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Leseprobe »Hässliche Wörter«: Wissenschaft: Mit Geschwätzologen in die Expertokratie

Das Buch versammelt die häufigsten und abstrusesten Schmähwörter und gibt so einen zutiefst verstörenden Blick in die sprachlichen Abgründe neurechter Weltbilder. Eine Leseprobe
Auf einer Tastatur sind zwei besonders markierte Tasten: eine für die Wahrheit und eine für Fake News.

Was geschieht, wenn ein AfD-Landtagsabgeordneter sagt, Zuwanderer seien elfmal so kriminell wie der Rest der Bevölkerung? Oder wenn eine AfD-Spitzenpolitikerin behauptet, es sei eine Verkürzung, völkisch als rassistischen Begriff zu bezeichnen? Nach Aufschrei und Entrüstung kommen in der Presse Expertinnen und Experten zu Wort, die solche Aussagen einordnen. Die faktenbasiert darstellen, dass Zuwanderer häufiger sozialen Gruppen zuzuordnen sind, in denen Kriminalität unabhängig von der Herkunft häufiger vorkommt. Und die aus historischen Quellen belegen können, dass der Begriff des Völkischen spätestens seit der NS-Zeit rassistisch grundiert wurde. Dass eine solche Differenzierung und faktenbasierte Klarstellung von den betreffenden Politikern als hinderlich für die Durchsetzung ihrer politischen Agenda betrachtet wird, ist kaum verwunderlich. Und dass sie daran arbeiten, sich gegen derlei Kritik in Zukunft zu immunisieren, indem sie die Experten als parteiisch erscheinen lassen, ist zwar unredlich, aber eine zielführende politische Strategie. Denn es ist einfacher, vom Krimimärchenprofessor und der Sprachverdummungswissenschaftlerin zu sprechen als sich umständlich mit Argumenten auseinanderzusetzen.

Wissenschaft verfügt über keine Macht, die auf Befehl und Gehorsam beruht, denn sie kann nicht sanktionieren. Ihr kommt aber insofern Macht zu, als sie dazu herangezogen wird, als legitim akzeptierte Deutungen unserer Welt zu entwerfen, Deutungen, die auch bestimmte Handlungen zur Lösung von Problemen plausibel machen. Sie verfügt damit über Deutungsmacht. Deren Bedingung ist Autorität, eine fraglose Anerkennung, die nicht des Zwangs und der Überredung bedarf. So erwarten wir von Expertinnen und Experten in den Medien, dass sie ihre Aussagen mit Daten und Argumenten belegen können, ohne dass diese Belege in ihrem öffentlichen Statement im Einzelnen entfaltet werden müssten. Wissenschaft gilt demnach als Quelle solider Erkenntnisse und zwar besonders dann, wenn strittige Sachverhalte verhandelt werden. Gerade hier wird Wissenschaft von der Öffentlichkeit die Funktion zugeschrieben, ein Orientierungswissen bereit zu stellen, das unabhängig von gesellschaftlichen Interessen gültig ist.

Diese Auffassung widerspricht freilich in vielerlei Hinsicht dem Selbstverständnis von Wissenschaft, in der es immer auch konkurrierende Auffassungen gibt, die ihre Erkenntnisse stets als unvollständig und unsicher begreift und bestenfalls für sich in Anspruch nimmt, über die vorläufig besten Modelle oder Theorien zu verfügen. Und die sich schließlich auch darüber im Klaren ist, dass jede Forschungsarbeit mit gesellschaftlichen Interessen verwoben ist. Es ist dieser Unterschied zwischen öffentlichem Bild und tatsächlicher Logik der Forschung, den Neurechte beim Untergraben wissenschaftlicher Kompetenz und Autorität ausnutzen.

Dies tun sie einerseits dadurch, dass sie auch noch so randständigen wissenschaftlichen Positionen ein möglichst großes Forum zu schaffen suchen, um Zweifel an herrschenden Forschungsmeinungen zu säen, die nicht zur eigenen politischen Agenda passen. Denn Wissenschaftlerstreit und Professorengezänk machen es nötig, die Beantwortung gesellschaftlicher Fragen den Entscheidern in der Politik zu überlassen und nicht den Laberexperten und Geschwätzintellektuellen der Wissenschaft.

