Sonnenforschung: Der Dynamo der Sonne – neue Antworten auf alte Fragen?
Wie die Erde und viele Himmelskörper hat auch die Sonne ein schwaches polares Magnetfeld. Die beobachtbaren Aktivitätszyklen der Sonne belegen deutliche und regelmäßige Veränderungen dieses Felds, weshalb es einen Mechanismus geben muss, der es fortlaufend neu generiert und mit dem sich die zeitlichen Muster erklären lassen. Die Energie der Aktivität, darin sind sich alle Forschenden einig, wird aus der Rotation der Sonne gespeist. Das entsprechende Modell wird als Sonnendynamo bezeichnet, was sich grob mit dem Funktionsprinzip eines Fahrraddynamos vergleichen lässt – daher der Name. Im Detail verliert sich die Analogie jedoch (siehe »Der Sonnendynamo«).
Die Sonne ist anders als die Erde kein starrer Körper, und ihre Rotationsgeschwindigkeit hängt vom Breitengrad ab. Durch diese differenzielle Rotation werden die Feldlinien eines schwachen polaren Magnetfelds zunehmend aufgewickelt – ganz so, wie es kulinarische Könner mit Spaghetti auf der Gabel machen. Die Feldlinien werden dabei gestreckt, und ihr Energieinhalt wird verstärkt, bis sie nahezu parallel zum Äquator ausgerichtet sind. Der Vorgang wird als Omega-Prozess bezeichnet, nach dem griechischen Buchstaben, der häufig für Rotation benutzt wird.
Das verstärkte Magnetfeld verdrängt einen Teil des heißen Gases und macht diese magnetischen Flussröhren leichter – Auftrieb setzt ein. Bald darauf entsteht auf der scheinbaren Oberfläche der Sonne, der Photosphäre, eine Fleckengruppe. Die beobachtete bipolare Struktur der Flecken, die immer in Paaren auftreten, verrät die Durchstoßpunkte des ausgetretenen magnetischen Feldbogens. Weiter außen befindliches ionisiertes Gas folgt den bogenförmigen Feldschleifen und macht sie so beobachtbar (siehe »Es brodelt«).
Zyklen und Wanderungen
Im Rahmen des Dynamomodells sind zwei schon lange bekannte Phänomene schwierig zu erklären: zum einen das Auf und Ab der magnetischen Aktivität mit dem nach Samuel Heinrich Schwabe (1789 – 1875) benannten etwa elfjährigen Zyklus und zum anderen die damit einhergehende Breitenwanderung der Sonnenflecken, die von Gustav Spörer (1822 – 1895) und Richard Carrington (1826 – 1875) entdeckt wurde. Zu Beginn eines Zyklus ist eine Zone von etwa 30 bis 35 Grad heliografischer Breite im Norden und Süden aktiv, am Ende sind es nur äquatornahe Regionen. Während eines Maximums sind dagegen alle Breiten von 5 bis 35 Grad beteiligt.
Vor gut 100 Jahren entdeckte George Ellery Hale (1868 – 1938) schließlich die Verbindung zwischen Sonnenflecken und Magnetfeldern. Er nutzte dazu den im Jahr 1896 entdeckten Zeeman-Effekt, der das Aufspalten von Spektrallinien unter dem Einfluss eines Magnetfelds beschreibt. Hale vermaß diese Aufspaltung bei verschiedenen Linien des Elements Eisen und konnte so die Orientierung und die Stärke des verursachenden Magnetfelds bestimmen. Sonnenflecken haben in der Tat sehr kräftige Felder, zwischen 3000 und 5000 Gauß (1 Gauß = 10–4 Tesla), wesentlich kräftigere als das Erdmagnetfeld mit etwa 0,3 bis 0,6 Gauß.
An seinem rund 18,3 Meter hohen Turmteleskop auf dem Mount Wilson beobachtete Hale mit einem hochauflösenden Spektrografen und Polarisationsfiltern und bemerkte, dass alle Fleckengruppen einer Sonnenhemisphäre die gleiche Polarität aufweisen und dass diese auf der anderen Halbkugel umgekehrt ist. In den folgenden beiden Jahrzehnten stellte sich heraus, dass die Flecken des neuen Zyklus eine zum Vorgänger umgekehrte Polarität besitzen. Der volle magnetische Zyklus dauert zwei Schwabe-Zyklen, also 22 Jahre.
