Nichtkommutative Geometrie: Eine quantenmechanische Struktur des Kosmos
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Seit mehr als 100 Jahren suchen Fachleute nach einer Theorie, welche die zwei Säulen der modernen Physik miteinander vereint: Einsteins allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenphysik. Eine solche Theorie der Quantengravitation könnte erklären, was während des Urknalls geschah und einen Blick in das Innere Schwarzer Löcher ermöglichen.
Im Jahr 1915 stellte Albert Einstein die allgemeine Relativitätstheorie vor. Mit dieser Theorie der Schwerkraft stellte er die damaligen Vorstellungen von Raum und Zeit auf den Kopf. Demnach prägt Materie die Form der Raumzeit, die wiederum die Bewegung der Materie beeinflusst. Dieses Wechselspiel beschreiben die so genannten einsteinschen Feldgleichungen. Die Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie lassen sich sehr genau überprüfen. Ein Meilenstein war unter anderem der Nachweis von Gravitationswellen im Jahr 2015.
Themenwoche: Die Jagd nach der Weltformel
Die Gravitation sticht als einzige der vier Grundkräfte heraus: Anders als der Elektromagnetismus und die Kernkräfte scheint sie nicht den seltsamen Regeln der Quantenphysik zu folgen. Viele Physiker sind davon überzeugt, dass eine Theorie der Quantengravitation für ein vollumfängliches Verständnis unserer Welt nötig ist. In dieser Themenwoche beleuchten wir einige Anwärter einer solchen Theorie – und erklären, wie man sie testen könnte.
Wissenschaftsgeschichte: Die 100 Jahre lange Suche nach einer Weltformel
Schleifenquantengravitation: Das Ende der Zeit
Teleparallele Gravitation: Eine neue Raumzeit für eine Weltformel
Nichtkommutative Geometrie: Eine quantenmechanische Struktur des Kosmos
Entropie: Schwarze Löcher als Schlüssel zur Weltformel
Experimente: Folgen Raum und Zeit den Gesetzen der Quantenphysik?
Gödelsche Unvollständigkeit: Ist die Frage nach einer Weltformel unentscheidbar?
Alle Inhalte zur Themenwoche »Die Jagd nach der Weltformel« finden Sie auf unserer Themenseite »Quantengravitation«.
Die in den 1920er Jahren entwickelte Quantenmechanik beschreibt hingegen das Verhalten von Materie auf kleinster Skala, etwa wie Elementarteilchen wechselwirken. Ein zentrales Prinzip ist der Welle-Teilchen-Dualismus: Objekte wie Elektronen und Photonen zeigen je nach Experiment Teilchen- oder Welleneigenschaften – ein Phänomen, das sich eindrucksvoll im Doppelspaltexperiment zeigt. Zudem treten bestimmte physikalische Größen wie die Energie nur noch häppchenweise (»quantisiert«) auf. Die Quantisierung der Energie beseitigte unter anderem die Widersprüche des klassischen Atommodells. In diesem wurden Atome wie ein Sonnensystem dargestellt, bei denen Elektronen einen großen Kern umkreisen. Allerdings würde in diesem Fall das negativ geladene Teilchen durch die kreisförmige Bewegung Strahlung aussenden und Energie verlieren, wodurch es innerhalb kürzester Zeit in den Atomkern stürzen würde. Die Quantenmechanik erklärt, warum dieser Kollaps ausbleibt.
Beide Theorien, die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenphysik, funktionieren für sich genommen sehr gut. Doch es gibt Fälle, in denen sowohl Quanteneffekte als auch eine stark gekrümmte Raumzeit zum Tragen kommen. Deren Beschreibung erfordert eine Theorie der Quantengravitation.
