Lexikon der Astronomie: Singularität
Grundsätzliches
Singularitäten sind im allgemeinen Sprachgebrauch vereinzelt auftretende Erscheinungen (singuläre Ereignisse). Der Wortstamm singulus kommt aus dem Lateinischen und bedeutet 'einzeln'. In der Mathematik, Physik und Astrophysik gibt es ebenfalls Singularitäten, die als 'Unendlichkeiten' charakterisiert werden können.
Singularitäten in Mathematik und Naturwissenschaften
Die singulären Punkte in der Mathematik sind dadurch ausgezeichnet, dass sie mathematisch nicht definiert sind. Ein Beispiel ist hier das Teilen durch die Null. Dieser Wert strebt im Grenzwert gegen Unendlich, weil etwas Endliches (oder Konstantes) durch etwas beliebig Kleines geteilt wird.
Sogar in der Meteorologie gibt es Singularitäten. Hier sind allerdings spezielle Wetterphänomene gemeint, die immer wieder in charakteristischer Weise, aber über das Jahr gesehen vereinzelt auftreten; z.B. die Eisheiligen oder der Altweibersommer.
Singularitäten in der Physik hängen mit denjenigen der Mathematik zusammen: eine physikalische Größe wie Druck, Temperatur oder Massendichte wird unendlich. Dieses merkwürdige Verhalten ereignet sich allerdings nur im Rahmen der theoretischen Physik bei einer Rechnung – ist aber bislang nicht in der Natur beobachtet worden.
Zwei Formen der Singularitäten in der Astrophysik
Singularität in der Astrophysik meint zwei völlig verschiedene Singularitätsformen, die in der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) auftreten: Koordinatensingularitäten und Krümmungssingularitäten, die nachfolgend ausführlich vorgestellt werden. Einsteins ART beschreibt die Gravitation geometrisch mit gekrümmten Raumzeiten. Mathematisch werden diese vierdimensionalen Mannigfaltigkeiten durch ein Linienelement dargestellt. Dabei muss ein bestimmtes Koordinatensystem gewählt werden, in dem das Linienelement als Gleichung notiert werden kann. Nun kann es aber passieren, dass Terme im Linienelement mathematisch nicht definiert sind ('Division durch Null'). In diesen Fällen artet das Linienelement aus und eine mathematisch-physikalische Beschreibung der Raumzeit versagt: es liegt eine Singularität vor! Falls eine Wahl anderer Koordinaten (kartesische Koordinaten, Kugelkoordinaten, Zylinderkoordinaten etc.) die Singularität verschwinden lässt, so handelte es sich nur um eine Koordinatensingularität. Als Beispiel sei die Achse mit verschwindendem Poloidalwinkel in der (äußeren) Schwarzschild-Lösung mit pseudo-sphärischen Koordinaten genannt. Diese Koordinatensingularität verschwindet bei der Verwendung von pseudo-kartesischen Koordinaten.
Gravierend ist es, wenn die Singularität in allen Koordinatensystemen existiert. Dann handelt es sich um eine Krümmungssingularität, die auch echte oder intrinsische Singularität, manchmal auch Raumzeit-, physikalische oder wesentliche Singularität genannt wird. Diese ist nicht zu beheben! Es scheint plausibel anzunehmen, dass die Raumzeit hier eine unendliche Krümmung erfährt. Aus diesem Grund divergieren hier auch Gezeitenkraft und die Materiedichte.
Wichtige Singularitäten der Astronomie
Früher (vor 1967) meinte der Begriff Singularität in der Astronomie ausschließlich Schwarze Löcher. Die Krümmungssingularität der Schwarzen Löcher ist durch einen Ereignishorizont verborgen. In diesem Punkt unendlicher Krümmung steckt die gesamte Masse eines Schwarzen Loches! Anders gesagt: Die Quelle der Gravitation eines Schwarzen Loches ist die Krümmungssingularität.
