Lexikon der Astronomie: Dunkle Energie
Einführung: Licht & Materie
Um diesen Begriff erklären zu können, muss weiter ausgeholt werden: Betrachtet der Mensch seine Umwelt, so ist er umgeben von Licht und Materie. Die Physik entwickelt sehr überzeugende Modelle, was man sich unter Licht und Materie vorstellen muss: Licht ist elektromagnetische Strahlung. Seit der klassischen Elektrodynamik, die im 19. Jahrhundert entdeckt wurde, ist das bekannt. Mit den Methoden der Quantentheorie wurde die Quantisierung des Lichts in Photonen entdeckt. Materie hingegen ist aus äußerst kleinen Teilchen aufgebaut, den Quarks und Leptonen. Die starke Kraft hält die Quarks zusammen, so dass sie Bausteine komplexerer Teilchen werden. So bestehen Protonen und Neutronen, die Teilchen im Atomkern, aus je drei Quarks. Die Materie in unserem alltäglichen Umfeld besteht ausschließlich aus Quarks und Leptonen. Sie ist baryonisch – wie die Physiker sagen. Anmerkung: Präziser wäre es, Materie in eine hadronische und eine leptonische Form zu klassifizieren.
Noch eine Zutat: Dunkle Materie
Als ob diese Physik von Licht und Materie nicht schon kompliziert genug wäre, entdeckten die Astronomen die Notwendigkeit einer Materieform, die nicht (oder sehr schwach) leuchtet. Sie bekam den Namen Dunkle Materie. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde anhand der Rotation von Galaxien erkannt, dass die leuchtende Materie (Sterne, Gas und Staub) nicht ausreicht, um das Rotationsverhalten zu erklären. Seither können Astronomen immer wieder bestätigen, dass es Dunkle Materie geben muss. Kandidaten für Dunkle Materie sind schwere Teilchen, die nicht oder kaum elektromagnetisch strahlen und nur schwach wechselwirken. Diese Teilchenklasse heißt WIMPs (engl. weakly interacting heavy particles). Weitere Materieformen, die zur Dunklen Materie beitragen könnten, sind supersymmetrische Teilchen. Bislang wurde zwar keines gesichert nachgewiesen oder experimentell in Teilchenbeschleunigern hergestellt, aber es gibt ein paar Hinweise aus der Hochenergiephysik und Stringtheorie, dass die Supersymmetrie in der Natur eine Rolle spielt.
Und endlich: Dunkle Energie
Kommen wir nun über den Umweg des (halbwegs) Bekannten zum völlig Unbekannten, zur Dunklen Energie. Die Bezeichnung Dunkle Energie (engl. dark energy) wurde von dem Kosmologen Michael S. Turner (Universität Chicago, USA) im Jahr 1990 erfunden. Dunkle Energie meint eine Energieform im Universum, die weder baryonischer Natur ist, noch mit der Dunklen Materie identifiziert werden kann. Sie ist dunkel, weil sie sich nicht durch elektromagnetische Strahlung bemerkbar macht. Die Dunkle Energie tritt dadurch in Erscheinung, dass sie die Dynamik des Universums signifikant beeinflusst. Die Dunkle Energie sorgt für die kosmische Expansion! Wir wissen von der Dunklen Energie, weil die sichtbaren Objekte im Universum (Galaxien, Strahlung) die Expansion anzeigen und indirekt auf etwa Dunkles schließen lassen. Die Methoden der Astronomie erlauben es sogar, die Anteile der baryonischen und Dunklen Materie mit demjenigen der Dunklen Energie zu vergleichen. Das Resultat ist, sie mit über zwei Dritteln den größten Anteil ausmacht: Dunkle Energie dominiert das (späte) Universum!
