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Lexikon der Astronomie: Raumzeit

Das vierdimensionale Raum-Zeit-Kontinuum Raumzeit (engl. space-time) ist ein Kunstwort, dass angemessen ein wesentliches Resultat der Relativitätstheorie ausdrückt: Raum und Zeit sind keine Dimensionen mehr, die unabhängig voneinander sind. Wie die Lorentz-Transformation der Speziellen Relativitätstheorie (SRT) zeigt, bilden Raum und Zeit ein Kontinuum! Die Zeit- und die drei Raumkoordinaten sind eng miteinander verwoben und bilden eine vierdimensionale Raumzeit.

Erfinder des Begriffs Raumzeit

Der Begriff Raumzeit wurde 1908 vom Mathematiker Hermann Minkowski (1864 – 1909) ersonnen, der eine neue Darstellung der Relativitätstheorie durch 4er-Vektoren erfand. Diese elegante Formulierung ist bis heute gebräuchlich. Eine witzige Anekdote ist, dass Minkowski Albert Einsteins Mathematiklehrer am Polytechnikum Zürich war. Trotz Begabung hatte Einstein nicht unbedingt mit vortrefflichen Leistungen in Minkowskis Unterricht geglänzt. Umso erstaunter war Minkowski, als er erfuhr, dass dieser Einstein die Relativitätstheorie erfunden hatte. So reagierte er mit folgendem Kommentar:

'Das hätte ich dem Einstein eigentlich nicht zugetraut.'

(Quelle: Biographie Albert Einstein von Thomas Bührke, dtv 2004)

dynamische und gekrümmte Raumzeit

Raum und Zeit existieren nicht weiter als absolute Größen wie in der klassischen Physik, sondern sind selbst dynamisches Objekt, physikalische Größe, ein komplexes Tensorfeld, eine Metrik. Diese Raumzeit kann in Abwesenheit von Materie und Energieflach sein, dann handelt es sich um die Minkowski-Metrik. Die Raumzeit ist jedoch im Allgemeinen durch Massen oder allgemein gesagt Energieformen gekrümmt. Dann muss die Allgemeine Relativitätstheorie (ART) zur Beschreibung bemüht werden. Besonders ausgeprägt ist die Krümmung der Raumzeit bei Schwarzen Löchern, die durch die Schwarzschild-Metrik (statisch) oder Kerr-Metrik (rotierend) beschrieben werden. Die Krümmung wird erst nahe am Schwarzen Loch besonders hoch und verschwindet bei großen Abständen. Die Relativisten sagen: Dort ist die Metrik asymptotisch flach.
gekrümmte Raumzeit Es ist durchaus eine nicht triviale Aufgabe, wie man sich Raumzeit vorzustellen hat. An sich sind wir an eine vierdimensionale Welt gewöhnt: In einem Zimmer füllen wir – der eine mehr, der andere weniger – drei Raumdimensionen, nämlich Länge, Breite und Höhe, aus. Zu einem späteren Zeitpunkt befinden wir uns womöglich an einem anderen Ort im Zimmer: wir haben uns durch die Zeit bewegt. Aber wie bilden diese vier Dimensionen ein Kontinuum? Um das zu veranschaulichen, muss man sich einiger Tricks bedienen und z.B. eine Raumdimension und die Zeitdimensionen unterdrücken. Eine recht einfache Vorstellung von Raumzeit ist dann eine Analogie zu einer dehnbaren Gummihaut. In diesem simplen 2D-Modell geht die Information über die Zeitdimension und eine Raumdimension verloren. Eine in einen Rahmen gespannte Gummihaut bildet eine flache Oberfläche (= flache Raumzeit ohne Anwesenheit von Massen). Legt man eine Masse, z.B. eine schwere Metallkugel auf die Gummihaut, so wird sie gekrümmt. Man erhält eine 'Delle' in der Raumzeit, eine gekrümmte Raumzeit (siehe Abbildung oben rechts). Dabei ist die Tiefe der Delle ein Maß für die Krümmung der Raumzeit.
Die Delle ist ein Resultat einer ausgedehnten Masse. Man kann dieses Spiel noch weiter treiben und die Masse im Gravitationskollaps in sich zusammenfallen lassen. Das Ergebnis ist ein Schwarzes Loch. Anschauliche Darstellungen davon sind Diagramme von Gravitationstrichtern, wie im Eintrag Lapse-Funktion präsentiert. Der Trichter schließt sich nicht, weil hier eine Krümmungssingularität vorliegt.