In der Kosmologie fanden die Relativitätstheoretiker die zweite wichtige Singularität der Astronomie: die Urknallsingularität. Als die Pioniere der Kosmologie Anfang des 20. Jahrhunderts die Allgemeine Relativitätstheorie zur Beschreibung des Kosmos als Ganzes benutzten, fanden sie dynamische Universen. Der expandierende Kosmos konnte sehr gut die astronomischen Beobachtungsdaten klären, denn die amerikanischen Astronomen V. Slipher und E. Hubble konnten messen, dass sich auf sehr großen, kosmologischen Raumskalen die Galaxien voneinander entfernen: Sie folgen der expandierenden Raumzeit des Universums! Extrapoliert man diese Ausdehnung in die Vergangenheit, so muss es ein sehr kleines Universum gegeben haben. 1931 fand G.A. Lemaître, dass der Kosmos in einem beliebig kleinen Punkt vereint gewesen sein muss. Dies war die Entdeckung der Urknallsingularität. Lemaître sprach von der 'Geburt des Raumes'.
Berechnen von Krümmungssingularitäten
Eine gute Methode, um die echten Singularitäten zu finden, ist die Verwendung von Krümmungsinvarianten (engl. curvature invariants). Diese (skalaren) Größen hängen mit dem Riemannschen Krümmungstensors (Riemannsche Invarianten), dem Ricci-Tensors (Ricci-Invarianten) und dem Weyl-Tensor (Weylsche Invarianten) zusammen und sind in jedem Koordinatensystem gleich! Eine Diskussion dieser Größen verrät vieles über die Krümmungseigenschaften einer Raumzeit. So ist ein gutes Kriterium für das Auffinden von intrinsischen Singularitäten, dass man die Stellen (Koordinatenpunkte, besser: Weltpunkte) sucht, wo die Krümmungsinvarianten divergieren, also ins Unermessliche ansteigen. Das passiert z.B. bei einer Division durch Null. Im Unterschied zu den Koordinatensingularitäten lässt sich die Divergenz nicht mit anderen Koordinatensystemen beheben.
So erhält man die Riemannschen Invariante, indem der kontravariante Riemann-Tensor (alle vier Indizes oben) mit dem kovarianten Riemann-Tensor (alle vier Indizes unten) multipliziert wird, wie es im Lexikoneintrag Kretschmann-Skalar exemplarisch gezeigt wird. Die so gewonnene Größe ist invariant, d.h. in allen Koordinatensystemen gleich. Diejenigen Orte, wo die Riemannsche Invariante divergiert (Nennernullstellen, Polstellen), kennzeichnen gerade die intrinsische Singularität.
Echte Singularitäten der Schwarzen Löcher
Intrinsische Singularitäten treten wie bereits beschrieben bei den klassischen Schwarzen Löchern der ART auf. Die echte Singularität der Schwarzschild-Metrik ist im Ursprung r = 0, weil die Riemannsche Invariante den Wert 48 M2/r6 hat. Die Bezeichnung 'Loch' kann in diesem Fall auch so interpretiert werden, dass die Schwarzschild-Geometrie diesen singulären Punkt aufweist, dem eine Sonderrolle in der gesamten Raumzeit zukommt.
Die Kerr-Geometrie zeigt anstelle der zentralen Punktsingularität eine intrinsische Ringsingularität, die jedoch ebenfalls bei r = 0 ist – dies belegen die Krümmungsinvarianten. [Für Experten: die Ringform ist dann zu entdecken, wenn man die Funktion ρ der pseudo-sphärischen Boyer-Lindquist-Koordinaten auf Kerrs ursprüngliches pseudo-kartesisches Koordinatensystem zurück transformiert. Das verwundert etwas, sind doch die Riemannschen Invarianten unabhängig vom verwendeten Koordinatensystem; aber es gibt eben Koordinaten, die eine einfache Interpretation der Singularitätenstruktur zulassen und solche die es eher verschleiern oder sogar verhindern.]
Letztendlich steckt in diesen wesentlichen Singularitäten die Masse der Schwarzen Löcher. Denn ansonsten ist die Raumzeit 'leer', es gibt keine weiteren Quellen in der Schwarzschild- oder Kerr-Geometrie. Bei der Schwarzschild-Lösung ist die Raumzeit-Singularität ein statischer Punkt; bei der Kerr-Lösung ist es ein stationärer, rotierender Massenfluss in Form eines unendlich dünnen Ringes.
Definition einer Krümmungssingularität
Die Definition einer Singularität ist gar nicht so trivial: B.G. Schmidt prägte 1970 die Definition, dass in Singularitäten Geodäten, die Bahnen von Materie und Licht, enden und auch die Raumzeit in diesen singulären Punkten nicht mehr fortgesetzt werden kann, weil die Krümmung unendlich wird.