Formen von Dunkler Energie
Die Dunkle Energie ist demnach ein wichtiger physikalischer Bestandteil der modernen kosmologischen Modelle. Es ist allerdings nicht klar, worum es sich genau bei der Dunklen Energie physikalisch handelt: Die physikalische Natur der Dunklen Energie ist unklar! Es wurden bisher verschiedene Quellen für Dunkle Energie vorgeschlagen:
kosmologische Konstante Λ
Die historisch zuerst entdeckte Form, die man im Nachhinein als Dunkle Energie bezeichnen muss, wurde von Albert Einstein (1879 – 1955) im Jahr 1917 vorgeschlagen. Er führte in den Feldgleichungen seiner Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) den so genannten Lambda-Terme (manchmal auch Λ-Glied genannt) ein. Dieses Lambda erweiterte die rechte Seite der Feldgleichung dort, wo der Energie-Impuls-Tensor steht. Dieser kosmologische Parameter beeinflusst die Dynamik des Kosmos, je nachdem ob er positiv, negativ oder null ist. Ein negativer Wert von Λ macht sich als kosmische Anziehung (Attraktion) bemerkbar und lässt das Universum in sich zusammenfallen ('Anti-de-Sitter'). Dieses negative Λ wirkt also in Richtung der Gravitation. Ein positiver Wert von Λ wird Dunkle Energie genannt. Er wirkt in der Form einer Antigravitation, was man auch als kosmische Abstoßung (Repulsion) bezeichnet. Bei verschwindendem Λ wird die Dynamik des Kosmos nur durch die darin enthaltene Materie bestimmt. Einstein führte den Lambda-Term ein, um das damals von ihm aus ästhetischen Gründen favorisierte statische Universum physikalisch zu erklären. Der amerikanische Astronom Edwin Hubble fand jedoch 1929, dass die Galaxien einer Fluchtbewegung unterliegen und sich das Universum ausdehnt. Dieser Hubble-Effekt widerlegte schlagartig das Modell eines statischen Universums, so dass Einstein sein kosmologisches Lambda verwarf. Er bezeichnete diese Idee als seine 'größte Eselei'.
In der Folgezeit stellte sich jedoch heraus, dass man das kosmologische Λ nicht ohne weiteres verschwinden lassen konnte, wie besonders der belgische Kosmologe Abbé Georges Lemaître (1894 – 1966) erkannte. So fand es unter der Bezeichnung kosmologische Konstante Einzug in die moderne Kosmologie. Bis heute ist sie unverzichtbar! Denn auch mit Lambda-Term als Ingredienz kann man kosmologische Gleichungen finden, in denen das Universum expandiert. Die globale Beschreibung des dynamischen Kosmos gelingt in der relativistischen Kosmologie mit den Friedmann-Weltmodellen. Es handelt sich um Modell-Universen, die mathematisch gut verstanden sind. Ein Friedmann-Universum ist eine Lösung der Friedmann-Gleichung, die man aus den Feldgleichungen der ART mit dem Energie-Impuls-Tensor einer idealen Flüssigkeit plus Lambda-Term für Raumzeiten konstanter Krümmung erhält. Warum geht ein Kosmologe so vor? Die Materie im Kosmos kann man näherungsweise wie eine strömende, nicht wechselwirkende Flüssigkeit beschreiben. So folgt, dass der Energie-Impuls-Tensor einer idealen Flüssigkeit geeignet ist. Der Ansatz einer konstanten Krümmung ergibt sich aus der Erfüllung des kosmologischen Prinzips: Kein Punkt im Universum ist einem anderen gegenüber ausgezeichnet. Die Universen mit nicht verschwindendem Lambda sind Bestandteil der so genannten Λ-Kosmologie.
Astronomen messen den Materiegehalt des Universums und dessen Expansionsgeschwindigkeit z.B. anhand von sehr weit entfernten Sternexplosionen. Es handelt sich dabei um hochrotverschobene Supernovae (SN) vom Typ Ia, also extrem weit entfernte, explodierende Weiße Zwerge. Im Rahmen des Supernova Cosmology Project (SCP) wurde dabei erstmals 1998 beobachtet, dass die Ausdehnung des Universums sogar beschleunigt wird (Perlmutter et al., publiziert 1999)! Es liegt also keine konstante Expansionsgeschwindigkeit (siehe auch Hubble-Konstante) vor, was als eine der wichtigsten Entdeckungen in der Kosmologie gewertet werden muss.