Die Geschwätzigkeit der Kultur- und Sozialwissenschaften

Der Vorwurf der Geschwätzigkeit ist Teil einer zweiten Strategie zur Diskreditierung von Wissenschaft. Diese Strategie besteht darin, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften die Wissenschaftlichkeit abzusprechen, weil sie nicht mit den Methoden der Naturwissenschaften betrieben werden. Und auch wenn man die Genese des Zweiten Weltkriegs nicht aus Naturgesetzen erklären kann und es keine Messapparate für Ausländerfeindlichkeit oder Antisemitismus gibt (und auch nicht geben kann), gilt Neurechten alles als Geschwätzwissenschaft, was nicht in Laboren experimentell erforscht oder in den Weiten des Weltraums gemessen werden kann. Mit großer Hingabe, Sprachgewandtheit und Beredsamkeit haben Neurechte zahlreiche Varianten für diesen in ihren Augen gänzlich unwissenschaftlichen Bereich akademischer Lehre und Forschung ersonnen: Dummdaherschwätzwissenschaften, Geschwätzkunde und Geschwätzologie, Babbel-, Sabbel- und Schwafelwissenschaften, Laberwissenschaft und Floskelkunde und schließlich Deutungswissenschaft und Dünnbrettbohrologie. Der Vorwurf, nur Geschwätz zu produzieren, befreit schließlich von der Notwendigkeit, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen.

Dass an erster Stelle die Kultur- und Sozialwissenschaften zum Ziel neurechter Verleumdungen werden, liegt daran, dass sie sich mit jenen Themenfeldern beschäftigen, auf denen sich die Neurechten politisch zu profilieren suchen. Integration, Kriminalität, Familie, Geschichte, nationale Identität – überall kollidiert die Vereinfachungslogik des Rechtspopulismus frontal mit der Komplizierungslogik der Wissenschaften und ihren Erkenntnissen. Und teilweise ist die neue Rechte selbst ihr Gegenstand. Etwa dann, wenn es um Extremismus, Rassismus, Diskriminierung oder Hassrede geht. Was liegt da näher, diese Wissenschaftszweige pauschal für unwissenschaftlich zu erklären? Etwa durch Anführungszeichen wie in Kultur»wissenschaften« und Geistes»wissenschaften«, durch Einschieben einer Negationssilbe wie in Sozial(un)wissenschaften und Nichtwissenschaften oder durch Hinzufügung von Wortbestandteilen, die den Täuschungscharakter signalisieren wie in Schein-, Möchtegern- und Pseudowissenschaften.

Beliebtes Ziel neurechter Kommentatoren ist die als Soziolaberologie und Soziofuzzi-Afterwissenschaft verunglimpfte Soziologie. Für Neurechte ist sie eine Wissenschaft, in der Soziologie-Gaukler ihre Schwafel-Meinungen und ihren Soziologen-Hirndünnschiss mithilfe von Soziologen-Schwafeltechniken und standardisierten Soziologen-Textbausteinen als unverständliches, gleichwohl manipulatives Soziologie-Neusprech aussondern. Nicht minder kritisch verfolgen Kommentatoren rechter Online-Medien die Politikwissenschaft. Insgesamt als Polit-Laberquatsch-Pseudowissenschaft und Politgeschwätzwissenschaft verleumdet, steht besonders die Forschung zum Rechtsextremismus im Fokus neurechter Schimpfwortkreationen. So ist es Mode, den Namen der Teildisziplin mit einem Trademark-Zeichen zu versehen (»Rechtsextremismusforschung«®), um sich über den Alleinvertretungsanspruch der Disziplin in Bezug auf einen vermeintlich leeren Markennamen ohne Markenkern lustig zu machen. Dazu werden Extremismusforscher als Anti-Rechts-Hysteriker, ExtremMistMuss-Forscher und Rechtshand-Extrem-Wichsexperten mit dem Ziel verspottet, Rechtsextremismus zu verharmlosen oder gleich als Hirngespinst käuflicher »Open Society«-Soziologen abzutun.

