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Schwarzes Loch Sagittarius A* : »Wir können jetzt wunderbare Physik mit dem Schwarzen Loch betreiben«

Ein extrem massereiches Schwarzes Loch wie aus dem Bilderbuch: Der Astrophysiker Michael Kramer erklärt, wie das Bild der EHT-Kollaboration zu Stande gekommen ist.
Eine Fotomontage der Radioobservatorien, die das Event Horizon Telescope (EHT) Netzwerk bilden.

Eines ist sicher, die heute veröffentlichte Aufnahme wird eines der berühmtesten Bilder der Astronomie werden: Immerhin ist es den Hunderten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Teams vom Event Horizon Telescope (EHT) gelungen, das extrem massereiche Schwarze Loch Sagittarius A* im Zentrum unseres Milchstraßensystems abzulichten.

Einer dieser Wissenschaftler ist Michael Kramer. Er ist Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn und leitet dort die Forschungsgruppe »Radioastronomische Fundamentalphysik«. So findet er Pulsare ungeheuer praktisch, um die allgemeine Relativitätstheorie zu überprüfen und andere Gravitationstheorien zu testen. Als Mitglied der EHT-Kollaboration ist er auch an extrem massereichen Schwarzen Löchern und ihrer Physik interessiert – und würde am liebsten einen Pulsar ganz in der Nähe von Sagittarius A* aufspüren, um diesen Giganten noch genauer zu vermessen.

Michael Kramer | Michael Kramer ist Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn.

»Spektrum«: Herr Kramer, was sehe ich auf diesem Bild eigentlich?

Michael Kramer: Sie sehen einen dunklen Fleck. Das ist der Schatten des Schwarzen Lochs, der von einem Ring mit helleren und dunkleren Stellen umgeben ist. Der Ring kommt vom Plasmaring, der das Schwarze Loch umgibt. Dieses heiße Material umkreist das Schwarze Loch innerhalb weniger Minuten. Deshalb ist das Bild keine Momentaufnahme, sondern ein Mittelwert von verschiedenen Bildern, die wir über zwei Tage lang im April 2017 mit dem Event Horizon Telescope (EHT) aufgenommen haben.

Wie kann ich mir diesen Mittelwert vorstellen?

Ich vergleiche es gerne mit dem Wetter, wenn Sie ein Bergmassiv über mehrere Tage beobachten würden. Manchmal sind Wolken davor, manchmal nicht, manchmal regnet es, mal scheint die Sonne. Was man dann machen kann, ist, für eine Aufnahme die verschiedenen Eigenschaften, die immer wieder auftauchen, zu identifizieren und daraus einen entsprechenden Mittelwert für das Bild des Bergmassivs zu erzeugen.

Das Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxis | Sagittarius A* befindet sich rund 26 000 Lichtjahre entfernt im Zentrum des Milchstraßensystems. Um ein Bild seines Schattens und des Plasmaringes in seiner unmittelbaren Umgebung zu machen, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Teleskope aus der ganzen Welt zusammengeschaltet, um die nötige räumliche Auflösung zu erreichen. Diese Aufnahme zeigt das Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) mit Blick auf die Milchstraße sowie die Position von Sagittarius A*.

Nun gibt es ja in der Umgebung von Sagittarius* kein Wetter im klassischen Sinn, oder?

Nein, aber aus den Hunderten von Bildern, die wir aufgenommen haben, fallen manche Bilder in eine Gruppe, die in etwa gleich aussehen. Wir nennen diese Gruppe »Cluster«. Andere Bilder mögen auf Grund der momentanen Plasmabewegung etwas anders aussehen und fallen in ein anderes Cluster. So haben wir am Ende vier Cluster möglicher Bilder gehabt. Drei davon zeigten ganz klar eine Ringstruktur mit einem schwarzen Schatten in der Mitte. Das letzte Cluster mit den wenigsten Bildern zeigte auch ein paar helle Flecken in der Mitte. Das können wir teilweise erklären: Je nachdem, wie das Plasma gerade in das Schwarze Loch hineinfällt, kann es durch die Lichtablenkungen für kurze Zeit zu so genannten Kaustiken in unseren Aufnahmen kommen. Aber wenn wir dann entsprechend der Häufigkeit mitteln, kommt das Bild zu Stande, das wir jetzt sehen.