Die Sternexplosionen gestatten auch zu beurteilen, ob sich über kosmologisch gesehen sehr lange Zeiten (Mrd. Jahre!) die unterschiedlichen Energieformen im Universum zeitlich verändern. So haben die Permanenz-Messungen der Dunklen Energie an SN Ia ergeben, dass Einsteins kosmologische Konstante favorisiert werden muss (Riess et al. 2004). Sie hat einen w-Parameter von w = -1. Das bestätigen neuere Messungen an einer Gruppe von 24 SN Ia, die mit dem Weltraumteleskop Hubble beobachtet wurden. Fünf davon zeigt die Abbildung oben: die Wirtsgalaxien vor den Sternexplosionen (untere Reihe) und nach den Explosionen mit hell aufleuchtenden SN Ia (große Version, Credit: Pressemitteilung NASA/ESA, STScI, A. G. Riess, November 2006). Die neuen Supernovadaten geben sogar noch strengere Auflagen für die Dunkle Energie: sie muss schon vor neun Milliarden Jahren konstant gewesen sein. Damit erscheinen die zeitlich veränderlichen Formen Dunkler Energie nicht bevorzugt.
Diese Resultate konnten von dem aktuellen Supernova-Survey ESSENCE (Equation of State: SupErNovae trace Cosmic Expansion) 2007 bestätigt werden: 60 SN Typ Ia mit einer maximalen Rotverschiebung bis z ~ 1 wurden analysiert. Unter der Annahme eines flachen Universums und unter Berücksichtigung der Beschränkungen für baryonische Materie folgt aus diesen Beobachtungen ebenfalls w = -1.05 und Ωm = 0.274 (Wood-Vasey et al. 2007, astro-ph/0701041; Miknaitis et al. 2007, astro-ph/0701043; erscheinen in ApJ). Damit ist ESSENCE konsistent mit den zuvor veröffentlichten Resultaten des SuperNova Legacy Surveys (SNLS, Perlmutter et al.). Kombiniert man beide Surveys so folgt: w = -1.07 und Ωm = 0.267. Die Beweislast für Einsteins statischen w-Parameter (w = -1; w' = 0) ist derzeit erdrückend!
Das Universum hat nach derzeitigem Kenntnisstand in der Epoche 0 < z < 1 einen Übergang von abgebremster Ausdehnung in eine beschleunigte Ausdehnung durchlaufen. Das illustriert sehr gut die rote Kurve im Diagramm von der WMAP-Website, das unter dem Eintrag Friedmann-Weltmodell besprochen wird. Genau diesen 'kosmischen Umschwung' wollen die Supernovaforscher nachweisen. Und sie wollen noch mehr: sie würden gerne die Permanenz der Dunklen Energie auch für deutlich größere kosmologische Rotverschiebungen testen. Leider kommt den Astronomen dabei eine Eigenschaft der Supernovae Typ Ia in die Quere, aus der sie auch ihren Nutzen ziehen: die ziemlich konstante, intrinsische Helligkeit. Sie hat nämlich den Nachteil, dass SN Ia nicht beliebig weit beobachtbar sind – zumindest mit dem aktuellen Stand der Teleskoptechnologie. Derzeit ist bei einer kosmologischen Rotverschiebung von z ~ 1.5 Schluss! Vielleicht ist bei dieser Problematik schon eine Lösung in Sicht: Bei den (langzeitigen) Gammastrahlenausbrüchen wurden Relationen gefunden, die es erlauben könnten GRBs als Standardkerzen zu nutzen! Denn die so genannte Firmani-Relation (erklärt unter Eintrag Gamma Ray Burst) erlaubt Rückschlüsse auf z. GRBs könnten dann die SN Ia ablösen, weil sie durch ihre noch größere Leuchtkraft bis z ~ 6 und mehr beobachtbar sind!