Die physikalischen Gesetze finden demnach in Singularitäten keine Anwendung mehr. Es ist keine physikalische Aussage (im Rahmen der ART) möglich, weil hier wesentliche, physikalische Größen wie Dichte oder Krümmung divergieren.
Existieren Singularitäten in der Natur?
Der bekannte Relativist J.A. Wheeler sieht im Auftauchen der Singularitäten bzw. unendlicher Krümmungen ein Anzeichen dafür, dass hier die klassische Allgemeine Relativitätstheorie versagt und die Domäne einer quantisierten Gravitationstheorie beginnt. Im Rahmen der unquantisierten ART muss man sich mit Singularitäten anfreunden. Aber die spannende Frage ist, was mit Krümmungssingularitäten in einer Theorie der Quantengravitation passiert. Viele quantengravitative Konzepte wurden schon erarbeitet: In den 1970er Jahren wurden Hawking-Strahlung und Unruh-Effekt entdeckt. Das theoretische Regime dieser beiden bislang nicht in der Natur beobachteten Phänomene ist jedoch eine semi-klassische Quantengravitation. Das bedeutet: die Teilchen werden als quantisierte Felder beschrieben, aber das Gravitationsfeld bleibt wie in der ART unquantisiert! Anwärter auf 'echte Quantengravitationstheorien' sind die Stringtheorien (siehe auch Branenwelten) und die Loop-Quantengravitation (LQG). In diesen Theorien wird tatsächlich versucht, das Gravitationsfeld zu quantisieren und zwar in Gravitonen (bei den Stringtheorien) bzw. in Wilson-Loops (bei der LQG). Wie die ART auch, müssen sich alle diese Theorien an der beobachtbaren Natur messen und bestätigen lassen. Erst nach dieser Phase der Bewährung, wie es der Philosoph K.R. Popper wissenschaftstheoretisch formulierte, kann auch den neuen Theorien vertraut werden. Bislang gab es weder den experimentellen Nachweis von Singularitäten oder Hawking-Strahlung, noch von Strings oder Extradimensionen, noch von Loops oder Loop-Effekten. Die nahe Zukunft wird in dieser Hinsicht sehr spannend!
Singularitätentheoreme
Doch so leicht lassen sich Singularitäten nicht loswerden: Die theoretischen Physiker R. Penrose und S. W. Hawking gingen in der Untersuchung und dem Auftreten von Singularitäten noch weiter: Sie fanden seit 1965 mathematische Sätze, die als Singularitätentheoreme bekannt sind. Diese Sätze sind unabhängig von der ART und basieren auf viel schwächeren Annahmen! Es gehen nur die folgenden drei Bedingungen ein:
- die geometrische Interpretation der Gravitation ('Masse und Energie krümmen die Raumzeit, Raumzeit beeinflusst Masse und Energie über Geodäten'), wie sie schon vom Machschen Prinzip nahe gelegt wurden;
- die Bedingungen für Energiedominanz, d.h. die lokale Schallgeschwindigkeit ist niemals höher als die lokale Lichtgeschwindigkeit;
- und das Kausalitätsprinzip, d.h. die Ursache kommt immer zeitlich vor der Wirkung.
Unter diesen Voraussetzungen verlangen die Singularitätentheoreme die notwendige und unvermeidliche Existenz von Singularitäten! Diese Aussage ist niederschmetternd für alle Gegner von Singularitäten. Gegner könnte man sein, weil man nicht an Orte im Kosmos glauben möchte, wo die physikalische Beschreibung zusammenbricht. Gegner könnte man auch sein wollen, weil man nicht an Punktsingularitäten glaubt, die nicht mit den Prinzipien der Quantentheorie vereinbar scheinen. Überspitzt formuliert: Glauben Sie, dass die Natur die Existenz von Punkten ohne jede Ausdehnung erlaubt? Vor diesem Wissenshintergrund sind die Singularitätentheoreme sehr strikte Aussagen.
Aber: Die Existenz von Singularitäten wurde noch nicht gesichert in der Natur nachgewiesen. Die Astrophysik kommt zwar mittlerweile kaum ohne klassische Schwarze Löcher aus, doch ist die herausfordernde Frage, ob die in der Natur gesichteten Kandidaten nur aussehen wie Schwarze Löcher, aber in Wahrheit etwas vollkommen anderes sind.
