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Warkus' Welt: Die Philosophie des Schenkens

Was bewegt uns dazu, das perfekte Weihnachtsgeschenk für Tante Lili zu suchen: die Freude am Schenken? Oder doch bloß purer Eigennutz? Das fragt sich auch unser Kolumnist Matthias Warkus.
Viele verschiedene Geschenke und Pakete

Weihnachten naht unaufhaltsam. Haben Sie schon all Ihre Geschenke besorgt? Ich habe – Stand 19.12. – genau eins. Immerhin. Die Frage, warum viele Menschen sich ausgerechnet an Weihnachten gegenseitig beschenken, ist kein philosophisches Thema, sondern ein kulturwissenschaftliches; dennoch ist die Sache mit den Geschenken interessant, weil man, ganz unabhängig vom Anlass, fragen kann: Warum machen wir einander überhaupt Geschenke?

Ich erinnere mich an ein Buch aus meiner Kindheit mit Weihnachtsgeschichten. Mehrere handelten davon, dass (unsympathische) Menschen den Wert dessen, was sie jemandem vergangene Weihnachten geschenkt hatten, dagegen aufrechneten, was sie von demjenigen »zurückbekamen«. Allein das Wort klingt in diesem Zusammenhang falsch: Man verschenkt nichts, um etwas zurückzubekommen. Geschenke, die mit einer Gegenleistung verbunden sind, sind keine: Das ist Alltagswissen und geltendes Recht!

Was motiviert uns also zum Schenken, wenn es keine materielle Gegenleistung ist? Die meisten Weihnachtseinkäufer würden vermutlich sagen, dass es der Wunsch ist, jemand anderem eine Freude zu machen. Doch warum wollen wir jemandem eine Freude machen? Häufig leitet uns auch dabei sicherlich die Hoffnung auf eine Art vage, immaterielle Gegenleistung: Wir möchten gemocht werden, Eindruck machen, im Gedächtnis bleiben.

Gibt es eine bessere Möglichkeit, sich selbst etwas Gutes zu tun, als einem Blinden über die Straße zu helfen?

Was aber, wenn all das nicht der Fall ist? In vielen Beziehungen und Familien werden Zuneigung und Aufmerksamkeit untereinander nicht sonderlich durch Geschenke beeinflusst. Stellen wir uns zum Beispiel eine Familie vor, in der jahrelang alle mit der Regelung »Wir schenken uns nichts« glücklich waren, wo jedoch – einfach so, zur Abwechslung – nach längerer Zeit auf einmal wieder Präsente ausgetauscht werden. Was treibt uns dann an, unter solchen Bedingungen Geld, Arbeit und Gedanken darauf zu verwenden, eine schöne Überraschung für Tante Lili zu finden und eine komplizierte Schleife darum zu binden?

Die größte Bauchpinselei

In der Moralphilosophie gibt es eine theoretische Position, deren Vertreter sagen würden: Schenken ist, so sehr wir uns auch dagegen wehren, am Ende dennoch nichts als reiner Eigennutz. Wenn wir etwas tun, was anscheinend keinen anderen Zweck hat, als Tante Lili zu erfreuen, dann tun wir es in Wirklichkeit, weil wir selbst uns gut fühlen, wenn Tante Lili sich freut. Ist das Gefühl, jemand anderem ohne jeden Hintersinn etwas Gutes getan zu haben, nicht die größte Bauchpinselei? Gibt es eine bessere Möglichkeit, sich selbst etwas Gutes zu tun, als einem Blinden über die Straße zu helfen oder einer unbekannten Bettlerin einen Fünfer in die Hand zu drücken? »Welch Verführung, zu schenken! Wie angenehm ist es doch, freundlich zu sein!«, schreibt etwa Bertolt Brecht. Und alles, was wir mit Hintersinn tun, ist natürlich erst recht eigennützig.

Folgt man dieser Betrachtungsweise, dann ist es gar nicht möglich, dass Menschen etwas wirklich uneigennützig tun. Wenigstens das gute Gefühl muss ja immer für einen selbst herausspringen. Man spricht hier von »psychologischem« oder »logischem Egoismus« – im letzteren Fall geht man sogar davon aus, dass der Mensch nicht bloß zufällig so beschaffen ist, dass er immer eigennützig handelt, sondern dass definitionsgemäß jedes Handeln egoistisch ist und das auch gar nicht anders sein kann. Solche Vorstellungen haben Ethiker seit jeher umgetrieben, teils bis zu dem Punkt, jedes menschliche Handeln abzuwerten, das nicht rein aus Pflicht geschieht. Allerdings lässt sich kaum in Abrede stellen, dass es Handlungen gibt, bei denen es schwer ist, den angeblichen Eigennutz zu unterstellen: beispielsweise bei jeder Selbstaufopferung, die im Dienst eines anderen geschieht. Dass es egoistisch sein soll, jemanden unter Gefährdung des eigenen Lebens aus einer brennenden Wohnung zu retten, ist schwer zu begreifen.

Doch was heißt das nun letztlich fürs Schenken? Machen wir alle Geschenke bloß indirekt uns selbst? Oder blitzt vielmehr unter den richtigen Umständen im Schenken eine Fähigkeit des Menschen auf, völlig selbstlos zu handeln? Oder ist das vielleicht wiederum lediglich eine Sache der Perspektive?

Wenn Sie sich solche Fragen stellen, dann sind Sie Teil einer lange währenden Diskussion, die auch außerhalb der Philosophie Relevanz hat: Dass Menschen grundsätzlich egoistische »Nutzenmaximierer« sind, unterstellen zum Beispiel auch Handlungstheorien, an denen sich weite Teile der Wirtschaftswissenschaften orientieren. Ob Ihnen dieses Wissen nun nutzt oder ob Sie es eigentlich nicht einmal geschenkt haben wollen, können allerdings tatsächlich nur Sie selbst entscheiden.

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