Kosmologen nutzen bei diesen kosmologischen Untersuchungen nicht nur Sternexplosionen, sondern auch Beobachtungen der kosmischen Hintergrundstrahlung und der großräumigen Anordnungen der Galaxienhaufen auf der Gpc-Skala aus. Alle drei unabhängigen Methoden liefern übereinstimmende Ergebnisse und ermöglichen zusammengenommen eine sehr genaue Messung der kosmologischen Parameter. Die Analysen der kosmologischen Modelle zeigen, dass es im Kosmos eine Dunkle Energie gibt. Die physikalische Natur des Λ-Terms ist aber nach wie vor unklar. Es wurde vorgeschlagen, dass sich die Energiedichte des Quantenvakuums in Form einer kosmologischen Konstante manifestiere. Verfolgt man diesen Ansatz, so findet man in den Quantenfeldtheorien eine Abhängigkeit der Vakuumenergiedichte in der vierten Potenz der Energie. Physiker nennen das eine Ultraviolettdivergenz oder Ultraviolettkatastrophe, weil bei hohen Energien die Vakuumenergiedichte 'ins Unendliche wächst'. Typischerweise schneiden die Physiker deshalb die Energie bei der (klassischen) Planck-Skala, bei etwa 1019GeV, ab. Die Konsequenz ist, dass die Vakuumenergiedichte endlich bleibt und einen maximalen Wert von 1092 g cm-3 nicht überschreitet. Solche theoretischen Maßnahmen retten leider die Beobachtung nicht: Denn die astronomische Beobachtung liefert eine kritische Dichte von etwa 10-29 g cm-3. Das heißt zwischen Theorie und Experiment liegt ein gigantischer Unterschied von etwa 120 Größenordnungen! Das zur beobachteten, kritischen Dichte gehörige Λ ist sehr klein, aber nicht null und beträgt etwa (10-3 eV)4!
Quintessenzen
Aus dieser Hypothese von einer Verbindung zum Quantenvakuum erwächst demnach ein fundamentales Skalenproblem, wenn man von einer kosmologischen Konstante ausgeht. Die Problematik führte auf die Idee, sich von der Konstanz (Zeitunabhängigkeit) zu verabschieden und eine zeitabhängige Dunkle Energie in Erwägung zu ziehen. Diese neue Form Dunkler Energie bekam auch einen neuen Namen: Quintessenz. Eine solche zeitabhängige Dunkle Energie kann besser an die Beobachtungen angepasst werden und löst auch das so genannte Koinzidenzproblem, nämlich dass sie im lokalen Universum gerade von der Größenordnung der gewöhnlichen und Dunklen Materie ist. Mit dieser variablen Dunklen Energie kann auch der w-Parameter andere Werte als -1 annehmen. Typische Quintessenz-Modelle liefern einen Wert von w = -1/3 (siehe Diagramm unten).
topologische Defekte
Eine weitere Form Dunkler Energie sind die topologischen Defekte mit einem w-Parameter von -2/3. Es handelt sich dabei um 'Fehlstellen', die Relikte einer vorangegangenen, spontanen Symmetriebrechung sind. In den Defekten selbst ist allerdings noch die volle Symmetrie erhalten. Bisher gibt es keinerlei Evidenz seitens astronomischer Beobachtung für topologische Defekte, aber sie können auch nicht als additive Form Dunkler Energie ausgeschlossen werden.
Phantom-Energie
Die Phantom-Energie (Caldwell et al., 2003) ist eine Erscheinungsform Dunkler Energie mit besonders drastischen Konsequenzen: der w-Parameter ist noch kleiner als bei der Kosmologischen Konstante und unterschreitet daher den Wert von -1. Dann führt die Entwicklung des Universums in den Big Rip, den totalen Zerriss von allem, was sich darin befindet – von der makroskopischen bis zur subatomaren Skala! Wann sich der Big Rip ereignet, hängt vom genauen Zahlenwert des w-Parameters ab. Bei w = -1.2 bleiben noch etwa 50 Milliarden Jahre, demnach etwa das 10fache des jetzigen Alters der Erde... Neuste Analysen zeigen allerdings dass mit der Phantom-Energie eine Produktion ultrahochenergetischer Teilchen einhergeht, die nicht in der kosmischen Strahlung beobachtet wurden (Bean et al. 2005).
