Freistetters Formelwelt: Das Monster von Loch Ness hilft bei Tsunami-Prävention
Bewegt man sich in der Badewanne ein bisschen zu heftig, fängt das Wasser darin ebenso heftig zu schwappen an. Eine Welle breitet sich aus, wird am Rand der Wanne zurückgeworfen bis zum gegenüberliegenden Rand, und so weiter. Auf ihrem Hin- und Rückweg können sich die Wellen auch noch überlagern und unter den richtigen Umständen verstärken.
Was in der Badewanne passiert, kann ebenso in größeren Gewässern stattfinden. Dort ist es der Wind oder Veränderungen im Luftdruck, die das Wasser bewegen. Und wenn die Geometrie des Ufers gerade richtig ist, kann es die entstehenden Wellen so reflektieren, dass sich die Wellen überlagern. Das Resultat sind stehende Wellen, die in der Hydrologie als »Seiches« bezeichnet werden (Das Wort hat der französische Forscher François-Alphonse Forel eingeführt; und deswegen spricht man es auch französisch aus).
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Was an der Wasseroberfläche stattfinden kann, funktioniert auch unter Wasser. In einem See sind Dichte und Temperatur nicht homogen: Das kalte Wasser ist üblicherweise unten und das warme oben. Wenn starker Wind das warme Wasser der Oberfläche in eine Richtung schiebt und an einem Ufer aufstaut, kann es dort wegen seines größeren Gewichts das kältere Tiefenwasser nach unten drücken. Hört der Wind auf, fließt das warme Wasser wieder zurück und das kalte schwappt von unten nach oben. Auch hier entstehen Wellen – allerdings nicht an der Oberfläche, sondern an der Grenzschicht zwischen warmem und kaltem Wasser. Die Periode solcher »internen Seiches« lassen sich mit Merians Formel beschreiben:
L ist dabei die Länge der Wassermasse, g die Schwerebeschleunigung und mit h und ρ werden die jeweilige Dicke und Dichte der Wasserschichten bezeichnet.
Und hier kommt Loch Ness ins Spiel. Der schottische See ist lang, schmal und annähernd rechteckig. Das macht ihn zu einem guten Kandidaten für Seiches (intern und an der Oberfläche). Er verläuft von Südwesten nach Nordosten und der dortige Wind weht ebenfalls oft von Südwesten. Ist das der Fall, dann kann er, wie oben beschrieben, das warme Oberflächenwasser bis zum anderen Ende des Sees im Nordosten schieben. Lässt der Wind nach, schwappt es wieder zurück. Die dadurch verursachten stehenden Wellen an der Grenzschicht unter der Wasseroberfläche könnten erklären, wieso man immer wieder »seltsame« Sonarechos im Loch Ness gemessen hat.
Die Seiches könnten zudem Objekte vom Grund des Sees an die Oberfläche transportieren, zum Beispiel Baumstämme, was dann so aussieht, als würde da irgendein Tier auftauchen.
Maßnahmen gegen Tsunamis
Die Suche nach urzeitlichen Monstern in schottischen Seen ist allerdings nicht der Grund, warum sich die Wissenschaft mit Seiches beschäftigt. Sieht man mal davon ab, dass sich aus der Mathematik viel über das Verhalten von Flüssigkeiten lernen lässt, ist man hier eher daran interessiert, die Dynamik von Gewässern in ihrer Gesamtheit zu verstehen.
Seiches können durchaus dramatische Auswirkungen haben. Als 1946 ein Tsunami die Bucht von Hilo auf Hawaii erreichte und 159 Menschen in den Tod riss, trafen die Wellen mit einer Frequenz von zirka 15 Minuten auf. Dabei erzeugte der Tsunami Seiches mit einer Periode von etwa 30 Minuten (bedingt durch die Geografie der Bucht). Jede zweite Tsunamiwelle wurde also durch eine stehende Welle verstärkt, weshalb die Folgen so verheerend waren.
Das Wissen über Seiches und die dahinterstehende Mathematik können helfen, entsprechende Schutzmaßnahmen zu treffen, die Infrastruktur an Küsten zu designen und die Auswirkungen von Gezeiten, Stürmen und so weiter vorherzusagen. Und wenn wir dann auch noch die Suche nach »Nessie« beenden können: umso besser.
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