Das Bild von Sagittarius A* als Mittelwert von hunderten Bildern | Die Event-Horizon-Telescope-Kollaboration hat ein einzelnes Bild (oberes Bild) des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Galaxie erstellt, indem sie Bilder aus den EHT-Beobachtungen aus dem Jahr 2017 miteinander kombiniert hat.

Auf den ersten Blick ähnelt das Bild von Sagittarius A* der Aufnahme des Schwarzen Lochs der Galaxie Messier 87 (M87), das schon im April 2019 veröffentlicht wurde. Woran liegt das?

M87 ist zwar rund 1000-mal schwerer in der Masse als Sagittarius A*, aber es ist auch 1000-mal weiter weg. Deshalb erscheint es uns am Himmel etwa gleich groß wie Sagittarius A*.

Schatten des Schwarzen Lochs und leuchtender Ring in Messier | Ein Bild, das um die Welt ging: Im Jahr 2019 haben Radioastronomen das Bild eines Rings aus heißer Materie um das Schwarze Loch in der Galaxie M87 erzeugt. Es entstand auf Basis von Messdaten weltweit verteilter Observatorien.

Wieso hat es dann so viel länger gedauert, ein Bild vom Schwarzen Loch im Zentrum unseres Milchstraßensystems zu machen als vom Schwarzen Loch in M87?

Weil M87 1000-mal massereicher und größer ist als Sagittarius A*, dauert es einige Wochen, bis das heiße Plasma, das den hellen Ring auf dem Bild erzeugt, einmal um das Schwarze Loch herumgereist ist. Wenn man diese Umgebung zwei bis drei Tage beobachtet, wie wir es getan haben, dann erhält man im Wesentlichen ein statisches Bild, das sich über den Beobachtungszeitraum nicht stark verändert. Aber in der Nähe von Sagittarius A* passiert alles viel schneller, weshalb es innerhalb von zwei Tagen Beobachtungszeit sehr viele Variationen gibt. Das war eigentlich das Schwierige: diese Variationen in den Griff zu bekommen, um es bei der Bildauswertung entsprechend zu berücksichtigen. Deshalb haben wir zuerst M87 ausgewertet – einfach, weil es einfacher war. Da haben wir die wesentlichen Methoden entwickelt, die für das Erstellen des Bildes brauchten, und auch noch die Polarisation untersucht.

Diese Methodik haben wir auch bei Sagittarius A* übernommen und parallel begonnen, daran zu arbeiten. Aber weil es so viel schwieriger war, mussten wir erst einmal verstehen, wie wir diese Modellierung hinbekommen. Gleichzeitig versuchen wir auch zu verstehen, was in dem Plasma eigentlich vor sich geht, also die Physik dahinter. Und allein diese Variation, diese sprichwörtlich neue Dimension von der Zeitachse in unsere Methoden, musste erst mal entwickelt werden. Das hat entsprechend lange gedauert.

Das Bild selbst zeigt Falschfarben, denn es ist nicht im optischen Bereich des elektromagnetischen Spektrums entstanden. Bei welchen Wellenlängen haben Sie Sagittarius A* beobachtet?

Das Bild, das wir jetzt veröffentlicht haben, haben wir bei 1,3 Millimeter Wellenlänge beobachtet, was 230 Gigahertz entspricht. Sie müssen es sich so verstellen, dass wir im April 2017 während unserer Beobachtungen immer zwischen M87, Sagittarius A* und noch einigen anderen Quellen wie Centaurus A gewechselt haben. Dabei haben wir aber auch Multiwellenlängenaufnahmen gemacht und haben ebenso bei drei Millimetern und sieben Millimetern beobachtet, um etwas über die Physik in der Nähe des Schwarzen Lochs zu lernen. Deshalb gibt es jetzt sechs Fachpublikationen, die sich auf das eigentliche Bild konzentrieren, sowie vier weitere, von denen sich mindestens eine auch mit dem Multiwellenlängenaspekt beschäftigt.

