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Lexikon der Astronomie: Zeit

Zeit gehört zu den großen Rätseln der Natur. Es ist ein elementarer Begriff, der sicher nicht leicht zu erklären ist. Eine adäquate Behandlung des Themas 'Zeit' vermag viele Bücher zu füllen. Dieser Lexikoneintrag wird daher nicht einem vollem Verständnis des Zeitbegriffs gerecht werden, aber ein paar Aspekte der Zeit in der Physik anreißen.

Zeit in der Physik

In der historischen Retrospektive aus der Sicht des Physikers lässt sich der Zeitbegriff in drei Kategorien fassen, die wir im Folgenden betrachten wollen:

  • absolute Zeit,
  • relative Zeit,
  • quantisierte Zeit.

absolute Zeit

Mit jeder großen physikalischen Theorie erfuhr der Zeitbegriff einen fulminanten und radikalen Bedeutungswandel. Die Ausgangssituation blieb über Jahrtausende bestehen: Zeit wurde als etwas Unveränderliches, Unbeeinflussbares, Stetiges wahrgenommen. Zeit sei absolut. Aristoteles (384 – 322 v.Chr.) prägte bereits die metaphorische Bezeichnung des Zeitflusses.
Auch die Physik Isaac Newtons (1643 – 1727) ist noch dominiert von einer absoluten Zeit. Zeit wird als zusätzlicher, aber unbeeinflussbarer Freiheitsgrad neben den räumlichen als Dimension akzeptiert. Bewegungsgleichungen diktieren die Dynamik von Körpern. Sie entwickeln sich in der Zeit, die einen äußeren, fixen Bezugsrahmen in der Entwicklung und Veränderung vorgibt. Die Newtonsche Gravitationstheorie, die die Bewegung der Planeten, von Gasen und Flüssigkeiten zu beschreiben vermag, war ein denkwürdiger Schritt in der Geschichte der Physik. Zudem stellte Newton und unabhängig von Leibniz den richtigen mathematischen Apparat zur Verfügung, um die Bewegungen zu beschreiben: die Infinitesimalrechnung, also Differential- und Integralrechnung.
Die Newtonsche Physik genügt der Galilei-Invarianz. Die Newtonschen Gleichungen stimmen deshalb in ihrer Form überein, wenn man sie in gegeneinander gleichförmig geradlinig bewegten Systemen betrachtet. Die Zeit ist dabei in beiden Systemen dieselbe. Hierin spiegelt sich ihr absoluter Charakter.

relative Zeit

Im 19. Jahrhundert wurde die Gesetze der Elektrodynamik, des Elektromagnetismus von James Clerk Maxwell (1831 – 1879) gefunden. Elektrische und magnetische Phänomene wurden als wesensgleich erkannt. Nun fiel einem damals 16jährigen Jungen auf, dass sich die Gesetze Newtons und die Gesetze Maxwells nicht vertragen. Es kostete ihn noch ein paar weitere Jahre seines Lebens, dieses Missverhältnis aufzudecken. Im Jahr 1905 veröffentlichte er mit 26 Jahren die Spezielle Relativitätstheorie. Er hieß Albert Einstein (1879 – 1955). Das Missverhältnis bestand darin, dass die klassische Elektrodynamik Maxwells lorentzinvariant ist, eine wesensverschiedene Invarianz von der Galilei-Invarianz. In verschiedenen Bezugssystemen, die über eine Galilei-Transformation miteinander in Beziehung stehen, resultieren unterschiedliche Formen der Maxwell-Gleichungen. Dies leitete Einstein zu der Überzeugung, nicht die Zeit, sondern die Vakuumlichtgeschwindigkeit als absolut anzusehen. Ihre Konstanz wurde auch von dem legendären Michelson-Morley-Experiment (1881/87) nahe gelegt. In diesem Experiment versuchen die Physiker vergeblich einen Weltäther nachzuweisen, auf dem die Lichtwelle 'schwimmen' solle. Die Konsequenzen des Postulats konstanter Lichtgeschwindigkeit sind dramatisch: Die Zeit erhält einen relativen Charakter und kann infolge der Zeitdilatation in unterschiedlichen Bezugssystemen verschieden sein. Ebenso wird die Länge relativ und unterliegt der Lorentz-Kontraktion. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie (publiziert 1916) stellt eine völlig neue Gravitationstheorie dar, die die Newtonsche Theorie ablöste. Mit der neuen Theorie, tauchten auch völlig neue Effekte auf: Zeitdilatation und Lorentz-Kontraktion, die aus der Beschreibung der Welt als Raumzeit resultieren. Das dynamische Raum-Zeit-Kontinuum ersetzte den Begriff des Gravitationsfeldes. Die relative Zeit ist also ein relativistischer Effekt. Ein Beobachter wird ihren relativen Charakter erst entdecken, wenn die betrachteten Relativgeschwindigkeiten vergleichbar mit der Lichtgeschwindigkeit werden bzw. wenn der Zeitverlauf nahe hoher, kompakter Massen betrachtet wird. Ansonsten sind die relativistischen Effekte zwar vorhanden, aber geradezu unmessbar klein. Die Relativitätstheorie darf aus wissenschaftstheoretischer Sicht als bewährte Theorie bezeichnet werden, weil sie sich in zahlreichen Experimenten als erfolgreiche Beschreibung erwiesen hat.

