Lexikon der Astronomie: Topologie
Die Topologie ist ein Teilgebiet der Mathematik (grch. topos: Ort). Sie hat die Klassifizierung von geometrischen Objekten nach ihren Verknüpfungen (engl. connections) in sich selbst und zu anderen geometrischen Objekten zum Gegenstand. Sie behandelt hingegen nicht die Form, Größe oder Krümmung von geometrischen Körpern. Objekte haben gleiche Topologie, wenn man sie kontinuierlich ineinander nur durch Deformationen überführen kann. Sie dürfen bei dieser Transformation nicht zerrissen oder neu miteinander verknüpft werden.
Klarheit durch Beispiele
Das klingt nun bis hierhin sehr abstrakt und missverständlich, wird aber anhand von Beispielen klar: Kugel, Ellipsoid, Zylinder und Quader gehören derselben topologischen Klasse an, weil man sie durch Drücken und Verbiegen ineinander überführen kann. Verbiegt man nun den Zylinder zu einem offenen Ring und schließt seine Flächen einander an, entsteht etwas topologisch Neues: der schlauchförmige Torus. Die Verknüpfungen wurden geändert und der Torus besitzt nun ein Loch wie ein Fahrradschlauch. Diese neue Eigenschaft fehlt dem Zylinder, aus dem der Torus hervorging. Deshalb sind Zylinder und Torus topologisch verschieden.
Aufgabe der Topologie
Die Topologie teilt Punktmengen (Kurven, Flächen, Räume) gemäß ihrer Verknüpfungseigenschaften in topologische Klassen. Wesentliche Attribute sind die Begriffe offen und geschlossen, die man sich leicht am Torus klarmachen kann.
Topologie in der Astronomie
In der modernen Kosmologie stellt sich die Frage nach der Topologie des Universums. Die Formulierung der relativistischen Kosmologie basiert auf der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART). In den Friedmann-Weltmodellen kann man verschiedene Universen klassifizieren, die sich im Krümmungsparameter, der kosmologischen Konstante und vorhandenen Energieformen (Dichteparametern) unterscheiden. In den FLRW-Modellen ist die globale Krümmung des Universums konstant, wie bei einer Kugeloberfläche. Das legt dem Riemannschen Krümmungstensor Beschränkungen auf. Sämtliche Krümmungseigenschaften des Universums werden dann vom Krümmungsparameter k absorbiert. Er entscheidet über die Geometrie des Universums:
- k = -1 hyperbolische Geometrie (oder Bolyai-Lobatschewski-Geometrie)
- k = 0 Euklidische Geometrie
- k = +1 elliptische Geometrie (oder Riemannsche Geometrie)
Die Euklidische Geometrie ist im Prinzip die Geometrie, die man aus der Schulmathematik kennt. Es ist die ebene Geometrie, in der das Parallelenaxiom (Euklids 5. Axiom) gilt. Unter dieser Voraussetzung beträgt die Winkelsumme im Dreieck exakt 180?. In der sphärischen Geometrie, wo man Dreiecke auf Kugeloberflächen beschreiben kann, gilt das nicht mehr; hier liegt die Winkelsumme zwischen 180? und 540? (sphärischer Exzess). Auf einer Sattelfläche, die eine negative Krümmung aufweist, ist hingegen die Winkelsumme eines Dreiecks kleiner als 180?. Die Abbildung oben illustriert nun die zweidimensionalen Analoga zur Geometrie mit jeweiliger Krümmung. Die dargestellten Flächen stellen nur eine topologische Variante von vielen dar.
Wissen aus der Hintergrundstrahlung
Die astronomische Beobachtung fixiert kosmologische Parameter, wie die Hubble-Konstante, die Beiträge einzelner Energieformen des Universums (baryonische Materie, Dunkle Materie, Dunkle Energie) und eben auch den Krümmungsparameter des Universums. Bei der Messung wird sehr genau die Intensitätsverteilung der kosmischen Hintergrundstrahlung am gesamten Himmel analysiert. Die Hintergrundstrahlung stellt eine Art 'Urstrahlung' dar, die als erste elektromagnetische Emission den Kosmos durchflutete, als dieser weniger dicht und damit transparent genug war. Ihre Isotropie und Form eines Planck-Strahlers (mit einer Temperatur von knapp 3 Kelvin, daher auch Drei-Kelvin-Strahlung) bezeugen den Urknall. Die Hintergrundstrahlung wurde in der Rekombinationsära bei einer Rotverschiebung von z = 1100 ausgesandt. Sie enthält zahlreiche Strukturinformationen des Universums in Form von Anisotropien, also geringfügigen Intensitätsschwankungen, die in jeder Raumrichtung anders sind. Eine Messung dieser Unregelmäßigkeiten (deshalb übrigens der Akronymbestandteil anisotropy probe in WMAP) der Hintergrundstrahlung im Bereich von Mikrokelvin kommt daher einer Bestimmung von Dichteschwankungen gleich, die sich wellenförmig im Universum ausgebreitet haben. Sie befinden sich wie ein Abdruck in der kosmischen Hintergrundstrahlung, als geringfügige Abweichung vom Planck-Strahler. Jede dieser Dichtewellen weist Obertöne auf, genauso wie eine schwingende Klavier- oder Gitarrensaite. Die relative Gewichtung der einzelnen Obertöne ist charakteristisch für die Saite und legen ihre physikalischen Eigenschaften fest. Diesen Umstand macht man sich in der experimentellen Kosmologie zunutze, um aus der relativen Gewichtung der Obertöne die Eigenschaften des Universums zu messen.
