Informationsparadoxon: Haben Schwarze Löcher einen Quantenhalo?
Seit etwa 100 Jahren verfolgen wir ihre Spur und haben es inzwischen sogar geschafft, mehrere Exemplare zu fotografieren. Und doch wissen wir kaum etwas über sie. Die Rede ist von Schwarzen Löchern. Seit Jahrzehnten werfen diese kosmischen Masseansammlungen zahlreiche Fragen auf. Doch mit etwas Glück könnten wir in den nächsten Jahren wichtige Antworten erhalten.
Innerhalb eines Schwarzen Lochs ist so viel Materie auf engstem Raum gedrängt, dass seine Anziehungskraft gigantisch ist – so riesig, dass ihm nichts entrinnen kann, nicht einmal Licht. Damit besitzen die galaktischen Ungetüme eine Art Grenze, einen »Ereignishorizont«. Passiert man diesen, ist man unwiederbringlich verloren. Ständig durchqueren Teilchen diese kosmische Einbahnstraße. Und trotzdem wachsen Schwarze Löcher nicht unendlich an.
In den 1970er Jahren erkannte der Physiker Stephen Hawking, dass Schwarze Löcher Energie in Form von Strahlung aussenden und dadurch schrumpfen – bis sie irgendwann ganz verschwinden. Das Problem: Die Strahlung enthält keinerlei Informationen über die Teilchen, die zuvor in das Schwarze Loch gestürzt sind. Diese vermeintliche Tatsache ist aber nicht mit dem Rest der Physik vereinbar. Deshalb suchen Fachleute seit mehr als 50 Jahren nach einer Lösung dieses »Informationsparadoxons«.
Eine solche stellte der Physiker Steven B. Giddings 2013 vor. Demnach sind Schwarze Löcher von einem »Quantenhalo« umgeben: Die Informationen der Quantenteilchen werden in der sie umgebenden Raumzeit codiert und treten so aus dem Schwarzen Loch heraus. Die Physiker Brian C. Seymour und Yanbei Chen vom California Institute of Technology in Pasadena haben nun untersucht, welche Spuren ein solcher Quantenhalo in den ausgesendeten Gravitationswellen hinterlassen würde, die Detektoren wie LIGO oder VIRGO messen. Wie sie in ihrer noch nicht begutachteten Arbeit erklären, sind die bisherigen Aufzeichnungen bislang nicht empfindlich genug, doch eine neue Generation von Detektoren könnte schon bald das Rätsel um das Informationsparadoxon lösen.
Quanteneffekte rund um Schwarze Löcher
Auch wenn viele Fragen zu Schwarzen Löchern offen sind, ist es inzwischen unbestritten, dass sie existieren. Es gibt zahlreiche astronomische Belege für diese erstaunlichen Strukturen. Die Hawking-Strahlung, die sie aussenden, wurde hingegen noch nicht beobachtet. Hawking sagte sie vorher, als er mathematisch untersuchte, welche Quantenphänomene in einer Raumzeit mit Ereignishorizont entstehen könnten. Was passiert zum Beispiel, wenn aus dem Nichts plötzlich ein Teilchen und ein Antiteilchen kurzzeitig entstehen (die sich normalerweise sogleich wieder vernichten) und eines davon vor der Vernichtung einen Ereignishorizont passiert? In der Folge entsteht aus dem Nichts ein langlebiges Teilchen, was der Energieerhaltung widerspricht. Aus ähnlichen Überlegungen leitete Hawking ab, dass Schwarze Löcher Strahlung und auf diese Weise Energie abgeben.
Damit ist die Energiebilanz zwar erhalten (die insgesamt ausgesendete Strahlung hat genau so viel Energie, wie das Schwarze Loch ursprünglich besaß), aber Information scheint zerstört. Aus der abgegebenen Hawking-Strahlung lässt sich nicht mehr ermitteln, welche Arten von Teilchen im Schwarzen Loch gelandet sind. Die Quantenphysik fordert aber, dass Information erhalten ist. Auf dieses Prinzip zu verzichten, lässt sich nur schwer mit den Beobachtungen und Messungen des Mikrokosmos in Einklang bringen. Deshalb suchen Physikerinnen und Physiker nach anderen Erklärungen, um das Informationsparadoxon zu lösen.
Im Prinzip gibt es dafür nur drei Möglichkeiten: Entweder man modifiziert das, was die allgemeine Relativitätstheorie über Schwarze Löcher sagt, verändert die Quantenmechanik oder gibt das Prinzip der Lokalität auf. Letzteres besagt, dass sich Information niemals schneller als das Licht ausbreiten kann. Da sich die Quantenphysik und die relativistische Beschreibung Schwarzer Löcher bisher bewährt haben, neigen viele Fachleute dazu, die Lokalität über Bord zu werfen. So auch Giddings.
»Ein Schwarzes Loch hat einen Quantenhalo um sich herum – eine kleine Wolke, aus der Informationen an die Umgebung zurückfließen«Steven B. Giddings, Physiker
In seiner Theorie, die er als »nonlocal, nonviolent« bezeichnet, »wird die Geometrie der Raumzeit in der Nähe eines Schwarzen Lochs so verändert, dass sie sich abhängig von der Information des Schwarzen Lochs krümmt und kräuselt – allerdings auf sanfte Weise«, schrieb der Physiker 2019 in einem Beitrag bei »Scientific American«. »Ein Schwarzes Loch hat einen Quantenhalo um sich herum – eine kleine Wolke, aus der Informationen an die Umgebung zurückfließen.« Dadurch dringe die Information vom Inneren des Schwarzen Lochs nach außen. Dafür muss sie den Ereignishorizont überwinden, was das Prinzip der Lokalität verletzt. In Giddings Ausarbeitung ist diese Verletzung aber nur bei Ereignishorizonten möglich, wie sie bei Schwarzen Löchern erscheinen; in anderen Fällen sei die Lokalität stets gewahrt. Diese Annahme trifft er, indem er die Quantenregeln in stark gekrümmten Räumen – wie sie bei Ereignishorizonten auftreten – leicht abändert. Da es bisher noch keine vollumfängliche Theorie der Quantengravitation gibt, die das Verhalten von Quantenfeldern mit der Schwerkraft verbindet, erscheint das zunächst aus theoretischer Sicht zulässig.
Seymour und Chen haben nun untersucht, welche Spuren ein solcher Quantenhalo bei der Kollision zweier Schwarzer Löcher hinterlassen würde. Detektoren wie LIGO und Virgo können solche Ereignisse durch die Messung von Gravitationswellen nachweisen. Wie Chen und Seymour berechneten, würde ein Quantenhalo die Phase der einlaufenden Gravitationswellen verschieben – allerdings wäre der Effekt sehr klein. Die heute verfügbaren Geräte sind noch nicht sensibel genug, um solche Änderungen aufzulösen. Doch künftige Gravitationswellendetektoren wie LISA, der in den 2030er Jahren im All platziert werden soll, könnten möglicherweise in der Lage sein, Spuren eines Quantenhalos nachzuweisen. Dann ließe sich das Informationsparadoxon endlich lösen.
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