Lexikon der Astronomie: Geodäte
Geodäten sind besondere Kurven in der Differentialgeometrie. Diese Kurven sind identisch mit den Bahnen, auf denen sich Licht und Teilchen ohne Einwirkung von äußeren Kräften bewegen. Geodäten lassen sich über die Lösung der Geodätengleichung in einer vorgegebenen Metrik berechnen.
Geodäten in der Physik
In der klassischen Mechanik gibt es die so genannte Eikonalgleichung der geometrischen Optik. Hier sind die Verhältnisse einfacher, weil die Metrik flach ist. Die Geodäten von Licht sind hier Geraden. Licht breitet sich geradlinig aus, wie wir es aus dem Alltagsleben gewohnt sind.
Physikalisch bedeutende Geodäten sind diejenigen in der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART). Vorgegeben ist die gekrümmte Raumzeit einer Masse, z.B. eines Sterns oder eines Schwarzen Loches. Für diese Metrik schreibt man die Geodätengleichung auf und löst sie für Licht oder für Materieteilchen. Denn die Geodätengleichung gibt vor, wie sich diese Teilchen in der Raumzeit zu bewegen haben. Anschaulich formuliert sind die Geodäten diejenigen Weltlinien im vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum, für die das Eigenzeitintervall (die Zeitspanne im Ruhesystem) extremal wird. Dies legt nahe, Geodäten aus einem Variationsprinzip abzuleiten. Salopp formuliert besagt es: Licht nimmt den kürzesten Weg.
Es stellt sich dann heraus, dass die Geodäten im Allgemeinen gekrümmt sind. Somit kann sich auch Licht auf gekrümmten Bahnen bewegen, was das Phänomen der Gravitationslinse erklärt.
Geodätentypen in Einsteins Theorie
In der Relativitätstheorie werden verschiedene Geodätentypen unterschieden, wie man sich leicht an ihrer relativen Lage zum Lichtkegel in Raum-Zeit-Diagrammen klar machen kann:
- Zeitartige Geodäten liegen innerhalb des Lichtkegels. Für das Linienelement gilt ds2 > 0. Freie Teilchen oder frei fallende Beobachter bewegen sich auf zeitartigen Geodäten.
- Lichtartige Geodäten liegen exakt auf dem Lichtkegel. Sie heißen auch Nullgeodäten. Entlang dieser Bahnen bewegt sich das Licht und Strahlung im Allgemeinen. Für das Linienelement von Strahlung gilt ds2 = 0.
- Raumartige Geodäten liegen außerhalb des Lichtkegels und sind an sich 'unphysikalisch', weil Teilchen auf diesen Bahnen das Kausalitätsprinzip verletzen. Anders gesagt: Ereignisse mit zeitartigem Abstand können nicht kausal miteinander verknüpft sein. Für das Linienelement raumartiger Geodäten gilt ds2 < 0. Die hypothetischen Tachyonen bewegen sich auf raumartigen Geodäten.
Aspekte aus der Differentialgeometrie
In der Differentialgeometrie unterscheidet man außerdem: affine Geodäten, entlang derer ein Tangentenvektor parallel zu sich verschoben wird; metrische Geodäten, die ausgezeichnete Kurven zwischen zwei Punkten sind, die beide Punkte verbinden und deren Intervall stationär ist unter kleinen Variationen, die an den Endpunkten verschwinden. Für Nullgeodäten ist der Tangentenvektor oder – äquivalent dazu – der Abstand zwischen zwei Punkten in der Raumzeit Null. Für Photonen gilt daher, dass das Linienelement verschwindet, ds2 = 0.
Die Geodätengleichung ist eine gewöhnliche Differentialgleichung zweiter Ordnung. Nach dem Existenz- und Eindeutigkeitssatz folgt, dass es zu jeder Richtung in einem Weltpunkt eine eindeutige Geodäte gibt, die durch diesen Punkt geht.
Anwendungen
In einer speziellen Visualisierungsmethode namens Ray Tracing (dt. Strahlenverfolgung) wird gerade die Geodätengleichung für eine große Zahl von Photonen (einige hunderttausend oder sogar Millionen) gelöst. Das dient der Berechnung des Erscheinungsbilds von Objekten (Rendern) in flachen und gekrümmten Raumzeiten. Damit kommt Ray Tracing sowohl bei kommerzieller Software zur Darstellung von Landschaften, Gebäuden und beliebig geformten Körpern in 3D, als auch bei physikalischen Codes zur Darstellung von Strömungen, Jets, Staubtori, Akkretionsscheiben um Schwarze Löcher etc. zum Einsatz.
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