Mittlerweile haben wir zahlreiche Beobachtungen von anderen Sternen, die zumindest indirekt beweisen, dass die Sonne darin kein Einzelfall ist. All diese Befunde deuten in die Richtung eines Dynamoprozesses, um dessen Details in der Sonnen- und Stellarphysik allerdings immer noch gerungen wird.
Der Alpha-Omega-Dynamo
In den 1960er bis 1990er Jahren wurden funktionierende Dynamomodelle gesucht und mit einem vereinfachenden Ansatz gefunden, der in der Fachwelt als »mean-field theory« bekannt ist. Von den beteiligten deutschen Forschern seien stellvertretend nur Michael Stix vom Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik (KIS) in Freiburg, die Arbeitsgruppe von Karl-Heinz Rädler (1935 – 2020) am Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (vormals Astrohphysikalisches Institut Potsdam, AIP) und Axel Brandenburg vom Nordic Institute for Theoretical Physics (NORDITA) in Stockholm genannt.
Dieser Ansatz beschreibt das mittlere Magnetfeld analytisch mit einer globalen Näherung und parametrisiert, wie aus dem zerfallenden Magnetfeld einer Fleckengruppe durch die Effekte von Konvektion und Corioliskräften das neue, entgegengesetzt gerichtete polare Magnetfeld für den folgenden Zyklus erzeugt wird. Dieser Vorgang wird Alpha-Prozess genannt. Aus dem neuen, umgekehrt gepolten, polaren Feld erzeugt die differenzielle Rotation durch den Omega-Prozess dann wieder ein äquatorial orientiertes, nun aber entgegengesetzt gepoltes Feld, das den neuen Zyklus startet. So lassen sich Schwabe- und magnetischer Zyklus verstehen. Dieses vereinfachte Modell wird in der Astrophysik als Alpha-Omega-Dynamo bezeichnet.
Standardmodell mit Einschränkungen
Das Aufwickeln der Magnetfelder funktioniert eigentlich überall in der Konvektionszone. Das ist der Bereich, in dem Energie nicht durch Strahlung transportiert wird, sondern durch das Aufsteigen von heißem und das Sinken von abgekühltem Gas. Bei Sternen wie unserer Sonne liegt die Konvektionszone außen, weiter entfernt vom strahlungsdominierten Kernbereich. Wenn das Modell jedoch ebenfalls die Breitenwanderung der Sonnenflecken richtig wiedergeben soll, muss das Aufwickeln im unteren Bereich der etwa 0,3 Sonnenradien tiefen Konvektionszone passieren. Im Rahmen der mean-field theory sagt ein Dynamo, der nahe der Oberfläche operiert, die spörersche Breitenwanderung nämlich in falscher Zugrichtung voraus.
Für die Sonne gibt es somit seit etwa 50 Jahren ein anscheinend eindeutig bestimmtes Modell, das die beobachteten Eigenschaften der Sonnenaktivität wiedergeben kann und deshalb heute noch als Goldstandard gilt. Angesichts neuer Forschungsergebnisse häufen sich allerdings die Unzulänglichkeiten.
Ein Riesenproblem
So entdeckte Olin Chaddock Wilson (1909 – 1994), ein Pionier der spektroskopischen Sonnenforschung, dass nicht nur sonnenähnliche Sterne Aktivitätszyklen besitzen, sondern auch einige Riesensterne. Dazu beobachtete er mit seiner Arbeitsgruppe am Mount Wilson Observatory – die Namensgleichheit ist zufällig – langzeitliche Schwankungen von bestimmten Emissionslinien im Ultravioletten. Diese stammen von ionisiertem Kalzium (Ca) und entstehen in der Chromosphäre – der an die Photosphäre außen anschließenden Gasschicht der Sterne. Für die Messungen bedarf es nur eines genügend hoch auflösenden Spektrografen und geeigneter, relativ unveränderlicher Eichsterne. Mit derselben Methode setzt man mit dem robotischen Teleskop TIGRE in Guanajuato seit dem Jahr 2013 diese Beobachtungen fort (siehe SuW 11/2013, S. 26). Die langen Zeitreihen stellarer Aktivität recht vieler Sterne bestätigen heute, dass in vielen roten Riesensternen dieselben Zyklen durchlaufen werden wie in der Sonne und sonnenähnlichen Sternen. Damit sollte auch derselbe Dynamo wirken. Genau das stellt das Standardmodell der mean-field theory vor Herausforderungen.