Warum es Gender Studies gar nicht geben kann

Den massivsten Angriffen von Rechts sind freilich die Gender Studies ausgesetzt, die in rechten Onlinemedien zu einem wahren Popanz aufgebaut werden. Für Neurechte erwächst soziale Ungleichheit aus biologischen Faktoren und genetischen Veranlagungen. Dieses Prinzip hat überall Gültigkeit, außer wenn Männer oder Deutsche betroffen sind. Dann sind selbstverständlich Diskriminierung und Sexismus am Werk.

Darüber hinaus kann es gesellschaftliche Prägungen von Geschlechterrollen in der Welt der Neurechten nicht geben. Denn Biologie und Genetik erklären alle Unterschiede vom niedrigen Anteil von Frauen in Chefetagen, über den Gender-Paygap bis hin zur ungleichen Verteilung der Arbeit im Haushalt. Eine Wissenschaft, die sich mit der Frage beschäftigt, wie und warum sich zu unterschiedlichen Zeiten bestimmte Geschlechterrollen herausgebildet haben, hat daher in neurechten Augen gar keinen Gegenstand. Sie hat den Status von Zauberei (Gender-Mainstreaming-Hokuspokus, Gender-Voodoo) oder verdankt sich einer kollektiven Psychopathologie (Gender-Gagaismus, Gender-Irrsinn, Genderwahnsinn). Für manche Neurechte hat die Gender»wissenschaft« auch den Charakter einer Religion, weswegen sie gerne von Genderreligionswissenschaft, Genderfundamentaltheologie und Gender-Studies-Schriftgelehrtinnen schreiben. Wieder andere sehen in der Genderwissenschaft ein kriminelles Geschäft namens Gender-Geldstreaming, mit dem sich die ansonsten zu nichts tauglichen Genderverbrecher_X_innen aus der Gender-Sozio-Bande einen Platz an den staatlich alimentierten Fresströgen sichern. Das Bild, das Neurechte von den Gender Studies an den Universitäten zeichnen, sieht etwa so aus: An Gender_(In)Kompetenzzentren führen Gender-Lehrstuhlalimentierte Gender-Sozialexperimente an Studierenden durch. Universitäten sind zu Gender-Mainstream-Fördereinrichtungen, Gender-Umerziehungslagern und zu Gender-Tröten-Kampfbereichen geworden, an denen Gender-Politoffiziere, Gendergleichschaltungs-Taliban_innen und Gender-Gestapo dafür sorgen, dass niemand von der Gender-Dogmatik abweicht. Und so phantasieren sich Neurechte in die heroische Rolle von Gender-Outlaws, Gender-Mainstreaming-Gotteslästerern und Gender-Dissidenten, wenn sie einen Kommentar gegen den Gender-Gap absetzen oder geschlechtergerecht-ironisch Mensch_In_nen schreiben.

Die Muster, die bei der Ablehnung der Gender Studies zum Einsatz kommen, werden auch auf andere Zweige der Kultur- und Sozialwissenschaften übertragen. Die Geisteswissenschaften werden ebenso als Ergebnis einer abnormen Psyche gedeutet und als Geisteskrankwissenschaften oder Bekloppski-Pseudowissenschaften geschmäht. Und die Sozialwissenschaften werden als Firlefanz- und Larifariwissenschaft abgetan, aus denen als Schwachsinns- und Sinnloswissenschaften kein gesellschaftlicher Nutzen entstehe. Überhaupt kein Nutzen? Das wäre zu kurzsichtig gedacht. Denn auch, wenn Kultur- und Sozialwissenschaften gesamtgesellschaftlich gesehen für Neurechte Nichtsnutz»wissenschaften« sind, erfüllen sie doch eine politische Funktion. Auf diese Funktion zielen Neurechte mit Schmähnamen wie Gesinnungswissenschaft, Ideologiewissenschaft oder Pseudogutmenschenwissenschaft. Mit ihnen behaupten sie, dass diese Wissenschaften der Durchsetzung gesellschaftlicher Zwecke dienten und diese Zwecke im Bereich linker Ideologien zu suchen seien. Welche Zwecke sie im Fall der Gender Studies unterstellen, zeigt sich an Wortzusammensetzungen, in denen Gender vorkommt. Da werden die Gender Studies als Öko-Gender-Multikulti-Ideologie bezeichnet, Interessierte an diesem Feld als Gender-Antifa-Refugeewelcome-OneWorld-BANDE betitelt und ihre Absichten als sozialistisch-genderistisch-islamophil beschrieben.

