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Hirschhausens Hirnschmalz: Sei kein Vorbild!

Die Kunst, anderen mit der eigenen tadellosen Moral kein schlechtes Gewissen zu machen.
Dr. Eckart von Hirschhausen

»Sei die Veränderung, die du selbst in der Welt sehen möchtest«, empfahl Mahatma Gandhi als Mantra gegen den inneren Schweinehund, der lieber nach den anderen schielt, als sich selbst am Schweinsohr zu packen. Müssen Ärzte ein Vorbild sein für andere? Oder eher Kumpel auf Augenhöhe, wie die beste Freundin, der man alles erzählt und die auch über ihre eigenen Schwächen spricht? Es ist verblüffend, wie wenig Mediziner von Motivationspsychologie verstehen, wo doch die meisten Erkrankungen durch drei simple Weisheiten zu verhindern wären: nicht rauchen, bewegen, Gemüse. Doch eben nur, wenn man sich auch dran hält. Die Gegenposition zu Gandhi formulierte Ödön von Horváth: »Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu.« Das kenne ich bestens von mir. Ich bin sehr sportlich, komme nur so selten dazu, Sport zu treiben. Streng genommen in den letzten 20 Jahren eigentlich gar nicht. War einfach keine Zeit dafür. Aber im Kern bin ich immer noch die Sportskanone, die ich schon damals nicht war.

Dabei hatte ich als Kind die optimale Voraussetzung zum Bewegungskünstler. Ich bekam jahrelang orthopädisches Turnen und Einlagen verschrieben, denn ich litt unter Plattfüßen wie alle meine Geschwister. Das meinte jedenfalls der Orthopäde per Blickdiagnose zu erkennen. Ich erinnere mich, wie fasziniert ich von dem kleinen dicken Mann war, der eingeklemmt in einem Sessel mit Rollen saß. Mit einem Geschick, das jahrelange Übung verriet, stieß er sich mit dem Fuß am Boden ab, rollte von seinem Schreibtisch zur Untersuchungsliege und kam dort zum Stehen. Also der Sessel, nicht er. Dann schaute er zwei Sekunden auf unsere versammelten Füße, murmelte: »MüssenwanochmawasmitEinlagen…« und glitt mitten im Satz zurück zum Schreibtisch, ohne einen Muskel oberhalb des Unterschenkels dafür unnötig belastet zu haben. Und obwohl ich als Kind noch nichts davon wusste, ahnte ich intuitiv, dass der Mann im Rollsessel unmöglich ein Fachmann für den Bewegungsapparat sein konnte.

40 Jahre später: Einlagen sind out, aber Bewegung bleibt ein Lebenselixir. Nur wie kommt man dahin, seinen Lebensstil zu ändern? Wie schwierig das sein kann, zeigt eine Studie der Psychologen Lauren Howe und Benoît Monin: Demnach meiden wir den Umgang mit Menschen, deren tadellose Disziplin uns verunsichern könnte. Diesen Effekt demonstrierten die Forscherin­nen am Beispiel von Arzt-Patient-Beziehungen, bei denen es um gesünderen Lebensstil, Übergewicht und Bluthochdruck ging. Waren die Ärzte selbst schlank und sportlich, brachen übergewichtige Patienten die Therapie schneller ab und suchten sich einen neuen Doc.

Offenbar haben die wenigsten von uns Lust, sich von einem Gesundheitsapostel ein schlechtes Gewissen machen zu lassen. Vielleicht hat mein Orthopäde unbewusst mehr richtig gemacht, als er und ich damals ahnten. Er war für mich ein Vorbild, wie ich nie werden wollte. Danke, Dr. G.!

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