Chaplygin-Gas
Das Chaplygin-Gas (siehe dort für Details) wurde bereits 1904 erfunden und 2001 als möglicher Antrieb der kosmischen Expansion vorgeschlagen (Kamenshchik et al. 2001). Es handelt sich um eine exotische Flüssigkeit mit einer sehr ungewöhnlichen Zustandsgleichung. Dieses Gas ist ein Verwandlungskünstler, weil es als Staub, Dunkle Materie oder Dunkle Energie (z.B. Quintessenz) in Erscheinung treten kann. Damit eignet es sich, um in frühen Entwicklungsepochen des Universums als Staub zu fungieren und in späten als Ersatz der Dunklen Energie. Diese Energieform ist zwar konsistent mit Beobachtungsdaten der experimentellen Kosmologie, aber sie polarisiert die Physikergemeinde aufgrund der mysteriösen Zustandsgleichung.
ohne Dunkle Energie
Die simpelste Lösung wäre, dass man etwas, was man nicht versteht, einfach verschwinden lässt. Geht's auch ohne Dunkle Energie? Ja, zumindest wird auch diese Variante diskutiert. Die Idee ist, dass die beobachtete, kosmische Expansion nicht etwa durch eine Dunkle Energie getrieben wird, sondern durch Dichteschwankungen in der Materie (Kolb et al. 2005; astro-ph/0506534). Wie weit dieser Vorschlag trägt ist unklar – das Gros der Kosmologen favorisiert allerdings eine Existenz der Dunklen Energie.
Inhalt bestimmt Zukunft
Die Abbildung oben zeigt sämtliche Materieformen, deren Existenz im Universum nachgewiesen ist oder aktuell diskutiert wird. Der w-Parameter eignet sich zur Unterscheidung und Klassifizierung der Materie anhand ihrer Zustandsgleichung.
Das Schicksal des Universums hängt also von seinem Materieinhalt (bzw. präzise formuliert von den Massen- und Energiedichten) ab. Ist genug Materie vorhanden, so gewinnt die Gravitationskraft über die expansiven Kräfte. Als Folge davon wird die Expansion irgendwann aufhören und das Universum wieder kollabieren. Dieses Szenario nennt man Big Crunch ('Großes Knirschen'). Es ist sogar denkbar, dass wieder ein singulärer Zustand erreicht wird und es wieder zu einem Urknall (dem Big Bang) kommt. Dieses periodische Szenario von Expansion und Kollaps nennt man pulsierendes Universum.
Ist jedoch zuwenig Materie vorhanden, so wird die Expansion nie aufgehalten werden können: Das Universum wird langsam auskühlen und als kaltes Universum enden. Dieses Szenario kennt man unter der Bezeichnung Big Whimper ('Großes Wimmern'). Es ist nach aktueller Einschätzung das wahrscheinlichste Ende des Kosmos.
Zwischen diesen beiden Extremen ist ein besonderer Zustand, wo ein kritischer Materieinhalt – oder bezogen auf das Volumen des Universums – eine kritische Dichte liegt. Rechnerisch kann man einen Wert für diese kritische Dichte tatsächlich ableiten, wenn man die bereits erwähnten Friedmann-Gleichungen untersucht. Diese folgen wiederum als Bewegungsgleichungen des Kosmos aus den Einsteinschen Feldgleichungen mit dem Ansatz der so genannten Robertson-Walker Metrik. Die kritische Dichte hängt dann wiederum – so stellt sich heraus – nur von Konstanten und der Hubble-Konstanten ab, die man mittlerweile sehr genau messen kann (aktueller Zahlenwert laut WMAP3: H0 = 73 km s-1 Mpc-1).
