Lexikon der Astronomie: Standardmodell
Das Standardmodell der Elementarteilchen (häufige Abkürzung SM) ist der erfolgreiche Versuch, drei der bekannten vier fundamentalen Wechselwirkungen von Materie unter einer einheitlichen Sichtweise zu verstehen. Die elektromagnetische, die schwache und die starke Wechselwirkung sind Gegenstand des Standardmodells. Die vierte Kraft, die Gravitation konnte nicht in das Standardmodell eingebettet werden. Das Graviton ist keinTeilchen des Standardmodells.
Bausteine der Materie: Quarks & Leptonen
Die wesentlichen Teilchengruppen des Standardmodells sind die Quarks und Leptonen. Die Teilchenphysiker unterscheiden sechs Quarks, die sich durch ihren Flavor unterscheiden: up, down, strange, charm, bottom, top (sowie weitere sechs Antiquarks). Alle konnten experimentell nachgewiesen werden. Die Quarks tragen neben der drittelzahligen elektrischen Elementarladung eine Farbladung (daher das chromos, grch. 'Farbe', im Begriff Quantenchromodynamik). Hinter den Leptonen, die farblos sind, verbergen sich Elektron, Myon, Tauon und deren Antiteilchen sowie die zugehörigen Neutrinos, also Elektron-, Myon-, Tau-Neutrino und entsprechende Antineutrinos. Alle diese Teilchen sind punktförmig in dem Sinne, dass sie keinerlei Substruktur aufweisen. Quarks und Leptonen sind elementar und bestehen nicht aus irgendwelchen anderen Teilchen.
Atome, Atomkerne, Nukleonen
Atomkerne bestehen aus Nukleonen, den Kernteilchen. Im Speziellen enthalten die Atomkerne unterschiedliche Anzahl von Protonen und Neutronen und bereichern in dieser Vielfalt die Tafel der chemischen Elemente. Nukleonen besitzen eine Substruktur: Sie enthalten unterschiedliche Kombinationen aus drei Quarks. Das Proton besteht aus zwei u-Quarks und einem d-Quark (uud), das Neutron enthält dagegen zwei d-Quarks und ein u-Quark (udd). Elektronen bevölkern die Atomhülle. Nach außen hin sind Atome elektrisch neutral, weil sich die negative Ladung aller Elektronen gerade mit der positiven Ladung aller Protonen im Atomkern aufhebt. Im klassischen Bohrschen Atommodell 'umkreisen' die leichten Elektronen die Atomkerne. Im Orbitalmodell der Quantenchemie sind die Elektronen in Form von elektronischen Wellenfunktionen um den Atomkern 'verschmiert'.
Mesonen und Baryonen sind Hadronen
Hadronen ist der Oberbegriff für alle Teilchen, die aus Quarks zusammengesetzt sind. Dabei unterscheidet man weiterhin die Mesonen und die Baryonen: Baryonen bestehen aus drei Quarks, während die Mesonen nur aus zwei Quarks zusammengesetzt sind. Genauer gesagt sind die Konstituenten der Mesonen ein Quark und ein Antiquark, weshalb sie recht kurzlebig sind. Bekannte Baryonen sind neben dem Proton und dem Neutron die Lambda- und Omega-Teilchen; bekannte Mesonen sind die drei Pionen, die neutral (Quarkgehalt u und anti-u), negativ (d, anti-u) und positiv (u, anti-d) geladen sind, die Kaonen sowie das Psi-Teilchen (eine Realisierung von Charmonium), das aus einem c-Quark und einem anti-c-Quark besteht.
Kürzlich wurden sogar Quarksysteme nachgewiesen, die aus vier – Tetraquarks – und sogar fünf Quarks – Pentaquarks – bestehen.
