Lexikon der Astronomie: Teilchen
Die kaum zu überschauende Zahl der Teilchen in der physik könnte man als 'Teilchenzoo' bezeichnen. Eine augenzwinkernde Bezeichnung, sprachlich gesehen eine Metapher ist: ebenso bunt und vielfältig wie die Fauna im Zoo ist, sind Zahl und Eigenschaften der Teilchen. Im strengeren Sinne unterscheiden Physiker Elementarteilchen, die keine weitere Substruktur haben, von zusammengesetzten Teilchen. Weiterhin gibt es zahlreiche Termini, die Teilchen unter einem bestimmten Charakteristikum zusammenfassen.
Welle und Teilchen
Die echten Elementarteilchen in der Teilchenphysik sind die Leptonen und die Quarks. Sie sind nach allem, was wir heute wissen und was das Standardmodell der Teilchenphysik aussagt, punktförmig. Diese Punktförmigkeit mag der ein oder andere Zeitgenosse mit Widerwillen zur Kenntnis nehmen; letztendlich ist sie eine Eigenschaft im Teilchenbild. Die Quantentheorie entlarvte die Teilchen als Wolf, der manchmal im Schafspelz daherkommt und manchmal nicht: der Welle-Teilchen-Dualismus besagt, dass man Teilchen auch als Welle beschreiben kann. Mit der Welle wird auch die Aussage zur Punktförmigkeit hinfällig, denn Wellen sind ausgedehnte Gebilde.
Hadronen, Mesonen, Baryonen, Nukleonen – alles nicht ohne
Der Baukasten aus elementaren Quarks und Leptonen bringt nun die Vielfalt des Teilchenzoos mit sich. Die sechs Quarks können als Bausteine für zusammengesetzte Teilchen dienen. Diese Hauptgruppe nennt man die Hadronen. Hadronen werden in Untergruppen klassifiziert: Exakt zwei Quarks setzen sich zu Mesonen zusammen. Baryonen hingegen bestehen immer aus genau drei Quarks. Die Nukleonen (Kernteilchen) sind die beiden Teilchentypen im Atomkern, Proton und Neutron (und deren Antiteilchen). Beide gehören zu den wohl bekanntesten Baryonen.
Die Mesonen werden weiter unterteilt, nach bestimmten Teilcheneigenschaften, also nach Quantenzahlen. Die bekanntesten Mesonen sind die Pionen und die Kaonen, aber es gibt noch weit exotischere Teilchen, wie charmante (die nennt man wirklich so!) Mesonen (die c-Quarks enthalten) oder seltsame Mesonen (die s-Quarks enthalten), das J/Psi-Teilchen, Charmonium, Bottomium etc.
weitere Teilcheneigenschaften
Diese Teilchen kann man durch Quantenzahlen wie Spin, Isospin, schwachen Isospin, Parität, elektrische Ladung, Farbladung, schwache Ladung, Hyperladung, Seltsamkeit etc. sehr gut voneinander unterscheiden.
Hyperonen sind seltsam
Bei den Hyperonen handelt es sich um besonders schwere, seltsame Baryonen, die demnach vollkommen neue Konstituenten aufweisen, als die gewöhnliche Materie, nämlich seltsame Quarks (s-Quarks). Daneben gibt es noch Delta-Baryonen und Bottom-Baryonen (enthalten b-Quarks).
Die drei Leptonenfamilien e, μ, τ
Lässt man von Quarkmaterie ab und wendet sich der zweiten fundamentalen Elementarteilchenklasse zu, den Leptonen, so findet man auch hier Unterklassen. Sie werden in drei Generationen unterteilt. Es handelt sich um die Elektron-, die Myon- und die Taufamilie. Die bekanntesten Leptonen sind wohl das Elektron und dessen Antiteilchen, das Positron. Daneben kennt man die Myonen, die im Prinzip 'schwere Elektronen' sind und die Tauonen (Tau-Teilchen), die noch schwerer sind. Die Trichotomie (Dreiteilung) kann mithilfe des schwachen Isospinsgruppentheoretisch erklärt werden. Die drei Familien wurden auch experimentell anhand des Zerfalls des neutralen Z-Bosons mit einer 95%igen Sicherheit verifiziert. Denn das Z-Teilchen kann in ein Paar zweier Leptonen zerfallen, nämlich Lepton und Antilepton. Im Experiment wurden nur drei Zerfallskanäle gefunden: Elektron und Positron, Myon und Antimyon, Tauon und Antitauon. Das ist der wichtigste, experimentelle Nachweis für die drei Leptonengattungen.