Rote Riesensterne haben gewaltig ausgedehnte Konvektionszonen, mit Tiefen von mehr als 90 Prozent des Sternradius. Innen steckt nur ein äußerst kompakter kleiner Kern – die geometrischen Verhältnisse unterscheiden sich folglich sehr von der Sonne. Mit dem bisherigen Modell kann nicht erklärt werden, wie ein in derart tiefen Schichten entstehendes Magnetfeld den langen Aufstieg durch die riesigen, turbulenten Konvektionszonen heil überstehen könnte. Manfred Schüssler vom Max-Planck-Institut für Aeronomie in Katlenburg-Lindau (heute am MPI für Sonnensystemforschung in Göttingen) und seine Mitarbeiter rechneten dieses Problem erstmals vor gut zwei Jahrzehnten mit einem detaillierten Computermodell für eine lokal aufsteigende Magnetfeldschleife durch: Der Prozess funktioniert nicht. Bei kühlen Riesensternen kann die beobachtete magnetische Aktivität daher nur weiter oben in der Konvektionszone entstehen. Wenn sich die Aktivitätszyklen – und damit die beobachtbaren Effekte des Dynamos – nicht unterscheiden, warum sollte die Sonnenaktivität dann anders funktionieren?
Auf kleine Skalen kommt es an
Oft ist es so, dass eine über Jahrzehnte hinweg erfolgreiche Theorie letztlich an ihren Vereinfachungen scheitert, weil diese uns etwas vorgaukeln, was in Wirklichkeit nicht stimmt. Die scheinbar unumgängliche Schlussfolgerung, Magnetfelder können nur am Boden der Konvektionszone erzeugt werden, ist vermutlich ein solcher Trugschluss der mean-field theory. Sehen wir uns daher erst einmal die Unzulänglichkeiten an, die man sich mit ihr einhandelt – allen Erfolgen zum Trotz.
Gerade bei Aufstieg und Zerfall der Magnetfelder in einem Aktivitätsgebiet hat man es eben nicht mit mittleren Feldgrößen zu tun: In den Flussröhren, die fünf Größenordnungen kleiner als die Sonne als Ganzes sind, ist das Magnetfeld hoch konzentriert. Derart kleine Strukturen werden in einem globalen Modell nicht berücksichtigt. Der oben beschriebene Alpha-Prozess, der auf der Größenskala einer Fleckengruppe stattfindet, ist daher nur sehr grob darstellbar. Ein magnetohydrodynamisches (MHD) und zugleich globales Computermodell von geeigneter Auflösung – mindestens 70 Kilometer oder 1/10000 des Sonnenradius – liegt momentan im Grenzbereich dessen, was ein Supercomputer leisten kann. Stellvertretend sei hier auf die bahnbrechenden Arbeiten des französischen Wissenschaftlers Allan Sacha Brun hingewiesen. Hier gibt es noch viel zu tun.
Warum setzt der Dynamo aus?
Auf Grund der Unzulänglichkeiten des Modells verstehen wir auch immer noch nicht so recht, wieso es mehrmals in einem Jahrtausend zu so genannten Grand-Minima kommt. Mehrere Schwabe-Zyklen haben dann so schwache Magnetfelder, dass sie fast gar keine Flecken hervorbringen. Das Dalton-Minimum (zirka 1796 – 1820) und das Maunder-Minimum (zirka 1645 – 1715) sind die zwei jüngsten und relativ gut belegten Beispiele (siehe »Sonnenmotor mit Aussetzern«). Was muss passieren, damit der laufende Dynamo fast völlig zum Erliegen kommt? Und noch mysteriöser: Wie schafft er es anschließend, zur vollen Stärke zurückzukehren?