Käufliche Wissenschaft

Doch der Vorwurf, nicht der reinen und objektiven Erkenntnis zu dienen, sondern im Dienst einer politischen Agenda zu stehen, trifft bei weitem nicht nur die Kultur- und Sozialwissenschaften. Es handelt sich vielmehr um die dritte Strategie der Neurechten zur Diskreditierung von Wissenschaft, sie ganz allgemein als käuflich, befangen oder gar weisungsgebunden darzustellen. Der Vorwurf, dass Wissenschaft von einigen nicht mit Leidenschaft für die Wahrheit betrieben, sondern lediglich als Brotberuf ausgeübt werde, der sich in Schmähausdrücken wie Brotwissenschaftler, Dönerwissenschaftler oder in etwas abgewandelter Form in Rotweinsoziologe findet, ist noch eher harmlos. Schwerer wiegt die Unterstellung, Forscherinnen und Forscher verfälschten aufgrund moralischer oder ideologischer Voreingenommenheiten die Ergebnisse ihrer Forschung. Der Vorwurf lautet auf absichtliches Ignorieren von Fakten, die nicht in das eigene ideologische System passen (Lücken-Wissenschaft), und auf eine von moralischen Werten gelenkte Wahl des Forschungsgegenstandes (Gesinnungs-Forschung, Wertwissenschaft, Haltungswissenschaft). Dass Forschung obendrein noch von vermeintlichen Linkswissenschaftlern und Partei-Professoren betrieben wird, denen Neurechte unterstellen, sie seien Graswurzelakademiker, Uni-Aktivisten und Gutmensch-Professoren, soll die Defizite der Wissenschaft als Defizite der sie betreibenden Personen denunzieren.

Jenseits solcher, aus sich heraus geschöpfter Motivation gibt es aus Sicht neurechter Kommentatoren aber auch äußere Anreize, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu verleiten, gegen forschungsethische Gebote zu verstoßen. So können wechselseitige Abhängigkeiten zu Gefälligkeitswissenschaft führen, in der Ergebnisse so frisiert werden, dass sie zur politischen Agenda Dritter passen. Häufiger unterstellen Neurechte aber, dass bestimmte Forschungsergebnisse nur deshalb zustande gekommen seien, weil sie von politischer Seite in Auftrag gegeben wurden. Bezahlwissenschaftler-Schergen machen sich dann durch Auftragsforscherei zu Erfüllungsgehilfen der Mächtigen. Dabei werden Schmähausdrücke wie Regierungswissenschaftler oder Merkel-Akademiker nicht erst seit der Pandemie verwendet. Wenn auch der eine oder andere an Auftragsforschung noch nichts Anstößiges finden mag, so dürfte spätestens mit dem Vorwurf der Bestechlichkeit die Integrität von Wissenschaft und Forschung gänzlich untergraben sein. Mit Vorliebe sprechen Neurechte daher von Schmiergeldwissenschaft und Prostitutionswissenschaft, von Forschungsbetrug, Wissenschaftshuren und Forschungskriminalität, wenn die Ergebnisse einer Studie mal wieder nicht die eigenen Vorurteile bestätigen.

Einigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern werfen Neurechte gar vor, sie benutzten ihre Forschung, um politische Gegner zu diffamieren. Dies nennen sie Entlarvungswissenschaft, Empörungs- und Kampagnenwissenschaft und diejenigen, die sie betreiben Unterstellungswissenschaftler und Hetz-Professorinnen. Sie betreiben letztlich Legitimationswissenschaft für die herrschende Klasse und seien daher Herrschaftswissenschaften, die den gesellschaftspolitischen Status quo zementieren. Dass dies gelingt, dafür sorgen die beamtenrechtliche Vollversorgung des Universitätsestablishments, die Professoren-Kamarilla und die Forschungskartelle, die angeblich jede Abweichung vom wissenschaftlichen Mainstream unterdrücken und sanktionieren. Wissenschaft, die sich so in den Dienst einer Sache stelle, verkomme zur bloßen Propaganda-Wissenschaft.