Ein wichtiges Werkzeug kommt aus der Mathematik: die Behandlung von Topologien. Dann besagen die Singularitätentheoreme, dass es immer Geodäten gibt, die nicht erweiterbar sind und in einem singulären Punkt enden. Leider besagen die Theoreme nur, dass Singularitäten auftreten, aber nicht wo und auch nicht wie ihr 'Inneres' beschaffen ist. Die Frage ist natürlich, ob diese Annahmen bei starken Gravitationsfeldern oder kleinen Raumskalen, also der Domäne eines quantisierten Gravitationsfeldes, relativiert werden müssen. Insofern werden Forderungen laut, die Singularitätentheoreme der Siebziger Jahre erneut auf den Prüfstand zu bringen.
Zweifel an den Singularitäten
Im Big-Bang-Modell der Kosmologie entsteht das Universum aus einer Singularität unendlicher Dichte, Temperatur und Druckes. Diese Singularität heißt wie bereits vorweggenommen Urknallsingularität, Friedmann-Singularität oder kosmologische Singularität. Extrapoliert man das expandierende Universum rückwärts in der Zeit, so gelangt man zu diesem singulären Punkt. Im Unterschied zur punktförmigen Schwarzschild-Singularität gehört die Urknall-Singularität zu einem materiegefüllten Kosmos plus kosmologischer Konstante; die Schwarzschild- und Kerr-Raumzeiten sind hingegen global materiefrei.
Der Urknall hat durch das Ekpyrotische Modell erstmals eine mögliche – wenn auch abenteuerliche und spekulative – Erklärung erfahren: Er sei die Folge kollidierender Universen, so genannter Branen-Universen. Das Ekpyrosis-Modell steht nun seit einigen Jahren im Raum. Es dürfte außerordentlich schwierig sein, diese Bedingungen vor dem Urknall mit einem Experiment zu testen. Attraktiv an der Ekpyrosis-Hypothese ist, dass sie einen physikalischen Grund für den Urknall anzugeben vermag.
Die Methoden der Loop-Quantengravitation scheinen sogar anzudeuten, dass es gar keine Singularitäten gibt, wenn das Gravitationsfeld in Loops quantisiert wird! Das gilt sowohl für die Singularitäten der klassischen Schwarzen Löcher (Bojowald, Phys. Rev. Lett. 95, 2005; als ePrint: gr-qc/0506128), als auch für die Urknall-Singularität (Bojowald, Gen. Rel. Grav. 35, 1877, 2003; als ePrint: gr-qc/0305069 sowie der Vortrag astro-ph/0309478). Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass der Gravitationskollaps zu Singularitäten durch so genannte Quantenevaporationen unterbunden werden kann (Goswami et al. 2006). Damit ist gemeint, dass die granulare, also quantisierte Raumzeit der LQG im Kollaps bewirkt, dass die kollabierende Materie einen negativen Druck aufbaut. Wie bei der Dunklen Energie in der Kosmologie wirken die negativen Drücke eines Feldes antigravitativ. Das treibt einen nach außen gerichteten Massenverlust der kollabierenden Materie an und verhindert die Entstehung einer Singularität.
Das Aufregende an diesen Rechungen ist auch, dass sie im Prinzip astronomisch beobachtbar sind! Der Massenverlust im Kollaps erzeugt Variationen in der Lichtkurve der Sternexplosion, die mit dem Kollaps einhergeht. Man sollte jedoch nicht verfrühte Hoffnungen wecken: Zu den LQG-bedingten Variationen gesellen sich andere physikalisch bedingte Schwankungen, und es wird schwierig sein die Quantenevaporation von Singularitäten zu bestätigen.
Die brisanten Forschungsergebnisse von Bojowald, Goswami und Kollegen haben noch vorläufigen Charakter, und die Erforschung auf diesem Neuland der Gravitation dauert an.
Masse ohne Materie?