Wenn ich mir dieses Bild jetzt anschaue, wie groß ist dann eigentlich der Schatten des Schwarzen Lochs Sagittarius A*?

Der Durchmesser ist im Wesentlichen der gleiche Durchmesser wie bei M87, ungefähr 50 Mikrobogensekunden. Das entspricht für Sagittarius A* etwa drei Lichtminuten. Zum Vergleich: Die Entfernung zwischen Sonne und Erde beträgt rund acht Lichtminuten.

Waren Sie ein wenig erleichtert, dass es mit dem Bild von Sagittarius A* geklappt hat?

Wir haben das ganze Event Horizon Telescope darauf ausgelegt, Sagittarius A* zu beobachten. Dank der Arbeiten von Reinhard Genzel und Andrea Ghez, die dafür den Nobelpreis für Physik im Jahr 2020 bekommen haben, wussten wir ganz genau, wie weit das Schwarze Loch entfernt ist: rund 26 600 Lichtjahre. Wir wussten ganz genau, wie massereich es ist: 4,3 Millionen Sonnenmassen.

Damit wussten wir genau, dass wir eine Auflösung von 50 Mikrobogensekunden hinbekommen mussten. Jetzt konnten wir tatsächlich die Größe des Schattens messen und mit den unabhängigen Messungen der S-Sterne in der Nähe des Schwarzen Lochs vergleichen. Hier haben wir wirklich einen Test der Gravitationstheorie: Sagittarius A* verhält sich konsistent mit der allgemeinen Relativitätstheorie. Und indem wir diese unabhängigen Messungen miteinander kombinieren, können wir jetzt wunderbare Physik betreiben.

Ist irgendetwas an dem Bild nun überraschend für Sie?

Ich finde es interessant, dass es von der Bildqualität so aussieht wie M87. Das hätte auch anders sein können, weil wir wirklich nicht wussten, wie sich der Einfluss der Gasbewegungen in unseren Methoden niederschlagen würde. Hätten wir tatsächlich ein Bild erhalten, das nicht diese Ringstruktur zeigt, sondern etwas Komplizierteres, hätten wir uns schon am Kopf gekratzt. Deshalb war es keine Überraschung, sondern eher Genugtuung, dass das Bild dem von M87 ähnelt.

Teleskopverbund | Für das Event Horizon Telescope haben Astronomen Radioteleskope auf drei Kontinenten miteinander gekoppelt.

Was kommt nun als Nächstes für das Event Horizon Telescope?

Was wir jetzt vorgestellt haben, sind die Datenauswertungen von 2017. Wir haben auch noch Daten von 2018, obwohl da das Wetter nicht so gut war. Jetzt lautet die Frage: Wenn wir davon eine zweite Aufnahme machen würden, würde sie der ersten ähneln? Dann hatten wir das Pech, dass wir weder 2019 noch 2020 Beobachtungen machen konnten, zuletzt auch nicht wegen der Corona-Pandemie. Jetzt im Frühjahr haben wir wieder Beobachtungen durchgeführt, mit noch mehr Teleskopen als im Jahr 2017. Wir versuchen natürlich, mit weiteren Teleskopen, größeren Bandbreiten und größerer Empfindlichkeit das Bild zu verbessern. Aber das ist jetzt schon ein wichtiger Meilenstein.

Mein Ziel lautet immer noch, einen Pulsar in der Nähe des Schwarzen Lochs zu finden. Das ist mein Steckenpferd. Dann hätten wir sozusagen eine Uhr, die Sagittarius A* zusätzlich ausmessen könnte. Das ist zwar noch schwierig und wir sind noch nicht am Ziel, aber wir geben nicht auf.

© Scientific American/Spektrum der Wissenschaft
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