mathematische Randbemerkung zu Multipolen
Die Strahlungsverteilung wird dabei durch geeignete Funktionen angenähert, die auf einer Kugeloberfläche (nämlich der komplett beobachtbaren Himmelssphäre) definiert sind. Die Kugelflächenfunktionen (engl. spherical harmonics) sind eine geeignete Basis, um beliebige Verteilungen auf einer Kugelfläche wiederzugeben. Denn sie bilden ein vollständiges, orthonormales System (VONS) auf der Sphäre. D.h. so wie man jeden beliebigen 3er-Vektor in die kartesischen Einheitsvektoren (ex, ey, ez) zerlegen kann, kann man jede beliebige Verteilung auf einer Kugelsphäre in unterschiedlich gewichtete Kugelflächenfunktionen zerlegen. In der Physik heißen die Obertöne Multipole. Sie werden eindeutig durch die Wellenzahl l charakterisiert. Die niedrigen Multipol-Ordnungen, kleine Werte von l, haben Namen bekommen: l = 0 nennt man den Monopol (20 = 1), l = 1 den Dipol (21 = 2), l = 2 den Quadrupol (22 = 4), l = 3 den Oktupol (23 = 8), l = 4 den Hexadekapol (24 = 16) etc.
Die Daten des Mikrowellen-Satelliten WMAP (Wilkison Microwave Anisotropy Probe) geben die Verteilung der kosmischen Hintergrundstrahlung sehr präzise wieder. Die einzelnen Gewichte der Obertöne (mit bestimmten Wert von l) sind also sehr gut bekannt.
Ergebnis: das Universum ist flach
Daraus kann man den Satz kosmologischer Parameter inklusive Krümmungsparameter ableiten und findet ziemlich genau einen Wert von k = 0. Die Diagnose lautet also, dass wir in einem flachen Universum leben. Damit ist die Geometrie festgelegt: Sie ist Euklidisch. Aber die Relativitätstheorie lässt die Frage nach der Topologie noch offen. Sie ist nicht durch Einsteins Feldgleichungen festgelegt. Oft wird dieser topologische Aspekt der Kosmologie vernachlässigt und unterschätzt – auch von Kosmologen.
Man kann zu den genannten k-abhängigen Geometrien geometrische Figuren assoziieren: Für k = +1 stellt sich heraus, dass man es mit einer Verallgemeinerung der zweidimensionalen Kugelsphäre zu tun hat: der dreidimensionalen Sphäre oder Hypersphäre. Für k = 0 findet man das bekannte Linienelement der Euklidischen 3-Metrik. Diesen Raum kann man sich vorstellen, wie eine unendlich ausgedehnte, ebene Fläche in der Form eines Blatts Papier. Für k = -1 findet man einen dreidimensionalen Hyperboloid. Dieser kann nicht mehr in einen Euklidischen Raum eingebettet werden, aber in einen Minkowski-Raum der Signatur +2 (also -+++, siehe dazu Metrik). Das Volumen des Hyperboloids ist unendlich.
Bedeutung der kosmischen Topologie
Mit der Topologie verbindet sich die spannende Frage, ob das Universum geschlossen (endlich) oder offen (unendlich) ist. Man kann mathematisch zeigen, dass unterschiedliche Topologien im Allgemeinen verschiedene Volumina haben. Ein einfaches Beispiel ist der Torus. Er hat endliches Volumen und eine räumlich geschlossene Topologie. Schneidet man ihn entlang seiner Symmetrieachse auf und verbiegt das schlauchförmige Gebilde, so erhält man einen Zylinder (Umkehrung des Beispiels vom Beginn dieses Eintrags). Dieser könnte nun ebenso ein unendliches Volumen haben, wenn er sich unendlich weit entlang seiner Symmetrieachse erstreckte. Dann hätte er eine räumlich offene Topologie.
Wie misst man die Topologie des Universums?
Zu jedem Wert des Krümmungsparameters k existiert eine unendliche Anzahl möglicher Topologien! Räume positiver Krümmung, k = +1, sind alle geschlossen. Für andere Werte von k sind sowohl geschlossene, als auch offene Topologien möglich. Ein erstes Kriterium ist die Endlichkeit bzw. Unendlichkeit des Volumens des Universums. In einem unendlich ausgedehnten Universum sollten alle Wellenzahlen l vertreten sein.
Das Universum – ein Fußball?