Isospin
Führt man eine weitere Quantenzahlen ein, wie den Isospin, der ebenso wie der Spin (daher iso, grch. 'gleich') der üblichen Drehimpulsalgebra der Quantenmechanik genügt, so kann man Proton und Neutron als Nukleon unifizieren. Proton und Neutron bilden ein Isospindublett (s = 1/2) und haben lediglich unterschiedlichen Isospinprojektionen bzw. unterscheiden sich in der dritten Komponente des Isospins (1/2 gegenüber -1/2). Diese Idee geht auf den deutschen Quantenphysiker Werner Heisenberg zurück. Die unterschiedlichen Eigenschaften kommen erst zum Tragen, wenn man die elektromagnetische Wechselwirkung 'einschaltet'. Physiker sagen, die elektromagnetische Wechselwirkung bewirke eine Symmetriebrechung, die darin mündet, das eines der Nukleonen eine elektrische Ladung erhält und die Massen beider Nukleonen leicht differieren. Anders gesagt: Ohne Elektromagnetismus sind Proton und Neutron ununterscheidbar.
Das mysteriöse Higgs-Boson
Das letzte, noch nicht nachgewiesene Teilchen des Standardmodells ist das schwere Higgs-Boson. Der britische Physiker Peter W. Higgs hat es bereits 1964 vorhergesagt. Das Higgs-Teilchen stattet im Higgs-Mechanismus die Teilchen mit Masse aus und ist aufgrund seiner kurzen Lebensdauer außerordentlich schwierig nachzuweisen. Am CERN hat man dafür im November 2000 'schwache Evidenzen' gefunden, kurz bevor der Large Electron Positron Collider (LEP) abgeschaltet werden musste. Die Hoffnungen liegen nun im neuen Beschleuniger am CERN, dem Large Hadron Collider (LHC), der Ende 2007 eingeschaltet wird.
Tests des Standardmodells
Das Standardmodell der Teilchenphysik hat sich hervorragend bewährt und gilt als mächtige, etablierte, physikalische Theorie. Die Vorhersagen der Teilchen des Standardmodells sind außer im Fall des Higgs-Bosons eingetroffen und stützen das Standardmodell. Für Teilchen- und Hochenergiephysiker ist es Alltaggeschäft mit dem Standardmodell zu rechnen und Experimente in Teilchenbeschleunigern auf der Grundlage dieser Theorie zu analysieren.
Im Modell sind mehr als zwanzig Parameter (Teilchenmassen, Kopplungskonstanten etc.) enthalten, die nicht aus der Theorie folgen. Physiker nennen sie freie Parameter, weil sie experimentell bestimmt werden müssen. Auf der Grundlage dieser gemessenen Parameter sind schließlich Prognosen möglich. Die Physiker unternehmen daher große Anstrengungen, um die freien Parameter immer wieder aufs Neue und so präzise wie möglich zu bestimmen.
Die drei Kräfte als mathematische Gruppe
Gruppentheoretisch beschreibt man die elektromagnetische Wechselwirkung als Quantenelektrodynamik, QED mit der unitären Gruppe U(1), die schwache Wechselwirkung mit der speziellen, unitären Gruppe SU(2) und die starke Wechselwirkung als Quantenchromodynamik, QCD mit der speziellen, unitären Gruppe SU(3). Das Standardmodell ist gerade das direkte Produkt dieser Gruppen SU(3) × SU(2) × U(1). Die bosonischen Austauschteilchen der Wechselwirkungen (intermediäre Bosonen) sind acht Gluonen bei der starken, neutrales Z- und elektrisch geladene W+- und W--Teilchen bei der schwachen und das masselose und neutrale Photon bei der elektromagnetischen Wechselwirkung. Diese Eichbosonen des Standardmodells folgen direkt aus der Gruppentheorie.