So weit ist es nach Ansicht der neuen Rechten also schon mit der Wissenschaft gekommen. Man darf getrost verwundert sein, dass Flugzeuge noch immer fliegen, Impfungen immunisieren und der Zweite Weltkrieg weiterhin vor dem Ersten datiert ist, wenn man sich das angebliche Ausmaß der Korruption, Manipulation und Servilität in den Wissenschaften vor Augen führt, das in rechten Onlinemedien behauptet wird. Zwar sind die Gender Studies zusammen mit anderen Kultur- und Sozialwissenschaften das häufigste Ziel neurechter Angriffe. Längst werden aber auch andere Disziplinen in den Fokus der Kritik gerückt, die sich bislang als vermeintlich harte Wissenschaften für nicht politisierbar hielten.

Auch Naturwissenschaften sind Propagandawissenschaften

An erster Stelle müssen hier Meteorologie, Geographie, Geologie, Ozeanographie und Physik genannt werden, die als Teil der Klimawissenschaften zur Zielscheibe wissenschaftskritischer Anwürfe werden. Klimaforschung ist in neurechten Augen keine Wissenschaft, sondern Klima-Kaffeesatzleserei. Entsprechend steht für Neurechte fest, dass die Behauptung eines menschengemachten Klimawandels nicht auf Fakten basiert, sondern die »Fälschung einer staatlich alimentierten Wissenschaftsmafia« ist, wie ein Kommentator feststellt. Die Bezeichnung Klimawandelwissenschaftler ist daher in rechten Kreisen schon ein Schimpfwort. In Ausdrücken wie Klimaschutz-Professor, Klimakatastrophenwissenschaftler oder Klimawandelhysteriker wird deutlich, dass Neurechte den wissenschaftlichen Akteuren eine Agenda und bewusste Panikmache unterstellen. Indem sie das gesamte Forschungsfeld als Klimapanikwissenschaftsbranche diskreditieren, unterstellen sie obendrein wirtschaftliche Absichten. Klimawandel, so wird behauptet, sei eine Jahrhundertgeschäftsidee, die obendrein noch der Unterdrückung der Bevölkerung diene. So sei der Klimawandel eine Erfindung westlicher Eliten und ein Mittel zur Versklavung freier Bürger. Klimawissenschaft ist aus dieser Sicht nichts anderes als rote Propaganda und Klimawandel-Agitprop im Dienst der aufkommenden Diktatur namens Klimatotalitarismus, Klimaschutzbolschewismus und Welt-Klimasozialismus.

Auch die Medizin ist im Zuge der Corona-Pandemie in rechten Kreisen weiter in Verruf geraten. Dass sie von esoterisch und alternativmedizinisch orientierten Rechten als Quacksalberwissenschaft, Schul-»Medizin« oder Establishment-Medizin bezeichnet wird, ist nicht neu. Neu ist aber, dass ihre Vertreter bezichtigt werden, als Gesinnungs»mediziner« Teil einer elitären Medizin-Verschwörung zu sein. Des Medizin-Terrorismus gegen die Bevölkerung werden vor allem die Hof- und Staatsvirologen beschuldigt. Ihnen werfen Neurechte vor, als Küchen-Virologen, Wirrologen und Davon-Ausgeher-»Virologen« ihr Handwerk nicht zu verstehen. Oder schlimmer, als ViroLOGen, Virolügen und Impf-Schwindler die Bevölkerung hinters Licht zu führen. Die PANIK-MAFIA-Virologen agieren natürlich nicht allein, sondern formen zusammen mit der Politik eine Merkel-Virolügen-Junta, die die Regierungsform der Virokratie begründet hat, in der Impfmörder straffrei ausgehen.