Zusammensetzung des Kosmos
Die Kosmologen verwenden gerne dimensionslose Größen, die sie mit dem letzten Buchstaben des griechischen Alphabets Omega bezeichnen und Dichteparameter nennen. Omega ist gerade der Quotient von beobachtetem Materieinhalt zu kritischem Materieinhalt. Beide Größen folgen nun aus der Beobachtung: Die Hubble-Konstante bestimmt die kritische Dichte; die beobachtete Materie bestimmt sich aus der Beobachtung leuchtender Materie, nur indirekt ableitbarer Dunkler Materie und dem Anteil Dunkler Energie. Es ist in der modernen Kosmologie üblich, die einzelnen Anteile für Omega mit einem Index zu versehen, je nachdem um welche Materieform es sich handelt (siehe dazu auch unter dem Eintrag Friedmann-Weltmodelle):
- Index B oder b bestimmt den Anteil baryonischer Materie. Das ist im Prinzip die 'gewöhnliche' Materie, die uns umgibt, z.B. Atome.
- Index HDM steht für Hot Dark Matter, also heiße Dunkle Materie. Unter 'heiß' versteht man in diesem Zusammenhang, dass sich diese Materie im Zeitalter der Galaxienentstehung mit relativistischen Geschwindigkeiten bewegte, also Geschwindigkeiten, die vergleichbar sind mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit. Dazu zählen beispielsweise die Neutrinos.
- Index CDM steht für Cold Dark Matter, also kalte Dunkle Materie. 'Kalt' bedeutet entsprechend, dass sich die Materie nicht-relativistisch bewegte, als die Galaxien entstanden.
- Index m steht für Materie (engl. matter). Kosmologen fassen hier die Anteile baryonischer, kalter Dunkler und heißer Dunkler Materie zusammen. Das ist die am häufigsten zu lesende Variante.
- Schließlich steht der griechische Großbuchstabe Lambda Λ als Index für den Anteil der mysteriösen Dunklen Energie, die sich in ihrer Natur fundamental von den anderen Konstituenten der Materiedichte unterscheidet.
Die Messergebnisse für die Dichteparameter der einzelnen Spezies wurden vor allem durch Beobachtungen der kosmischen Hintergrundstrahlung (Cosmic Microwave Background, CMB) von Ballon-Experimenten (BOOMERANG, MAXIMA) und Infrarot- bzw. Mikrowellensatelliten (COBE, WMAP, künftig PLANCK) gemacht. Die Daten von weit entfernten Supernovae Typ Ia sind unabhängige Messobjekte. Hintergrundstrahlung und SN Ia zusammen ergeben sehr präzise Messresultate und eine sehr genaue Vorstellung von der Zusammensetzung des Universums. Die Beiträge zu 'kosmischen Materieformen' wurden durch aktuelle Messungen des Mikrowellen-Satelliten WMAP korrigiert zu (Stand März 2006, Quelle WMAP Homepage)
- gewöhnliche Materie (Baryonen): 4%
- Heiße Dunkle Materie (HDM): irrelevant (in Spuren),
- Kalte Dunkle Materie (CDM): 22%,
- Dunkle Energie (Λ): 74%.
Der Anteil der Dunklen Energie dominiert eindeutig! Auch Beobachtungen des so genannten 'Lyman-α-Waldes' – charakteristische Absorptionslinien von Wasserstoff – im Spektrum von Quasaren, die schweren Galaxienhaufen, die als Gravitationslinsen fungieren und die Supernovae vom Typ Ia bestätigen die dominante Rolle der kosmologischen Konstante. Die einzelnen Dichteparameter kann man aufsummieren und laut Friedmannscher Theorie muss diese Summe gleich 1 sein. Das beobachtete Ergebnis liegt nahe 1, so dass der Dichteparameter für die Krümmung (Omega mit Index k) verschwinden muss. Anders gesagt: Wir leben also in einem flachen Universum, das von einer Lambda-CDM Kosmologie bestimmt wird (siehe Kürzel oben rechts). In einem flachen Kosmos gelten auch auf der großen Skala die Sätze der ebenen Geometrie, die Euklidische Geometrie.
Streuung zerstreut die Zuversicht?
