Freistetters Formelwelt: Der wesentliche Unterschied zwischen einer Karte und einem Globus
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Reisen und die dazugehörige Reiseplanung sind heutzutage einfach geworden. Man muss nur Start und Ziel in eines der vielen Navigationsprogramme eingeben und bekommt sofort die passende Route geliefert, inklusive zurückzulegender Distanz und der zu erwartenden Reisedauer. Egal ob mit dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß: Wir verlassen uns immer öfter auf die Algorithmen im Computer, wenn wir von A nach B wollen. Wer trotz allem eine Reise lieber auf der Landkarte plant, kann das natürlich immer noch machen. Sollte man jedoch sehr weite Strecken zurücklegen wollen, lohnt es sich, sich auch etwas über die Mathematik hinter der Kartografie zu informieren.
Die meisten Weltkarten, mit denen wir es zu tun haben, wurden mit der Mercator-Projektion erstellt, die viele Vorteile hat – und einen entscheidenden Nachteil: Die kürzeste Verbindung zwischen Punkten entspricht auf so einer Karte keiner geraden Linie. Außerdem ändert sich der Maßstab, mit dem eine Fläche abgebildet ist, je nach Position auf der Karte. Sprich: Wenn ich auf einer Landkarte einen geraden Strich von einem Punkt zum anderen ziehe, dann ist das nicht unbedingt der kürzeste Weg – und seine Länge sagt nicht zwingend etwas über die wahre Distanz auf der Erdoberfläche aus.
Dass sich die gekrümmte Oberfläche der Erde nicht auf einem flachen Stück Papier abbilden lässt, ist keine neue Erkenntnis. Doch wie genau weicht eine konkrete Karte von der Wirklichkeit ab? Das lässt sich unter anderem mit dieser Formel berechnen:
Es handelt sich um die »erste Fundamentalform«, ein Konzept aus der Differenzialgeometrie, um die innere Geometrie einer Fläche zu beschreiben. Ihre genaue Herleitung ist komplex, aber im Prinzip handelt es sich um eine mathematische Formulierung der Abstandsmessung, der so genannten Metrik, auf einer Oberfläche. In unserem Fall wird sie durch die Parameter φ und λ (also geografische Breite und Länge) beschrieben. Die Koeffizienten E und G geben an, wie sich die Metrik ändert, wenn man sich in Richtung φ oder λ bewegt. F beschreibt vereinfacht gesagt, ob die Richtungen orthogonal aufeinanderstehen oder nicht.
Wie bildet eine Karte die Wahrheit ab?
Es ist komplex. Wenn man allerdings die erste Fundamentalform kennt, kann man sie nutzen, um die »tissotsche Indikatrix« zu berechnen. Die Idee dazu hatte der französische Mathematiker Nicolas Auguste Tissot gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu ihrer mathematischen Formulierung lässt sie sich recht einfach verstehen. Angenommen, man würde um verschiedene Punkte auf der Erdoberfläche herum exakte gleich große Kreise ziehen: Wie würden die dann auf einer Landkarte dargestellt werden? Wenn die verwendete Projektionsmethode die Winkel korrekt darstellt, dann entsprechen sie auch dort Kreisen – sonst werden sie zu Ellipsen verzerrt. Ist die Projektion flächentreu, dann haben die Ellipsen alle die gleiche Größe.
Eine Landkarte, die von einer tissotschen Indikatrix – also einem Netz aus Ellipsen – überlagert ist, zeigt sofort die Stärken und Schwächen der jeweiligen Projektionsmethode auf. Auf der klassischen Mercator-Projektion würde man lauter Kreise sehen, da es sich um eine winkeltreue Methode handelt. Die Kreise, die sich entlang des Äquators befinden, sind aber winzig im Gegensatz zu denen in den nördlichen und südlichen Polarregionen, die am größten sind. Wenn auf so einer Karte Afrika ungefähr gleich erscheint wie Kanada, dann zeigt die Indikatrix, dass man für die Durchquerung des Kontinents deutlich mehr Zeit einplanen sollte als für eine Tour quer durch Nordamerika.
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