Fast ein Nichts von Teilchen: Neutrinos
Die Neutrinos zählen ebenfalls zu den Leptonen und können in die drei Familien eingeordnet werden: Elektron-Neutrino, Myon-Neutrino und Tau-Neutrino. Zwischen diesen Familien können sie sogar wechseln und sich ineinander umwandeln, man spricht von Neutrinooszillation. Diesem Prozess unterliegen die Neutrinos, die von der Sonne kommen und im Sonneninnern als Nebenprodukt bei der thermonuklearen Fusion (genauer: pp-Kette) entstehen.
Teilchenhochzeiten
Auch Leptonen können sich paaren: Bei sehr tiefen Temperaturen finden sich in bestimmten Festkörpern, den Supraleitern, zwei Elektronen zusammen. Sie bilden einen gebundenen Zustand, den man nach einem der Pioniere der Supraleitung Cooper-Paare nennt. Der Zusammenschluss dieser zwei Fermionen ist von bosonischer Natur und ändert schlagartig die Leitungseigenschaften des Materials. Ein Analog zur Supraleitung der Elektronen ist die Supraleitung der Quarks, die so genannte Farbsupraleitung. Hier paaren sich fermionische Quarks zu bosonischen Diquarks. Bei hohen Dichten wird dieser Materiezustand relevant und wird im Zusammenhang mit Neutronensternen diskutiert. Die Zustandsgleichung der Neutronensternmaterie würde sich durch die Quarkpaarung verändern.
Kraftteilchen und Standardmodell
In den Quantenfeldtheorien kennt man die Eichbosonen, bosonische Teilchen, die die jeweilige Wechselwirkung (elektromagnetisch, gravitativ, stark, schwach) vermitteln. Dies sind
- das masselose, elektrisch neutrale Photon der QED,
- die massebehafteten, geladenen W-Bosonen und das elektrisch neutrale Z-Boson der schwachen Wechselwirkung,
- die acht masselosen, farbgeladenen Gluonen der QCD
- und das nur hypothetische, also nicht nachgewiesene Graviton der Quantengravitation (beispielsweise in den Stringtheorien).
Zusammengezählt sind das 1 + 3 + 8 + 1 = 13 Eichbosonen, von deren Existenz die Physiker ausgehen. Im Standardmodell der Teilchenphysik gibt es noch ein weiteres wichtiges Teilchen, das ebenfalls noch nicht experimentell verifiziert werden konnte: das Higgs-Teilchen. Es ist besonders massereich ist und daher noch nicht in Teilchenbeschleunigern nachgewiesen worden. Die Teilchenphysiker hoffen mit jeder neuen Beschleunigergeneration auf die Verifikation (ab 2007: LHC am CERN). Das Higgs-Teilchen ist erforderlich, um aus masselosen Eichbosonen massebehaftete zu machen, wie im Falle der W-Teilchen und des Z-Teilchens. Das Higgs-Boson gehört wiederum zur Klasse der Nambu-Goldstone-Bosonen, die immer an einer spontanen Symmetriebrechung beteiligt sind. Die Zahl der Eichbosonen wird in den Großen Vereinheitlichten Theorien signifikant erweitert: hier leitet man weitere 12 X-Bosonen ab, die natürlich ob des immens hohen Energieregimes (E ~ 1016GeV) weit von einem experimentellen Nachweis entfernt sind.
Nach diesem Antipasti: Antiteilchen und Antimaterie
Die Antiteilchen wurden bereits angesprochen. Zu jedem Teilchen gibt es das korrespondierende Antiteilchen mit invertierter elektrischer Ladung. Ist das Teilchen sein eigenes Anti-Teilchen nennt man es Majorana-Teilchen. Es ist möglich, die Konstituenten zusammengesetzter Teilchen ohne Ausnahme zu invertieren. Auf diese Weise kann man Antimaterie herstellen, die jedoch von der umgebenden gewöhnlichen Materie gut abgeschirmt werden muss, damit sie nicht ausschließlich in elektromagnetische Energie (Gammastrahlen) zerstrahlt. Dieser Prozess heißt Paarvernichtung oder Paarannihilation. Am CERN ist es 1995 gelungen Antiwasserstoff herzustellen: ein positiv geladenes Positron ('Antielektron') bildet ein Atom mit einem negativ geladenen Antiproton als Atomkern.