Sonnenmotor mit Aussetzern
Sorgfältig rekonstruierte Fleckenrelativzahlen zeigen deutlich die großen Lücken in den vielen Schwabe-Zyklen der vergangenen 400 Jahre, das Maunder-Minimum und das Dalton-Minimum. Die ersten zwei dargestellten Zyklen (1620 – 1645), direkt vor dem Maunder-Minimum, waren demnach deutlich schwächer. Die Zeichnungen von Kepler, Galilei und Scheiner ab dem Jahr 1607 sind die einzigen direkten Kenntnisse aus dieser kritischen Epoche.
Sonnenflecken werden erst seit rund 400 Jahren regelmäßig beobachtet. Trotzdem kann der zeitliche Verlauf der Sonnenaktivität mit indirekten Methoden einige tausend Jahre zurückverfolgt werden. Dazu nutzt man Messungen von radioaktiven Isotopen von Kohlenstoff (C) oder Beryllium (Be), die sich in Baumringen beziehungsweise Eisbohrkernen nachweisen lassen. Wenn die Sonne aktiv ist und mehr energiereiche Strahlung die Erdatmosphäre erreicht, entstehen die Isotope dort vermehrt. In gut datierten Baumringen kann man die Häufigkeit von 14C bestimmen und so die Sonnenaktivität über lange Zeiträume nachvollziehen. Da eine erhöhte Aktivität mit einer größeren Anzahl von Sonnenflecken einhergeht, lässt sich mit Hilfe der Baumringe sogar die Fleckenzahl abschätzen. Damit können lückenhafte Beobachtungen ergänzt oder Fleckenzahlen aus Epochen vor dem Jahr 1600 hergeleitet werden.
Lückenlose Messungen des Sonnenwinds – und damit der Sonnenaktivität – werden erst seit dem Jahr 1995 durchgeführt, nachdem die Raumsonde WIND ihren Betrieb aufgenommen hat. Die Formeln, mit denen aus der Sonnenaktivität die Fleckenrelativzahl abgeleitet wird, sind daher nur für die letzten Jahrzehnte zuverlässig geeicht. Das hier verwendete Verfahren ist folglich anfällig für langfristiges Abdriften der rekonstruierten Fleckenzahlen, weil es viele Lücken gibt, in denen gute Fleckenbeobachtungen zum Eichen fehlen. Umso wertvoller sind bisher unbekannte Beobachtungen und Zeichnungen aus früheren Zeiten.
In den bereits angesprochenen globalen MHD-Computermodellen scheinen sehr schwache Zyklen mit zeitlich versetzten Maxima der beiden Hemisphären einherzugehen; sie zeigen also ein asynchrones Verhalten und Asymmetrien. Ein inspirierendes Beispiel gab der letzte, schwache Zyklus mit der Carrington-Nummer 24, der von Dezember 2008 bis Dezember 2019 dauerte. Er zeichnete sich durch separate Hemisphärenmaxima aus, bei denen eine Halbkugel im Jahr 2012 ihr Maximum durchlief, die andere 2014. Obwohl sich der Ablauf mit Computermodellen nachvollziehen lässt, bleiben die verursachenden Zusammenhänge leider unklar – ein Nachteil von derart komplexen Berechnungen.
Zwei weitere Überlegungen sind anschaulicher: Die für den Aufbau des neuen polaren Felds benötigte Zeit wird länger, wenn die Aktivität schwächelt, und umgekehrt. Entsprechend sollten in einer Serie von Zyklen mit absteigender Stärke – also vor einem Grand-Minimum – die Zyklen eher länger andauern und bei ansteigender Stärke eher kürzer sein. Genau dieser Zusammenhang zwischen Dauer und Stärke des Maximums wurde von Max Waldmeier (1912 – 2000) beobachtet und ist als Waldmeier-Effekt bekannt. Der andere denkbare Prozess betrifft die Ausprägung der differenziellen Rotation, die den Omega-Prozess antreibt. Durch eine Art von Verschleiß vor dem Grand-Minimum könnte sie abnehmen und dann zu dessen Ende hin wieder ansteigen, weil ohne Aktivität die Erholung einsetzt.
