunkt für Comedians, die dort ihre Auftritte diskutierten. Sie spekulierten darüber, dass sie alle nur ein begrenztes Repertoire an Material hätten – und sich die Dauer ihrer Karriere daher aus der Frequenz ihrer Auftritte ableiten ließe. Wer seine Präsenz in der Öffentlichkeit langfristig anlegte, würde auch lange im Geschäft bleiben, und umgekehrt. Zumindest hat der US-amerikanische Autor Albert Goldman diese Anekdote so in einem Zeitungsartikel erzählt, der den Titel »Lindy's Law« trug.
Ein bisschen später griff der berühmte Mathematiker Benoît Mandelbrot die gleiche Idee auf. Der Statistiker und Autor Nassim Nicholas Taleb führte das Prinzip 2021 am Beispiel von Büchern etwas weiter aus. Wenn ein Buch schon seit 40 Jahren gedruckt wird, kann man davon ausgehen, dass es auch noch 40 Jahre länger gedruckt werden wird. Wenn es sogar weitere zehn Jahre existiert, dann steigt die zu erwartende Lebensdauer auf 50 Jahre. Mathematisch lässt sich dieses Prinzip so ausdrücken:
Wenn die bisherige Lebensdauer XL eines Objekts oder eines Phänomens größer oder gleich L ist, dann ist der erwartete Wert der verbleibenden Lebensdauer gleich der bisherigen Dauer L (multipliziert mit einer positiven Konstante a).
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Der Lindy-Effekt ist natürlich kein Naturgesetz. Diese Gesetzmäßigkeit kann nicht für verderbliche Objekte gelten. Ich bin beispielsweise gerade 46 Jahre alt, daraus lässt sich nicht ableiten, dass ich auf jeden Fall noch einmal 46 Jahre leben werde. Bei Menschen gilt die deprimierende Regel: Je älter man wird, desto weniger Zeit hat man übrig. Wenn es aber wie im Beispiel von Taleb um Bücher geht oder auch um Comedy-Shows, dann klingt Lindys Gesetz durchaus plausibel. Wir alle kennen Bücher oder Filme, bei denen schon kurz nach der Veröffentlichung klar ist, dass sie kein langes Leben vor sich haben. Andererseits gibt es Klassiker, die seit Jahrzehnten gelesen oder gesehen werden und bei denen das auch noch in Jahrzehnten der Fall sein wird.
Kontakt mit fernen Alien-Zivilisationen
Ein wenig fraglich ist, ob so eine doch etwas triviale Aussage tatsächlich eine mathematische Beschreibung benötigt. Trotzdem gibt es sie. Zum Beispiel in einer Forschungsarbeit, die die Verbindungen zwischen dem Lindy-Effekt, der Pareto-Verteilung und dem zipfschen Gesetz untersucht hat. Oder in einem Aufsatz mit dem viel versprechenden Titel »Technosignatures longevity and Lindy’s law«. Darin geht es um die Suche nach intelligenten außerirdischen Zivilisationen und die Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Kontakt von der Lebensdauer der Zivilisation abhängt. Je länger so eine Zivilisation existiert, desto größer wird auch der Bereich im All, in dem sie theoretisch entdeckt werden kann.
Wir haben zwar keine Ahnung, wie lange technisch versierte Alien-Zivilisationen (sofern es sie überhaupt gibt) existieren können. Aber wenn es um die Frage geht, wie lange Außerirdische nachweisbare Signale ins All schicken können, dann hängt die Antwort vom Energieverbrauch ab. Je länger, desto mehr Energie ist nötig – und wenn es wirklich lange dauern soll, müssen vermutlich erst große technische Hürden überwunden werden. Die Zivilisationen, die das geschafft haben und seit langer Zeit Signale schicken, werden das wahrscheinlich auch noch in Zukunft lange Zeit können. Deshalb ist es sinnvoll, die Lebensdauer mit Lindys Gesetz zu modellieren, wie die Autoren der Arbeit argumentieren.
Übrigens: Diese Kolumne hier existiert seit Juni 2016. Wenn der Lindy-Effekt gilt, dann sollte sie also bis mindestens Juni 2032 erscheinen.
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