Die Diagnose von WMAP ist jedoch, dass besonders lange Dichtewellen fehlen! Dies spricht demnach für ein endliches Universum. Der Astrophysiker Jean-Pierre Luminet und sein Team gingen nun den direkten Weg und leiteten die Topologie aus den gemessenen Obertönen ab. Das Resultat ist das geschlossene, elliptische Dodekaeder-Universum. Die charakteristischen Intensitäten von Quadrupol und Oktupol, sowie den kleinskaligen Temperaturschwankungen deutlich höherer Ordnungen (l = 900), kann man dieses Universum zuordnen. Das Dodekaeder-Universum setzt sich aus 120 Pentagon-Dodekaedern zusammen, die eine Hypersphäre bilden. Die Hypersphäre ist die 3D-Oberfläche einer 4D-Kugel. Das Pentagon-Dodekaeder ist ein fußballähnliches Gebilde, dass sich aus 12 Pentagonen (Fünfecken) zusammensetzt. Es gehört zu den fünf Platonischen Körpern, konvexen, geometrischen Körpern, die sich aus regelmäßigen Polygonen (Vielecken) konstituieren. Die Verhältnisse im Dodekaeder-Universum sind etwas komplexer. Dort erzeugen 120 Pentagon-Dodekaeder die Hypersphäre. Im Dodekaeder-Modell wurde also kein flaches Universum angenommen, sondern k = +1, ein 3D-Analog zur 2D-Kugeloberfäche. Diese Geometrie wurde von Luminet et al. vorgeschlagen, weil sie bisher von WMAP-Daten nicht ausgeschlossen werden kann. Die Abweichung vom flachen Universum ist allerdings gering: der totale Dichteparameter beträgt im Dodekaeder-Universum etwa 1.013. Erst noch genauere Messungen mit dem Mikrowellen-Satelliten PLANCK (geplanter Start Juli 2008) werden erlauben, die Dodekaeder-Topologie des Universums zu bestätigen oder zu widerlegen. Vielleicht etabliert sich dann endgültig das alternative Euklidische Universum.
Das Universum – doch eher ein Schultüte?
Es sind jedoch nach wie vor auch hier unterschiedliche Topologien möglich. Im Jahr 2004 kam eine weitere nicht triviale Topologie hinzu, die auch die WMAP/COBE-Beobachtungen erklären kann: Das hyperbolische Horn-Universum von Aurich et al. Leben wir vielleicht in einer riesigen, verbogenen 'Schultüte'?
verrückte Effekte bei komplizierteren Topologien
Unterschiedliche Topologien führen zu ganz erstaunlichen Eigenschaften des Universums. Nehmen wir einmal vereinfachend an, unser Universum sei ein 3D-Würfel, also endlichen Volumens. Nun möge die Topologie so festgelegt sein, dass immer, wenn ein Objekt das Universum an einer Berandungsfläche des sechsseitigen Würfels verlässt, es an dessen gegenüberliegenden Berandungsfläche eintreten möge. Das Universum wäre gar nicht so leicht als eines endlichen Volumens zu erkennen. Lichtstrahlen würden das kubische Universum an einer Seite verlassen und auf der anderen wieder hineinkommen. Die Folgen wären 'kosmische Fata Morganen' oder 'Phantombilder'. Es ist vergleichbar mit dem Effekt von Gravitationslinsen, nur dass die Trugbilder durch unterschiedliche topologische Anschlussbedingungen (Identifikationen) resultieren. Dies kann man deshalb als 'topologisches Linsen' bezeichnen.
Wie bemerkt man topologische Linsen?
Auf solche Weise könnte das Universum tatsächlich kleiner sein, als man bei einfachen Topologien annimmt. Wir lebten in einer riesigen optischen Täuschung! Die Trugbilder wären gar nicht so einfach zu entlarven, weil die Strahlung aus unterschiedlichen Entfernungen (verschiedene Rotverschiebung z) über unterschiedliche Lichtwege (verschiedene Extinktionen des intergalaktischen Mediums) zu uns gelänge. Die Bilder ein und desselben beobachteten kosmischen Objektes könnten unterschiedliche Farbe, Form und Orientierung – unterschiedliche spektrale Eigenschaften – haben, die perfekte Täuschung!
Gravitationslinsen haben Beobachter bereits in vielfältiger Weise verifiziert (Abell-Katalog). Möglicherweise findet man bald Kandidatenobjekte, die aus topologischem Linsen folgten. Ihre Unterscheidung von Gravitationslinsen dürfte dabei sicher eine Hürde darstellen. Die Diskussion topologischer Aspekte des Universums zeigt, dass die beobachtende Kosmologie hier einer großen Herausforderung gegenübersteht. Die Frage nach der offenen oder geschlossenen Topologie des Universums, nach Unendlichkeit versus Endlichkeit muss vertagt werden.
Literatur und Webtipps
- Publikation: Luminet et al. 2003, Papier zum Dodekaeder-Universum, astro-ph/0310253 (erschienen in Nature 425, 593, 2003)
- Software: Computergraphik in gekrümmten Räumen, eignet sich zur Visualisierung des Dodekaeder-Universums (kostenfrei!)
- Buch: Hubert Goenner, Einführung in die Kosmologie (1994), Spektrum Akademischer Verlag
- Buch: Kip S. Thorne, Black holes and time warps: Einstein's outrageous legacy (1994), Papermac London
- Website: Mikrowellen-Satellit Planck
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.