Anfang 2004 kamen jedoch Zweifel an den Anteilen der kosmischen Ingredienzen auf, weil der Sunyaev-Zel'dovich Effekt einen stärkeren Einfluss haben könnte, als bislang angenommen. In diesem Streuprozess werden die CMB-Photonen an heißen Elektronen des Clustergases (dem heißen Umgebungsgas der Galaxienhaufen) gestreut. Diese Compton-Streuung verfälscht dann die Informationen, die die Hintergrundstrahlung ins lokale Universum bis zum irdischen Beobachter trägt. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass die Streuung völlig das Konzept der Dunklen Energie zunichte macht! Die genauen Einflüsse müssen jedoch geprüft werden. Das ist aktuelle kosmologische Forschung.
Resümee
Die Natur der Dunklen Energie ist nach wie vor rätselhaft. Erst assoziierten die Kosmologen mit ihr (wie beschrieben) das Quantenvakuum. Physikalisch gesehen ist das eine brillante Idee, denn das 'fein verteilte, überall anzutreffende Nichts' würde sich in diesem Szenario erst auf den ganz großen, kosmologischen Distanzen bemerkbar machen und als dynamisch relevant für den Kosmos entpuppen. Auf der kleinen Skala, z.B. in unserem Sonnensystem, gibt es das Quantenvakuum natürlich auch, aber die Längenskala ist zu klein, als dass das Quantenvakuum dynamisch relevant für das Sonnensystem und die Bewegung der Planeten wäre. (Aus dem gleichen Grund darf man bei der Beschreibung der Planeten mit den Kepler-Gesetzen die Expansion des Universums getrost vernachlässigen!) Das Quantenvakuum darf wohl als die bislang beste Hypothese für die physikalische Natur der Dunklen Energie gewertet werden. Leider führt diese qualitativ hervorragende Idee in ein quantitatives Desaster in Form eines Skalenproblems von 120 Größenordnungen.
Die Bezeichnung Dunkle Energie ist wohl etwas irreführend: Man kann nicht argumentieren, dass diese Energieform in jedem Fall gemäß des Masse-Energie-Äquivalents E = mc2 den Raum krümmt. Nur für ein negatives Lambda hat man eine 'kosmische Anziehung' in Richtung der Gravitation. Die Beobachtungen sprechen jedoch für ein positives Λ, für die Ausdehnung des Universums.
Die Dunkle Energie kann jedoch sehr unterschiedliche Erscheinungsformen haben: als Cosmon (Wetterich, Universität Heidelberg, 1987), als Radion im Ekpyrotischen Modell bzw. Zyklischen Universum (Khoury et al. 2001; Steinhardt & Turok 2001), als Spintessenz (Boyle et al., 2001), als kompaktifizierteExtradimensionen (Giddings, 2003) oder als Phantom-Energie (Caldwell et al., 2003). Alle diese Modelle involvieren ein Skalarfeld, das an die relativistische Gravitation koppelt, d.h. Gravitation und Skalarfeld wechselwirken miteinander. Welches Modell und welche Interpretation für unser Universum tatsächlich zutrifft, müssen Messdaten zeigen. Bisher sind alle genannten Spekulationen im Bereich des Möglichen – wenn auch die ersten Permanenzmessungen an Dunkler Energie Einsteins konstantes Λ nahe legen (Wang & Tegmark 2004, astro-ph/0403292; Riess et al. 2004, astro-ph/0402512; ESSENCE, s.o.).
2006 wurde die Konstanz der Dunklen Energie erneut erschüttert: aktuelle Messresultate anhand von weit entfernten Gammastrahlenausbrüchen (GRBs) legen nahe, dass die Dunkle Energie doch variabel sein solle (Schaefer et al., Nature online, 2006). Dieses Resultat basiert auf 52 GRBs, die entstanden, als sehr massereiche Sterne explodierten und zu einem stellaren Schwarzen Loch wurden. Die Explosionen ereigneten sich, als der Kosmos rund 1.5 Mrd. Jahre alt war und wurden aufgrund ihrer hohen Entfernung erst vor kurzem mit Satelliten beobachtet. Der charakteristische Verlauf der Lichtkurve, also die Abnahme der Helligkeit mit der Zeit, sowie die Maximalhelligkeit des Ausbruchs wiesen dabei auf eine zeitabhängige Dunkle Energie hin. Nach Einschätzung der Fachkollegen ist Schaefers Resultat strittig, weil die Explosionen der ersten Sterne im Kosmos und ihre stellare Umgebung noch nicht gut genug verstanden sind. Weiterhin ist problematisch, dass Schaefer zur Auswertung der Daten sowohl sehr weit entfernte, als auch relativ nahe GRBs benutzte – eine Pauschalbehandlung, die vielleicht nicht in Ordnung ist.