quantisierte Zeit

Fast zeitgleich wurde mit der Relativitätstheorie eine andere Säule der Physik errichtet: die Quantentheorie. Diese Theorie revolutionierte viele wohl etablierte Begriffe der Physik: Determinismus, Messprozess, Teilchen, Welle und Energie erhielten eine neue Definition und Interpretation. Viele physikalische Eigenschaften erwiesen sich als diskontinuierlich, diskret. Sie bestehen aus Quanten. In der speziell relativistischen Erweiterung der Quantenmechanik Paul Diracs findet man eine neue Teilcheneigenschaft, die den Bau und die Erscheinung der Materie dominiert: Spin. Ganzzahliger oder halbzahliger Spin teilt den Teilchenzoo in die zwei großen Gruppen Bosonen und Fermionen. Sie haben grundsätzlich unterschiedliches Verhalten in der Quantenstatistik, was sich im Spin-Statistik-Theorem niederschlägt. Die Bedeutung der Quantentheorie für den Zeitbegriff ist marginaler Natur. An sich impliziert die Quantentheorie selbst keine neuen Zeitbegriffe.

Erst eine Vereinigung der Konzepte der Allgemeinen Relativitätstheorie mit denjenigen der Quantenmechanik führt auf eine neue Natur der Zeit: die quantisierte Zeit. Die Theorie, die sich an der 'Verschmelzung beider Säulen der Physik' versucht, heißt Loop-Quantengravitation. In der bildhaften Sprache kann sie als 'Dach der Physik' angesehen werden. Sie nimmt Gesetze der Quantenwelt – wie die Heisenbergsche Unschärfe und das Pauli-Prinzip - ebenso ernst, wie die Gesetze der relativistischen Welt – wie Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und Diffeomorphismusinvarianz. Dann resultiert zwingend, dass die Zeit in diskrete Portionen auf der Planck-Skala eingeteilt ist. Es gebe Zeitquanten einer Länge von 10-43 Sekunden. Die Verwendung des Konjunktivs im letzten Satz wurde mit Bedacht gewählt, denn die Loop-Quantengravitation ist keine bewährte Theorie. Die Gesetzmäßigkeiten der Wissenschaftstheorie erfordern nun sorgfältige Hypothesentests, die die neuen Loop-Konzepte auf eine Bewährungsprobe stellen. Sie kann sich nur bewähren, indem sie nicht falsifiziert werden kann. Gelingt dies, darf man von einer quantisierten Zeit sprechen – bislang ist das nur eine elegante Spekulation.

  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

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