Atome & Moleküle
Dies leitet zum sicherlich bekanntesten Teilchenverbund über: dem Atom. Die Atomisten um Demokrit (460 – 371 v.Chr.) bezeichneten in der antiken Philosophie die unteilbare (grch. atomos) Einheit der Materie als Atome. Die Physik konnte erst im 20. Jahrhundert belegen, dass das, was als Atome bezeichnet wurde, keineswegs so elementar war, wie angenommen. Der Pionier war Ernest Rutherford, der 1911 in seinen Streuversuchen von α-Teilchen an Goldfolie zeigen konnte, dass Atome aus einem kleinen, dichten Atomkern und einer umgebenden Elektronenhülle bestehen. Die darauf folgende, Jahrzehnte andauernde Ausarbeitung der Quantentheorie zeigte schließlich, dass die Elektronen nicht als massive Punktteilchen den Atomkern umkreisen (Bohrsches Atommodell), sondern die Elektronen in 'Wolken' (präzise: dem Absolutquadrat der Wellenfunktion des Elektrons) um den Atomkern 'verschmiert' sind (Orbitalmodell). Miteinander verbundene Atome, die Moleküle, verdanken ihre Existenz chemischen Bindungen, die ebenfalls quantentheoretisch verstanden werden können. Die damit assoziierten Gebiete der Atom- und Molekülphysik sind das Orbital-Modell, die Hybridisierung, die Elektronenbindung, die Hartree-Fock-Theorie, die homöopolare Bindung etc.
α-, β- und γ-Teilchen
In der Radioaktivität kennt man Alpha-Teilchen, die mit dem Alpha-Zerfall assoziiert sind, Beta-Teilchen, die mit dem Beta-Zerfall zusammenhängen und Gamma-Strahlen, die bei Gamma-Zerfällen emittiert werden. Alle diese Teilchen senden radioaktive Atomkerne (Radionuklide) aus. Die Bezeichnung mit den Anfangsbuchstaben des griechischen Alphabets war zunächst in der Unkenntnis begründet, um welche Teilchen es sich handele. Experimente (die die ionisierende Wirkung der Radioaktivität ausnutzen; Nebel- und Blasenkammer, Ablenkung in elektrischen/magnetischen Feldern, Massenspektrometer etc.) enthüllten die wahre Natur dieser Teilchen:
- Alpha-Teilchen sind Heliumatomkerne, also ein Verbund aus zwei Protonen und zwei Neutronen.
- Beta-Teilchen sind je nach Beta-Zerfallstyp Elektronen oder Positronen (die zur Gruppe der Leptonen gehören).
- Gamma-Strahlen sind hochenergetische, elektromagnetische Wellen oberhalb die sich an den Bereich der Röntgenstrahlung anschließen.
Bosonen, Fermionen und statistische Physik
In der statistischen Physik unterteilt man sämtliche Teilchen in zwei Gruppen: in Bosonen, Teilchen mit ganzzahligem Spin, und in Fermionen, Teilchen mit halbzahligem Spin. Das Unterscheidungskriterium ist also der Spin. Das Spin-Statistik-Theorem grenzt beide Teilchengruppen scharf voneinander ab (identische versus unterscheidbare Teilchen) und postuliert eine jeweils adäquate quantentheoretische Beschreibung. Die Konsequenzen für die Struktur der Materie sind beträchtlich und von fundamentaler Bedeutung für die Physik und den Aufbau der Materie (Periodensystem der Elemente, Bose-Einstein-Kondensate, Quantengase, BCS-Supraleitung, Farbsupraleitung, Stabilität kompakter Objekte durch fermionischen Entartungsdruck uvm.).