Jahrhunderte an Daten
Beide Ideen lassen sich mittels historischer Zeichnungen testen, indem man mit ihnen die damaligen Fleckenzahlen und -positionen rekonstruiert. Dabei müssen sehr sorgfältig die Leistungsfähigkeit des Teleskops und die jeweilige Ausrichtung des Projektionsbilds zur Rotationsache der Sonne berücksichtigt werden. Reiner Arlt vom AIP untersuchte bisher unbekannte Zeichnungen von Johann Caspar Staudacher (wahrscheinlich 1731 – 1799) aus den beiden Jahrzehnten vor dem Dalton-Minimum. Dabei fand er Hinweise, die eine Abnahme der differenziellen Rotation nahelegen. Allerdings ist das Resultat von gleicher Größe wie seine Ungenauigkeit, also ist Vorsicht geboten.
In den Jahren vor dem noch früheren Maunder-Minimum waren bisher nur erste, sporadische teleskopische Beobachtungen von Galileo Galilei (1564 – 1642) und Christoph Scheiner (1573 – 1650) bekannt. Die genaue Länge der Zyklen vor beiden Grand-Minima ist daher immer noch Gegenstand wissenschaftshistorischer Forschung. Einige frühere Arbeiten wollten in ihrer Rekonstruktion der historischen Sonnenaktivität große Unregelmäßigkeiten in diesen Zyklen vor dem Maunder-Minimum gefunden haben. Genau an dieser Stelle kommen Keplers wiedergefundene Zeichnungen ins Spiel.
Was geschah vor dem Maunder-Minimum?
Kepler nutzte zur Sonnenbeobachtung kein Teleskop, sondern nur eine Camera obscura, also die Methode der Lochprojektion. Dafür sind seine Beobachtungen einige Jahre älter als die von Galilei und Scheiner. Am 28. Mai 1607 konnte Kepler einen Sonnenfleck erst erkennen, als er in seinem Haus in Prag und wenige Stunden später in der Werkstatt von Jost Bürgi (1552 – 1632) die Sonnenscheibe in einem abgedunkelten Raum projizierte und als Zeichnung festhielt. In ihrer im Juli 2024 in »The Astrophysical Journal Letters« veröffentlichten Arbeit berichtet die Gruppe um Hisashi Hayakawa, wie sie aus Keplers Zeichnungen sorgfältig die Orientierung seines Projektionsschirms gegenüber der Sonnenrotationsachse rekonstruieren und die heliografische Breite des Flecks bestimmen konnte (siehe »Entscheidendes Dokument«).
Der Sonnenfleck lag demnach sehr nah am Äquator und gehörte somit zu den letzten eines Zyklus. Galilei und Scheiner müssen wenige Jahre später bereits den nächsten Zyklus beobachtet haben, bei dem die Flecken zunächst wieder in hohen heliografischen Breiten auftraten. Folglich begann der vorletzte Zyklus vor dem Maunder-Minimum 1608 oder 1609, was eine alte Diskussion über eine eventuelle Überlänge beendet. Keplers Sonnenbeobachtungen zeigen, dass es vor dem Maunder-Minimum nur unwesentlich längere Zyklen gab, deren Dauer von etwa zwölf statt elf Jahren nicht ungewöhnlich ist. Umso interessanter bleibt die Frage, wie es zu so einem dramatischen 70-jährigen Grand-Minimum kommen konnte, wenn zuvor alles fast normal ablief.
Erkenntnisse der Helioseismologie
Im Mai 2024 veröffentlichten Geoffrey Vasil und sein Team im Journal »Nature« ihre neuesten Erkenntnisse aus Daten zur Sonnenrotation, die aus jahrelangen helioseismologischen Beobachtungen hervorgehen. Obwohl es sich um sehr kleine Effekte handelt, haben es diese Befunde in sich und könnten endlich zu einem neuen und besseren Verständnis der solaren und stellaren Aktivität führen.