Vier Naturkräfte waren einmal eine
Studiert man die Kopplungskonstanten der vier Wechselwirkungen, so stellt man fest, dass sie bei großen Abständen wechselwirkender Teilchen (oder äquivalent dazu kleinen Energiebereichen) sehr unterschiedlich sind. Erst auf subatomaren Größenskalen (~ 10-20 cm) nähern sich die Werte der Kopplungskonstanten (die also gar nicht konstant ist!) an und treffen sich schließlich bei etwa 10-29 cm. Dieses Verhalten nennt man dimensionale Transmutation, und es gilt zumindest für die drei Wechselwirkungen außer der Gravitation! Die entsprechende Energieskala von 2 × 1016 GeV wird von den Großen Vereinheitlichten Theorien (engl. Grand Unified Theories, GUT) beschrieben. Bei diesen Energien bzw. Temperaturen oberhalb von 1029 Kelvin sind die elektromagnetische, schwache und starke Kraft ununterscheidbar. Diese neue, universelle Kraft heißt X-Kraft. Hochenergiephysiker und Kosmologen sind davon überzeugt, dass dieses Milieu Sekundenbruchteile nach dem Urknall vorgeherrscht habe. In der Kosmologie nennt man diese Phase die GUT-Ära. Die Gravitation spielt eine Sonderrolle, denn sie ist nicht unter den vereinigten drei Kräften dabei (Hierarchieproblem). So ist man immer noch auf der Suche nach der 'Urkraft' bzw. der Unified Theory (UT). Es stellt sich heraus, dass immer höhere Energien nötig sind, um die Wechselwirkungen zu vereinen. Deshalb benötigen die Hochenergiephysiker immer größere Teilchenbeschleuniger, um die prognostizierten Teilchen herstellen und nachweisen zu können. Ein erster Erfolg bei der Vereinheitlichung von Kräften bzw. Quantenfeldtheorien ist die elektroschwache Wechselwirkung. Hier wird die elektromagnetische mit der schwachen Wechselwirkung vereinigt. Diese Theorie heißt auch GSW-Modell, nach den Pionieren Glashow, Salam und Weinberg. Aus dieser Behandlung konnten die Weakonen, die sehr massereichen W- und das Z-Teilchen (80 bzw. 90 Protonenmassen!) vorhergesagt und erfolgreich nachgewiesen werden. Diese Leistung wurde auch mit dem Nobelpreis honoriert.
Supersymmetrie
Abseits des Standardmodells wird besonders intensiv die Supersymmetrie (SUSY) untersucht. Diese Symmetrie zwischen Bosonen und Fermionen prognostiziert eine Vielzahl neuer Teilchen: die SUSY-Teilchen. Die Supersymmetrie ist ein gewichtiger Zusatz zum Standardmodell, auf den die moderne Teilchenphysik kaum verzichten kann. Ein Nachweis von SUSY-Teilchen wird deshalb erstrebt, nur haben sie deutlich höhere Massen und können demzufolge erst mit neuen, noch leistungsfähigeren Teilchenbeschleunigern erzeugt werden.
Probleme mit der Schwerkraft
Ein schwieriges Unterfangen ist die Vereinigung aller vier Naturkräfte. Die Unifikation von Gravitation und den drei übrigen Wechselwirkungen birgt viele formale Hindernisse. Die bisher erfolgreichste Theorie der Gravitation ist die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein. Sie ist eine klassische (d.h. nicht quantisierte) Theorie und beschreibt Gravitation als geometrische Eigenschaft des Raumes (genauer der vierdimensionalen Raumzeit). Als unquantisierte Theorie enthält sie keines der quantenmechanischen Konzepte wie Unschärfe oder Welle-Teilchen-Dualismus. Auch der mathematische Apparat, nämlich die Tensorrechnung ist völlig wesensverschieden vom Quantisierungsapparat der Quantenfeldtheorien. Wie gelingt also nicht nur eine Vereinigung der Teilchen/Wechselwirkungen, sondern auch eine Vereinigung der Theorien?