Was geschieht mit Materie, die in ein Schwarzes Loch fällt? Wie reichert sie das Schwarze Loch mit Masse an? In welcher Form liegt sie vor? Als 'singuläre Materie'? Diese entscheidenden Fragen wurden bislang nicht geklärt. Vom Standpunkt der Relativisten verliert die einfallende Materie ihre Materieeigenschaften. Als 'Masse ohne Materie' könnte man dieses Phänomen umschreiben. Das Keine-Haare-Theorem stützt die Vermutung, dass alle Eigenschaften außer Masse verloren gehen in einem Schwarzen Loch vom Schwarzschild-Typus. Freilich ist dieses Unwissen zum Haare raufen und Physiker arbeiten daran, Materie unter hohen Massendichten zu untersuchen – sowohl theoretisch, als auch im Labor. Eine konsequente Beantwortung der Frage, was mit in ein Loch einfallender Materie geschieht, wäre die Untersuchung des Quark-Gluonen-Plasmas. Welchen Phasenübergang macht diese exotische Materieform aus freien (!) Quarks und Gluonen unter weiterer Erhöhung der Dichte? Diese Frage müsste mit den Mitteln der Quantenfeldtheorie und den experimentellen Mitteln in Teilchenbeschleunigern erforscht werden.
Das aktuelle Gebiet der Astrophysik, das diesen Fragen nachgeht, beschäftigt sich mit Vakuumsternen. Letztendlich geht es darum zu verstehen, welchen Grundzustand die Materie einnimmt. Ist der Kern eines Schwarzen Loches angefüllt mit Dunkler Energie – wie im Falle der Gravasterne? Oder gibt es hinter dem verhüllenden Ereignishorizont gar keine Singularitäten, sondern Strings und Branen? Fuzzball und Holostern sind mit den Stringtheorien verträglich. Die modernen Vakuumsterne bringen jedenfalls die klassischen Schwarzen Löcher in Bedrängnis. Die Hypothesentests der Modelle an der Natur und die innere Konsistenz der zugrunde liegenden Theorien werden zeigen müssen, welches Modell die Natur am besten beschreibt.
Auch Singularitäten machen FKK: Nackte Singularitäten
In der Terminologie der ART gibt es noch ein weiteres Attribut: nackte Singularitäten. Diese sind nach Definition für die Außenwelt sichtbar, weil unter bestimmten Umständen Information aus nackten Singularitäten entkommen kann. So ist die Ringsingularität in der extremen Kerr-Metrik (Kerr-Parameter a = -M bzw. a = +M) eine nackte Singularität, weil alle Horizonte und der Ring zusammenfallen. Die kosmische Zensur verbietet jedoch nackte Singularitäten und erlaubt nur, dass sich echte Singularitäten hinter Ereignishorizonten 'verstecken'. Falls Ereignishorizonte wirklich die 'Bademäntel des Universums' sind, scheint das wohl das Kernproblem beim Auffinden von Singularitäten in Experimenten zu sein. Wie weit aber der Gültigkeitsrahmen dieser kosmischen Zensur reicht, ist ein offenes Problem.
Grenzen und Auswege moderner Physik
Viele Physiker haben bei der Konfrontation mit Singularitäten 'Bauchschmerzen'. Immerhin versagt hier die Physik und diese Bereiche entziehen sich bisher jeder naturwissenschaftlichen Beschreibung und lassen viel Raum für Spekulation und Science-Fiction (siehe auch Wurmlöcher). Sie werden daher von Kritikern als 'unphysikalisch' bezeichnet, und das könnte ein Hinweis darauf sein, dass dort, wo sie auftreten, die physikalische Beschreibung überdacht und modifiziert werden muss. Eine Vermutung kann sein, dass das Auftreten von Singularitäten ein Artefakt einer unzulänglichen Beschreibung ist, wie Wheeler mutmaßte und die aktuellen Ergebnisse der Schleifen-Quantengravitation (=LQG) andeuten.
Daher wurde die Erfindung der Gravasterne als Alternativen zum Schwarzschild-Loch von einigen Forschern besonders begrüßt. Doch das Gros der scientific community ist entweder indifferent oder noch recht zurückhaltend und abwartend, was die neuen Lösungen angeht. Für so manchen Forscher mag der Schritt zu gewagt, zu heterodox sein, von den klassischen Schwarzen Löchern Abschied zu nehmen; andere sind orthodoxe Verfechter der Singularitätentheoreme.
Gravasterne, Holosterne, Fuzzballs sowie andere Vakuumsternlösungen und die Singularitätenfrage sind aktuelle und brisante Forschungsthemen. Die Frage, ob die intrinsischen Singularitäten der Astrophysik ein künstliches Artefakt einer unzulänglichen, mathematischen Beschreibung sind muss daher noch unbeantwortet stehen gelassen werden.
Literatur
- Hawking, S.W. & Penrose, R.: The Singularities of Gravitational Collapse and Cosmology, Proc. Roy. Soc. Lond. A 314, 529, 1970
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