Die Helioseismologie nutzt, ähnlich der Seismologie auf der Erde, Schallwellen und ihre Ausbreitungsgeschwindigkeit, um das uns sonst verborgene Innere der Sonne auszuforschen. Dabei gibt es bevorzugte Frequenzen. Man kann sie mit Eigenschwingungen oder Resonanzen vergleichen, die uns Informationen über die Dichteschichtung der Gebiete geben, durch welche die Welle läuft. Bestimmte Resonanzen reagieren dabei auch empfindlich auf Rotationsbewegungen, weil diese zu ihrer Verschiebung oder Aufspaltung in zwei leicht unterschiedliche Frequenzen führen. Fotometrisch sehr genaue, sehr lange und dabei zeitlich gut aufgelöste Beobachtungsreihen ermöglichen es, diese subtilen Effekte zu erfassen. So lässt sich ein genaues Rotationsprofil der verschiedenen Sonnenbreiten und ihrer zeitlichen Veränderung gewinnen.
Der feine Unterschied
Die differenzielle Rotation selbst kann jeder Beobachter mittels eines einfachen Refraktors mit Sonnenprojektion anhand von täglich gemessenen Fleckenpositionen nachvollziehen. Aber was weiter innen passiert, lässt sich so nicht erfahren. Außerdem können Flecken in der Photosphäre driften und so die Rotationsmessungen verfälschen. Hier hat die moderne Helioseismologie ganz klar die Nase vorn. Die Unterschiede zur mittleren Rotationsperiode der Sonne in verschiedenen heliografischen Breiten und Tiefen liegen bei rund zehn Prozent.
Das Team um Vasil wies feinste Unterschiede im Rotationsprofil der Sonne zu verschiedenen Phasen des Aktivitätszyklus nach, von der Größenordnung von nur einem Prozent des Variationsbereichs der differenziellen Rotation. Diese Abweichungen verändern sich im Verlauf von Jahren und konzentrieren sich auf bestimmte, langsam zum Sonnenäquator hin wandernde Zonen, die nur fünf bis zehn Prozent des Sonnenradius in die Tiefe der Konvektionszone reichen (siehe »Schwingende Gürtel«). In Echtzeit läuft diese Wanderung extrem langsam ab; sie würde jedoch sichtbar werden, wenn man im Zeitraffer Jahre zu Sekunden verkürzt. Die Unterschiede in der Rotation verschiedener Gürtel oder Zonen zeigen sich als Torsionsschwingung.
Neue Dynamo-Ideen
Torsionsschwingungen sind vielleicht noch aus dem Physikunterricht bekannt. Man stelle sich einen feinen Draht vor, aufgespannt vom Boden bis zur Decke, an dem in verschiedenen Höhen Metallstreifen befestigt sind. Gibt man einem dieser Metallstreifen an einem Ende mit dem Finger einen Schubs, beginnt er sich erst vorwärts, dann rückwärts und anschließend wieder vorwärts um den Draht zu drehen. Diese Torsionsschwingungen breiten sich durch die Kopplung über den Draht auch schnell auf die anderen Metallstreifen aus. So ähnlich dürfen wir uns die Bewegung besagter Zonen in verschiedenen heliografischen Breiten relativ zur mittleren differenziellen Sonnenrotation vorstellen.
Aber was bedeuten diese Feinheiten in der Sonnenrotation praktisch? Die Forschenden um Vasil rechneten globale Computermodelle durch, welche mit diesen beobachteten Rotationseigenschaften ein neues Dynamomodell produzieren. Dem zufolge entsteht das Magnetfeld in den oberen Schichten der Konvektionszone, und die spörersche Breitenwanderung der Aktivitätsgebiete ergibt sich einfach aus der Breitenwanderung der Torsionsschwingungszonen. Der von den Torsionsschwingungen modulierte Dynamo erfüllt damit alle beobachteten Eigenschaften der Sonnenaktivität, wirkt jedoch nahe der Photosphäre! Er würde demnach ebenso mühelos in einem Roten Riesen funktionieren, weil die enorme Tiefe von dessen Konvektionszone irrelevant wird.
Haben wir also über Jahrzehnte ein falsches Dynamomodell favorisiert? Kommen die ungelösten Probleme daher? Hier wird sich alsbald vieles weiterentwickeln, und die Sonnenforschung ist derzeit ungemein spannend – geht es doch gerade um des Pudels Kern: Wie und wo entsteht die magnetische Aktivität in einem Stern?
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