Die vielfältigen Ergebnisse zeigen, dass Eigenschaften der Dunklen Energie und ihr Einfluss auf das Universum kontrovers diskutiert werden und weiterhin spannende Neuigkeiten und Überraschungen zu erwarten sind.
Dunkle Energie in der Stellarphysik
Das Konzept der Dunklen Energie wurde – der Kosmologie entlehnt – im Jahr 2001 auch für einen neuen Typus kompakter Objekte übernommen: Gravasterne. Sie haben im Innern an sich ein Vakuum, das jedoch ein Reservoir von Dunkler Energie birgt. Es handelt sich dabei um ein gravitatives Analog zur Bose-Einstein-Kondensation. Diese ('de Sitter'-) Blase stellt nach außen einen (isotropen) Druck zur Verfügung, der eine dünne Materieschicht stabilisiert. Die Schicht besteht aus ultra-kalter Materie, die als relativistische, ideale Flüssigkeit beschrieben werden kann. Im Gravitationskollaps eines massereichen Vorläufersterns oder eines Sternhaufens, könnte sich diese Materiekonfiguration ausbilden, ohne dass ein Horizont entsteht: Die Entweichgeschwindigkeit bleibt bei Gravasternen unterhalb der Lichtgeschwindigkeit. Sie sind nicht so schwarz wie die Schwarzen Löcher. Ob es Gravasterne und Schwarze Löcher tatsächlich in der Natur gibt, wie es astrophysikalische Modelle vorsehen, muss noch gezeigt werden!
Wenn es wirklich Gravasterne geben sollte und unser Universum nach aktuellen Messungen zum größten Teil auch aus Dunkler Energie besteht, so haben wir es grundsätzlich in unserem Universum mit einer Substanz zu tun, die äußerst rätselhaft ist. Diese seltsame Energieform bestimmt demnach im Wesentlichen die Entwicklung des Universums und damit auch unser Schicksal!
Jagd auf Dunkle Energie mit eRosita
Um dem Geheimnis der Dunklen Energie mit astronomischen Beobachtungen auf die Spur zu kommen, entwickelt das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik zusammen mit weiteren Partnern aus Wissenschaft und Industrie ein neues Röntgenteleskop. Dieses Teleskop namens eRosita (engl. Akronym für extended Roentgen Survey with an Imaging Telescope Array) ist der Nachfolger der erfolgreichen ROSAT-Mission und wird voraussichtlich 2011 starten. Dieses Instrument kombiniert in idealer Weise Sammelfläche, Gesichtsfeld und Auflösungsvermögen und wird neue Maßstäbe in der Röntgenastronomie setzen. Zur Analyse der Dunklen Energie wird die Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen ausgewertet (siehe dazu Urknall, Abschnitt '5. Zeuge').
Fazit
Die moderne, relativistische Kosmologie bietet gute Ansätze und Interpretationen für die Dunkle Energie. Die astronomischen Beobachtungen werden weiterhin Beschränkungen auferlegen, die uns nach und nach der Lösung dieses Rätsels näher bringen werden. Es ist nicht untertrieben zu sagen, dass die Dunkle Energie eines der größten Geheimnisse der Physik ist.
Expansion hin oder her – schließen wir die Diskussion der Dunklen Energie mit ihrer geringen praktischen Bedeutung:
'If the universe is expanding, why can't I find a parking space?'
('Wenn das Universum expandiert, warum kann ich keinen Parkplatz finden?')
(Woody Allen)
Weitere Informationen
- Vortrag: Einsteins Universum – Das Geheimnis der Dunklen Energie, November 2005
- eRosita-Website am MPE
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