mathematische Darstellung der Raumzeit

Mathematisch wird die Raumzeit eindeutig durch den metrischen Tensor (Metrik) oder alternativ das Linienelementds2 beschrieben. Im Linienelement stehen die Komponenten des metrischen Tensors als Koeffizienten. Weil der metrische Tensor ein Tensor zweiter Stufe ist, handelt es sich um 4 × 4 = 16 Koeffizienten. Einen solchen Tensor kann man als Matrix mit vier Spalten und vier Zeilen aufschreiben. Die Symmetrie des Tensors reduziert die 16 auf nur 4+3+2+1 = 10 unabhängige Komponenten. Nun hängt es von der Komplexität und den Symmetrieeigenschaften (siehe auch Isometrien) der jeweiligen Raumzeit ab, wie viele der zehn unabhängigen Koeffizienten verschieden von null sind. Bei hohen Symmetrien wie in der Minkowski-Geometrie oder der Schwarzschild-Geometrie ist der metrische Tensor diagonal: dann gibt es nur vier unabhängige Koeffizienten verschieden von null auf der Matrixdiagonalen – die restlichen Einträge sind null.

Zeit in Einsteins Theorie

Der Zeitbegriff wird in der Relativitätstheorie zur relativen Zeit verallgemeinert: Zeit hängt vom Beobachter ab. Im Studium dynamischer, relativistischer Phänomene in der numerischen ART begegnet man deshalb der Frage, welchen Beobachter man wählen soll, um den zeitlichen Ablauf von Prozessen zu untersuchen. Es hat sich bewährt dann die Symmetrie von Raum und Zeit wieder aufzuspalten. Die Methode nennt man 3+1 Split oder ADM-Formalismus. Die Raumzeit blättert dann in raumartige, dreidimensionale Hyperflächen, auf denen jeweils die Zeit konstant ist. Das ermöglicht im Rahmen der numerischen Relativitätstheorie die Simulation dynamischer Prozesse aus der Sicht eines speziellen Beobachters, beispielsweise des ZAMOs.

Beben der Raumzeit

Raumzeiten sind sehr steife Gebilde und lassen sich nur schwer um große Amplituden deformieren. Bei beschleunigten Massen werden im Prinzip immerGravitationswellen emittiert, die die dynamische Krümmung der Raumzeit vermitteln. Gravitationswellen sind nichts anderes als Erschütterungen der Raumzeit, die sich mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit von knapp 300000 km/s ausbreiten.

Bewegen Sie mal Ihre Hand. Haben Sie's gemerkt? Sie haben gerade eine Gravitationswelle emittiert und die Raumzeit deformiert!

Eine Hand ist natürlich viel zu leicht, als dass hier ein großer – geschweige denn messbarer – Effekt zu erwarten wäre. Nur stark beschleunigte und kompakte, schwere Massen können eine deutliche Deformation der Raumzeit mittels Gravitationswellen herbeiführen, z.B. bei der Umkreisung von Neutronensternen oder stellaren Schwarzen Löchern in Binärsystemen (engl. compact binaries), in Binären aus supermassereichen Schwarzen Löchern, in Supernova-Explosionen oder in Gammastrahlenausbrüche.
Die sukzessive Annäherung der Komponenten im BinärpulsarPSR1913+16beweist indirekt, dass er Gravitationswellen abstrahlt. Diese Entdeckung war von großer Bedeutung für die Untermauerung der ART und wurde mit dem Nobelpreis 1993 prämiert.
Die Steifheit der Raumzeit ist ein Glücksfall für die Menschheit, weil sie die Entwicklung und den Erhalt von Leben begünstigt, indem eine relativ stabile Umgebung gewährleistet wird. Wäre die Raumzeit dehnbarer als beobachtet, so wären wir sicherlich nicht hier. Dieser Aspekt darf gerne im anthropischen Prinzip Berücksichtigung finden.

  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

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