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Storks Spezialfutter: Das erste Laborhuhn ist da

Kunstfleisch aus der Laborzucht steht kurz vor dem Durchbruch am Markt. Und durchsetzen wird es sich, weil uns die Produktionsbedingungen von Fleisch jetzt schon völlig egal sind.
Fleisch aus der Retorte wird wohl zunächst im Fastfood-Bereich eingesetzt werden?

Auch wenn man sich kaum noch daran erinnern kann: Es ist noch gar nicht so lange her, dass es öffentliche Veranstaltungen gab, an denen man einfach so teilnehmen konnte, obwohl sie in geschlossenen Räumen stattfanden und mehr als zwei Haushalte daran beteiligt waren. In dieser gar nicht so fernen Vergangenheit waren meine Frau und ich mit unseren Kindern bei der Lesung einer befreundeten Autorin. Die Lesung dauerte länger als gedacht. Es war Sonntagnachmittag, deshalb mussten wir im Anschluss überlegen, wie wir die Anforderungen des Resttages – heimfahren, essen, Kinder früh ins Bett, weil am nächsten Tag Schule (!) – logistisch am besten angehen könnten. Unsere Problemlösung war eher pragmatisch als nachhaltig: Pommes und Chicken Nuggets vom Schnellimbiss, die wir dann im Auto aßen. Die Pommes schmeckten nach mittelmäßigen Pommes, die Chicken Nuggets aber nicht nach Chicken Nuggets. Die Kinder verweigerten jedenfalls die Aufnahme. Zuerst dachte ich, vielleicht hätten wir aus Versehen Broccoli- oder Blumenkohl-Nuggets bekommen, und probierte selbst. Der Geschmack war undefinierbar. Eine Mischung aus nichts und nichts Gutem, definitiv mehr Sägespäne und Gummi als richtiges Fleisch. Die angebissene Masse flog aus dem Fenster und liegt dort wahrscheinlich immer noch rum, weil selbst Krähen, Tauben oder Ratten den Happen verschmähen.

Seit diesem Spätnachmittag bin ich fest davon überzeugt, dass »Laborfleisch« bei der Ernährung der Zukunft eine wichtige Rolle spielen kann. Und ich bin überzeugt davon, dass das saftig, lecker und sehr fleischig schmecken wird. Ganz anders jedenfalls als diese Nicht-Chicken-Nuggets.

Der Welt steht ein Umbruch bevor – ob die Menschheit will oder nicht: Landwirtschaft, Verkehr und Energiegewinnung müssen nachhaltig und fit für den Klimawandel werden, gleichzeitig gilt es, eine wachsende Weltbevölkerung mit wachsenden Ansprüchen zu versorgen. Was bedeutet das für uns und unsere Gesellschaft? Und was für die Umwelt und die Lebewesen darin?
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.

2020 wurden in Deutschland 53,2 Millionen Schweine, 3,2 Millionen Rinder und mehr als 620 Millionen Masthühner geschlachtet. Im Durchschnitt hat jeder Deutsche vergangenes Jahr rund 57,3 Kilogramm Fleisch vertilgt. Das sind ein paar hundert Gramm weniger als in den Vorjahren, aber immer noch sehr viel. Wenn man bedenkt, dass für die Produktion von Fleisch und Milchprodukten ein Vielfaches der Ressourcen aufgewendet werden muss, die man für Getreide braucht, erscheint eine Fleischzucht im Labor, für die ja zumindest weniger Fläche verbraucht wird, durchaus erstrebenswert.

Laborfleisch besteht aus tierischen Zellen, die aus Stammzellen gewonnen werden. Es ist also echt. Nur mit dem Unterschied, dass sie nicht in einem Tier herangewachsen sind, sondern im Labor. 2013 wurde in London der erste In-vitro-Burger verkostet. Damals war die Produktion noch so aufwändig, dass das Fleischstück einen Gegenwert von über 250 000 Euro hatte. Was für den schnellen Konsum in der Frittenbude dann doch etwas zu viel ist. Aber die Entwicklung schreitet voran und lässt die Preise purzeln. In Singapur wurden Ende letzten Jahres Chicken Nuggets aus dem Labor für den Markt zugelassen. In einem Klub im Inselstaat stehen die Happen seit Anfang März auf der Speisekarte. Der Zugang zu In-vitro-Fleisch ist zwar limitiert – der Klub ist ein Privatklub mit einer hohen monatlichen Mitgliedsgebühr –, trotzdem ist der Verkaufsstart ein Meilenstein: Erstmals können Verbraucher In-vitro-Fleisch tatsächlich kaufen. Die Nuggets kosten umgerechnet moderate 15 Euro.

Unter der Panade lässt sich einiges verstecken

Vermutlich wurden Nuggets als erstes Laborfleischstück ausgewählt, weil wegen der dicken Panade weniger von dem teuren Fleisch benötigt wird. Bei den herkömmlichen Produkten in Schnellimbissen und Supermärkten ist das genauso. Außerdem haben die Nuggets den Vorteil, dass sich unter dem Teigmantel einiges verstecken lässt: Zum Beispiel, dass die Hühnerhappen aus verschiedenen Endstücken zusammengeklebt sind – sie bestehen häufig aus Formfleisch. Das In-vitro-Fleisch hingegen besteht nicht aus Resten, sondern aus nach einheitlichem Standard produzierten Muskelzellen. Trotzdem wird es sich auch bei den kommenden Laborfleischprodukten sehr wahrscheinlich um Nuggets oder Gehacktes handeln, denn noch ist es schwer, im Labor die Textur eines Steaks oder Schnitzels nachzubilden. Ein Akzeptanzproblem – weil es ja nicht Fleisch von einem echten toten Tier ist und vielleicht auch anders aussieht – wird es deshalb aller Voraussicht nach nicht geben. Schon jetzt essen wir ja vielfach Produkte, denen man das Tier, das dafür gestorben ist, nicht mehr ansieht: Fischstäbchen statt Fisch, Chicken Nuggets statt Hühnerschenkel oder Flügel, Burger und Tartar statt Haxe und Steak. Und schon jetzt sind ein niedriger Preis und eine unkomplizierte Zubereitung oft die wichtigsten Kaufkriterien. Wenn es wirklich um bewussten Genuss ginge, würden die Menschen nicht so viel Fastfood essen. Wenn gute Inhaltsstoffe und faire Produktionsbedingungen wichtig wären, würden sich Formfleisch und Fleisch aus Massentierhaltung nicht so gut verkaufen.

Vermutlich wird es so kommen: Solange das Fleisch aus dem Labor ein exklusives Produkt ist, findet es seinen Markt, weil es genügend solvente Käufer und Käuferinnen gibt, die einfach mal was Neues ausprobieren wollen. Sobald die Preise richtig stark sinken, wird sich wieder ein Markt finden, weil billiges Fleisch immer gebraucht wird und sich die Konsumenten ohnehin nicht fürs Kleingedruckte interessieren. Bei mittleren Preisen schlagen vermutlich all die bewussten Käufer zu, die sich möglichst nachhaltig ernähren wollen, aber doch nicht auf Fleisch verzichten können.

Wesentlich nachhaltiger als die aufwändige Entwicklung von Laborfleisch wäre natürlich der Verzicht auf Fleisch und andere tierische Produkte. Aber so weit ist die Menschheit offenbar noch nicht. Ernährung bleibt Herzensangelegenheit, nicht Kopfsache: Anders ist nicht zu erklären, dass trotz Tierleid, nachgewiesener Umweltschäden und hoher gesundheitlicher Risiken der Fleischverbrauch noch immer so unvernünftig hoch ist.

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