Anwärter auf Quantengravitationen
Eine Erfolg versprechende Lösung scheinen die supersymmetrischen Stringtheorien (Superstringtheorien) zu sein. Sie münden zusammen mit der Supergravitation in die M-Theorie, von der man bislang nur einige Eigenschaften kennt. Die scharfen Kritiker der Stringtheorien werfen vor, dass es nicht gelungen ist, mit den Stringtheorien wesentliche, physikalische Parameter vorauszusagen. Auch die Konzepte, die metrische Gravitationstheorien wie die Allgemeine Relativitätstheorie vorgeben (Diffeomorphismusinvarianz), scheinen nicht adäquat berücksichtigt worden zu sein. Die Anhänger der Stringtheorien loben den unifizierenden Charakter der Theorie, die Vorhersage von Gravitonen als quantisierte Austauschteilchen der Gravitation und konsistente Vorhersage einiger Details (z.B. der Bekenstein-Hawking-Entropie), die auch andere Theorien enthalten.
Alternativ wird die Loop-Quantengravitation (LQG) entwickelt, die eine Quantengravitation ist und völlig neue, radikale Aspekte von Zeit und Raum aufwirft. Diese Theorie beschreibt allerdings (noch?) nicht die Teilchen des Standardmodells, sondern nur eine quantisierte Gravitation. Die LQG hat bislang noch keinen unifizierenden Charakter. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich Stringtheorien und Loop-Quantengravitation als unterschiedliche oder womöglich überlappende Grenzfälle einer umgeordneten Theorie entpuppen könnten.
Die wichtigsten Teilchen der Astronomie
- Allen voran schätzen Astronomen das Photon, weil es nicht nur historisch das erste war, das ihnen Informationen aus den Tiefen des Alls zur Erde brachte, sondern auch in mannigfacher Ausführung vorkommt und zwar als Radio-, Infrarot-, optisches, Ultraviolett-, Röntgen-, Gamma- oder TeV-Photon. Die astronomischen Informationen sind im Photon in Form von Energie, Anzahl, Polarisation und Richtung gespeichert.
- Das Elektron, einem der Leptonen, das zwar nicht direkt von einer Quelle zum irdischen Detektor gelangt, aber eine fundamentale Rolle in vielen astrophysikalischen Prozessen spielt (so z.B. in allen elektromagnetischen Übergängen in Atom- und Ionenhüllen, Synchrotronstrahlung, Streuprozessen wie der Comptonisierung, Paarbildung und -vernichtung, als entartetes Fermigas in Weißen Zwergen etc.).
- Das Neutrino, ebenfalls ein Lepton, das durch seine Punktförmigkeit, geringe Masse von wenigen Elektronenvolt und vor allem sein Durchdringungsvermögen durch die exklusive Teilnahme an schwacher Wechselwirkung und Gravitation auch in elektromagnetisch verborgene Bereich des Alls vordringt, und uns so Informationen aus dem kollabierenden Innern von Sternen (beobachtet bei Supernova SN 1987A) bringen kann.
hypothetische Teilchenexoten
Neben diesen erwiesenen Botenteilchen der Astronomie gibt es noch zwei hypothetische Teilchen, die sich als äußerst interessant erweisen könnten. Das Graviton und das Cosmon. Das Graviton ist ein Tensorboson (Spin 2), das man mit dem Austauschteilchen einer quantisierten Gravitation identifiziert. Leider wurde dieses Teilchen weder experimentell entdeckt, noch ist die theoretische Ausarbeitung einer quantisierten Gravitationstheorie in Analogie zu den anderen Quantenfeldtheorien geglückt.
Das Cosmon ist das Quant, das man mit der Quintessenz assoziiert. Theoretisch konnte man dafür eine äußerst geringe Masse ableiten, die noch unterhalb der der Neutrinos liegt. Von dem Cosmon verspricht man sich neue Erkenntnisse über die Dunkle Energie, weil diese Energieform unser spätes Universum offenbar dominiert. Das Standardmodell macht keinerlei Aussage über die Dunkle Energie und die Dunkle Materie. Das ist an sich schon erstaunlich, denn diese beiden Energieformen machen 96% im Kosmos aus! Eine Physik abseits des Standardmodells ist deshalb dringend erforderlich. Zurzeit wird ein Standardmodell der Kosmologie entwickelt und erforscht, das auf zuverlässigen Daten der experimentellen Kosmologie beruht.
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