Direkt zum Inhalt

Lexikon der Astronomie: Comptonisierung

Comptonisierung

Unter Comptonisierung versteht man einen speziellen Vorgang, bei dem Strahlung durch Streung an einem TeilchenEnergie gewinnt.

Etwas genauer gesagt...

Comptonisierung (engl. Comptonization) ist ein weit verbreiteter Begriff in der Astronomie und ist ein Ersatzwort für inverse Compton-Streuung (oft kurz IC). Etwas komplizierter formuliert als zu Beginn wird aus niederenergetischer Strahlung durch die Streuung an hochenergetischen Teilchen (z.B. ultrarelativistischen Elektronen) hochenergetische Strahlung. Man beschreibt Comptonisierung mathematisch mit einer komplizierten Integro-Differentialgleichung, der Kompaneets-Gleichung, die man numerisch für vorgegebene Elektronenverteilungen, Eingangsstrahlung und Geometrien lösen muss. Numerische Comptonisierung ist ein außerordentlich kompliziertes Gebiet der theoretischen Astrophysik. Lösungen findet man dabei nur durch starke Vereinfachungen oder Ausnutzung von Symmetrien.

Bezug zur Astrophysik

Der Comptonisierungsprozess spielt vor allem bei der Akkretion auf stellare Schwarze Löcher in Röntgendoppelsternen und supermassereiche Schwarze Löcher in Aktiven Galaktischen Kernen (AGN) eine gewichtige Rolle. In einer heißen Korona, die sich vermutlich sehr nahe am Ereignishorizont des Loches befindet, treffen weiche 'Saatphotonen' der kalten Standardscheibe oder weiche Photonen der kosmischen Hintergrundstrahlung (CMBR) auf heiße, ultrarelativistische Elektronen. Dabei werden sie zu hohen Energien (Röntgen- oder Gammaquanten) hin gestreut und kühlen auf diese Weise das heiße Plasma der Korona. Man sagt, die niederenergetische Eingangsstrahlung der Umgebung wurde Comptonisiert. Die Abbildung oben illustriert schematisch den Streuakt. Links laufen ein hochenergetisches ('heißes') Elektron und ein niederenergetisches Photon (rot dargestellt) ein. Im Zentrum ereignet sich die inverse Compton-Streuung. Danach laufen rechts ein hochenergetisches Photon (blau dargestellt) und ein niederenergetisches ('gekühltes') Elektron aus.

Comptonisierte Spektren

Im Spektrum offenbart sich dieser Strahlungsprozess als breites Kontinuum vom keV- bis in den MeV-Bereich (oder mehr) hinein. Zu hohen Energien gibt es im Spektrum einen charakteristischen, exponentiellen Abfall (engl. exponential cut-off), aus dessen Lage man direkt die Plasmatemperatur der Korona ableiten kann!
Die Dynamik und Morphologie von Akkretionsflüssen wird entscheidend geprägt von Magnetfeldern. Das Plasma in Akkretionsscheiben lässt sich wie eine geladene Flüssigkeit beschreiben. Das ist die Domäne der Magnetohydrodynamik, einer elektrodynamischen Erweiterung der Navier-Stokes Gleichungen der Hydrodynamik. Magnetfelder sind in heißen Quellen allgegenwärtig: Sie werden vom Plasma mitgeschleppt, deformiert und befinden sich auch vor dem galaktischen Hintergrund. Deshalb kommt es zur Emission von Synchrotronstrahlung, wenn geladene Spezies des Plasmas in Magnetfeldern beschleunigt werden. Diese Strahlung hat einen Bezug zur Comptonisierung. Denn auch die Synchrotronstrahlung kann die erforderlichen Saatphotonen stellen, die Comptonisiert werden. Wenn an dem Plasma, das die Synchrotronstrahlung emittiert selbst die Comptonisierung stattfindet, spricht man von Synchrotron Selbst-Comptonisierung (engl. synchrotron self-compton, SSC). Im Spektrum lässt sich das identifizieren, weil neben dem charakteristischen, niederenergetischen 'Synchrotronbuckel' ein hochenergetischer 'Comptonisierungsbuckel' auftritt. Diese Spektren beobachtet man insbesondere bei einigen Jets von AGN. Der Synchrotronbuckel befindet sich hier im Radiobereich, während man den Comptonisierungsbuckel im Röntgenbereich beobachtet.
Wie angedeutet, spielen die heißen Elektronen die Rolle der Streuzentren für die Comptonisierung in der Korona. Interessant ist die Frage, welche Ansätze für die Elektronenverteilungen gemacht werden können. Elektronenverteilungen geben die Anzahl der Elektronen – die Häufigkeit – über ihrer Geschwindigkeit oder besser ihrer Energie wider. In der klassischen Gastheorie kennt man die Maxwell-Verteilung. Sie ordnet jedem Geschwindigkeitswert eine bestimmte Anzahl an Gasteilchen zu. Typischerweise steigt die Maxwell-Verteilung steil an, fällt wieder ab und zeigt einen langen aber flachen Ausläufer der Verteilung bei hohen Geschwindigkeiten/Energien: den 'Maxwell-Schwanz' (engl. Maxwellian tail). Die Elektronen in der Korona verhalten sich bei den typischen, hohen Koronatemperaturen von 105 bis 107 Kelvin nicht mehr wie ein klassisches Maxwell-Gas. Sie sind sehr schnell, d.h. relativistisch. Ist die Elektronenverteilung thermisch beschreibt man sie mit einer relativistischen Maxwell-Verteilung. Die Emission dieser Verteilung heißt in der Astrophysik Zyklotronstrahlung (engl. cyclotron radiation). Ist die Elektronenverteilung nicht-thermisch und ultrarelativistisch, verwendet man Potenzgesetze, die bei kleinen und hohen Energien abgeschnitten werden. Erst diese nicht-thermische Emission ist die Synchrotronstrahlung (engl. synchrotron radiation).
In kosmischen Quellen findet man häufig beide Strahlungsformen. Solche Modelle werden für das Zentrum der Milchstraße angewendet, um die Beobachtungsdaten verschiedener Spektralbereich anzupassen. Bei der kompakten Radioquelle Sgr A* befindet sich ein supermassereiches Schwarzes Loch von drei bis vier Millionen Sonnenmassen. Es wird kaum mit Gas versorgt, um zu akkretieren. Deshalb ist der Strahlungsfluss stark unterdrückt – eine große Herausforderung für die Theoretiker.

  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.