Die Beispiele zeigen, dass jede Wissenschaftsdisziplin zum Ziel neurechter Diffamierungen werden kann, wenn ihre Ergebnisse von der Politik als orientierendes Wissen herangezogen werden und die Maßnahmen, die aus diesem Wissen abgeleitet werden, nicht mit den Zielen der politischen Rechten im Einklang stehen. Wissenschaftliches Wissen wird von Neurechten dann zur bloßen Meinung degradiert, die sich finanziellen, ideologischen oder machtpolitischen Interessen verdankt. Das von Neurechten gezeichnete Zerrbild der Expertokratie ist deshalb so effektiv, weil es anschlussfähig an andere Bestandteile neurechter Ideologie ist. Zum einen ist dies die Gegenüberstellung von Volk und Eliten als antagonistische Gruppen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind für Neurechte Teil jener Eliten, die vom Volk entfremdet aus eigennützigen Motiven handeln, ohne sich um das Gemeinwohl zu scheren. Gegen diese Eliten gilt es das Volk zu verteidigen. Expertenrat einzuholen und diesem auch noch zu folgen, kann vor diesem Hintergrund als Einschränkung der Volkssouveränität gedeutet werden. Beschwerden, dass der als Charité-Lockenkopf und Voll-Drosten verspottete Virologe Christian Drosten nicht gewählt sei und ihm daher ein Mandat fehle, werden aus dieser Logik heraus nachvollziehbar.

Gesunder Menschenverstand und wissenschaftliche Erkenntnisse

Zum anderen ist es die Ideologie des gesunden Menschenverstands, die Neurechte für Wissenschaftskritik und Skeptizismus empfänglich macht. Mitbegründer Bernd Lucke nannte die AfD einst die »Partei des gesunden Menschenverstands«, obwohl er als Professor für Makroökonomie selbst zur in neurechten Kreisen verachteten akademischen Elite gehört. Nicht erst seither gehört es zur Strategie der Neurechten, den aus alltäglicher Erfahrung gebildeten, praktisch orientierten und von keinen Interessen verdorbenen Verstand des gemeinen Volkes gegen das unnötig verkomplizierte, ideologisch verbildete und anmaßende Expertenwissen abgehobener Akademiker in Stellung zu bringen. Diese Gegenüberstellung lässt freilich außer acht, dass Wissenschaft nicht ohne Common Sense auskommt und in der Wissensgesellschaft wissenschaftliche Denkweisen überall in der Gesellschaft zur Anwendung kommen. Gesunder Menschenverstand und wissenschaftliches Denken schließen sich daher keinesfalls aus. Wer diesem Antagonismus allerdings aufsitzt, neigt dazu, jede Form wissenschaftlichen Wissens abzulehnen, die nicht zu den eigenen Vorurteilen passen will.

Wissenschaft ist vielfältig und kann kompetent nur aus der Perspektive ihrer Domäne argumentieren. Politische Entscheidungen müssen aber auch andere Perspektiven berücksichtigen. Die Vorstellung, Wissenschaft stelle verbindliches Orientierungswissen bereit, ist daher irrig. Slogans wie »Follow the science«, »der Wissenschaft folgen«, bekräftigen falsche Vorstellungen von der Gültigkeit von Wissen, befeuern unbegründete Ängste vor einer alternativlosen Expertokratie und spielen so Neurechten in die Karten.

Zusammenfassung

Ähnlich den Medien wird auch die Wissenschaft von Neurechten als unabhängige Quelle von Wissen zunehmend in Misskredit gebracht. Im Schimpfwortschaftz wird sichtbar, dass Neurechte Wissenschaft als politisch abhängig (»Regierungswissenschaft«), käuflich (»Schmiergeldwissenschaft«) und ideologiegeleitet (»Gesinnungswissenschaft«) diffamieren. Das Kapitel zeigt zudem, dass von dieser Diskreditierung nicht nur die Geistes- und Sozialwissenschaften (»Geschwätzwissenschaften«, »Sozio-Neuschwätzwissenschaften«) betroffen sind, sondern im Zuge der Debatte um Klimawandel und Pandemiebekämpfung zunehmend auch Naturwissenschaften (»Klimapanikwissenschaft«) und Medizin (»Quacksalberwissenschafts-Taschenspieler«) zu Handlangern einer vermeintlich korrupten politischen Klasse stilisiert werden.

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