Quanten
In der Quantentheorie hat man auch den Quanten bestimmte Namen gegebenen und so Teilchengruppen definiert: die Photonen wurden bereits besprochen und sind die Quanten des elektromagnetischen Feldes. Der Quantisierungsapparat anderer Wechselwirkungen führt auch auf weitere Quantentypen: Die Phononen sind die Schwingungsquanten des Kristallsgitters in der Festkörperphysik. Die Magnonen sind die Quanten im Ferromagneten. Fluxonen bezeichnen die Flussquanten des magnetischen Flusses in der Theorie der Supraleitung. Vibronen sind allgemeine, quantisierte Schwingungsfreiheitsgrade, während Rotonen quantisierte Rotationsfreiheitsgrade bezeichnet. Beides wird in der Molekülphysik angewendet, wo ein Molekül seinen Energiezustand durch Austausch (Emission oder Absorption) dieser Quanten ändern kann. Im Prinzip wird jedoch beim banalen Anstoßen eines Fadenpendels eine Vielzahl von Vibronen erzeugt, die das Pendel in einen angeregten Schwingungszustand bringen.
kosmologische Teilchen
In der Kosmologie hat man ebenfalls Teilchennamen für Felder eingeführt. Quantentheoretisch betrachtet macht es keinen Sinn, zwischen Teilchen und Feld zu unterscheiden, weil sie 'zwei Seiten derselben Medaille sind'. Einen Grundstein dazu legte der Welle-Teilchen-Dualismus.
So wird die Inflation mit dem Inflaton verknüpft; ein Skalarfeld in der Theorie der Quintessenzen wird mit dem Cosmon identifiziert und die Dunkle Energie bzw. die kosmologische Konstante wird mit dem Radion in Verbindung gebracht.
WIMPs
Als WIMPs bezeichnet man alle Teilchen, die – wie die Leptonen auch – nur der schwachen Wechselwirkung unterliegen, aber eine relativ große Masse tragen. Sie sind Kandidaten für die nicht baryonische Dunkle Materie im Universum. Neutrinos gehören nicht zu den WIMPs, weil sie zu leicht sind.
Teilchen als Fäden oder Flächen
Eine Erweiterung des Teilchenbegriffs wurde durch die Stringtheorien etabliert. Sämtliche Teilchen, aber auch andere Objekte, werden hier als schwingfähige Gebilde angesehen. Im eindimensionalen Fall heißen sie Strings, im zweidimensionalen Fall sind es die Membranen, kurz Bran genannt und im allgemeinen Fall nennt man sie p-Bran mit der Dimension p. Verschiedene Teilchen werden dadurch generiert, dass unterschiedliche Schwingungszustände der p-Branen vorliegen: ein Oberton ist gewissermaßen ein neues Teilchen. Ob sich die Stringtheorien bzw. ihr übergeordnetes Konstrukt, die M-Theorie, als leistungsfähige Alternative zur konservativen Teilchenphysik entpuppt, muss noch gezeigt werden. Nach wie vor gelten die Stringtheorien als Schlüssel, um eine Quantengravitation, eine Theorie der Gravitation der starken Felder und kleinen Raumzeit-Skalen, zu formulieren. Mittlerweile hat sie in Form der Loop-Quantengravitation eine konkurrierende Theorie bekommen.
Geschwindigkeit als Kriterium zur Teilchenklassifikation
Eine Teilchenklassifikation anhand ihrer Geschwindigkeit v relativ zur Lichtgeschwindigkeit c im gleichen optischen Medium wurde auch unternommen. Hier kennt man die Tardyonen mit v kleiner c, die Luxonen mit v gleich c und die Tachyonen mit v größer c. Das Auftreten von Tachyonen würde gegen das Prinzip der Kausalität (Reihenfolge von Ursache und Wirkung) verstoßen (aber nicht gegen die Spezielle Relativitätstheorie!), daher versuchen Physiker tachyonische Theorien zu vermeiden.
supersymmetrische Teilchen
Als ob dieses Sammelsurium an Teilchen nicht schon genug wäre, denken sich die Physiker in der Supersymmetrie (SUSY) neue Teilchen aus: die SUSY-Teilchen. In einer wohl definierten Nomenklatur tauchen hier supersymmetrische Partner zu etablierten Teilchen auf: so spricht man beispielsweise von Squarks, Neutralinos und Higgsinos. Bislang wurde keines dieser SUSY-Teilchen experimentell entdeckt. Daher handelt es sich bei der SUSY bisher nur um eine zusätzliche Theorie, die sich erst noch bewähren muss.
Übung
Sie haben nun eine Reihe von Teilchen kennen gelernt, häufig charakterisiert durch das Suffix -onen, z.B. Hadronen, Bosonen, Photonen, Gluonen, Tachyonen, Selektronen, Tauonen und Cosmonen. Klären Sie in Abgrenzung dazu die Begriffe Schoschonen, Kronen und Verschonen.
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