Erste Hinweise darauf fand der berühmte Physiker Stephen Hawking in den 1970er Jahren, als er das Verhalten von Quantenteilchen in der Nähe von Schwarzen Löchern untersuchte. Er erkannte dabei, dass Schwarze Löcher langsam Energie in Form von thermischer Strahlung abgeben, bis sie irgendwann vollständig verdampft sind – einschließlich der in ihnen enthaltenen Information. Das bedeutet, es lässt sich nicht mehr nachvollziehen, welche Objekte in das Schwarze Loch gefallen sind. Ein grundlegendes Prinzip der Quantenphysik besagt jedoch, dass Information niemals verschwinden kann. Dieser Widerspruch zwischen der allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantenphysik, das »Informationsparadoxon«, deutet auf ein tief greifendes Problem hin. Es liefert einen ersten Anhaltspunkt für eine Theorie der Quantengravitation: Sie sollte in der Lage sein, diesen Widerspruch aufzulösen.
In eine solche Theorie wird auch Hoffnung gesetzt, um die Unendlichkeiten im Inneren Schwarzer Löcher oder beim Urknall zu beseitigen. Das Auftreten solcher Singularitäten zeigt an, dass die verwendeten Theorien zusammenbrechen – und durch neue ersetzt werden müssen.
Vereinigungen
Im Lauf der Zeit haben Fachleute erkannt, dass es äußerst hilfreich ist, etablierte Theorien miteinander zu vereinigen. Beispiele hierfür sind die Verbindung von Elektrostatik und Magnetismus zur elektromagnetischen Kraft durch James Clark Maxwell und Michael Faraday, die Verbindung von Raum und Zeit zu einer Raumzeit durch Albert Einsteins spezielle Relativitätstheorie sowie die Verbindung von Energie – sprich Bewegung kleiner Teilchen – und Temperatur durch Ludwig Boltzmann. Zudem gelang es Fachleuten erst, eine funktionierende Quantentheorie elektromagnetischer Teilchen zu konstruieren, nachdem sie den Elektromagnetismus mit der schwachen Kernkraft verbanden. Diese »elektroschwache« Theorie lässt sich mit der starken Kernkraft zum Standardmodell der Teilchenphysik vereinigen.Allerdings hat sich die Verbindung von Quantenphysik und Schwerkraft als extrem schwierig erwiesen. Das liegt unter anderem daran, dass sich beide Theorien grundlegend voneinander unterscheiden. Die allgemeine Relativitätstheorie beschreibt das Zusammenspiel von Materie und Raumzeit durch geometrische Größen wie Krümmung. Dabei sind Raum und Zeit eng miteinander verwoben. In der Quantenmechanik spielt die Raumzeit unterdessen keine Rolle. Sie fußt auf abstrakten Objekten, so genannten Operatoren. Zum Beispiel lassen sich manche beobachtbaren Größen nicht mehr durch Zahlen oder Funktionen beschreiben, sondern durch unendlich große Matrizen. Damit sind experimentelle Ausgänge nicht mehr eindeutig beschreibbar – man kann nur Wahrscheinlichkeiten für mögliche Messergebnisse angeben. Das sind nur wenige von vielen Gründen, die eine Vereinigung beider Theorien so schwer machen.
Inzwischen gibt es viele Ansätze, die eine Quantengravitationstheorie hervorbringen sollen. Die Stringtheorie greift beispielsweise auf winzige Fäden zurück, die sich durch eine hochdimensionale Raumzeit bewegen, während die Schleifenquantengravitation Zeit und Raum als Geflecht aus kleinsten Ringen beschreibt. Einen weiteren spannenden Ansatz bietet der Bereich der nichtkommutativen Geometrie. Bei diesem verleiht man Zeit und Raum quantenmechanische Eigenschaften und begründet damit eine neue Form der Geometrie, aus der eine Theorie der Schwerkraft hervorgehen könnte.
Quantenteilchen in gekrümmter Raumzeit
Vor einem großen Sprung zu einer Quantenversion der Schwerkraft kann es helfen, einen Zwischenschritt einzulegen. Eine Theorie, die als erste Näherung der Quantengravitation gilt, ist die Quantentheorie auf gekrümmten Raumzeiten. Hier ist die Gravitation – und damit die Raumzeit – noch immer klassisch und nicht quantenmechanisch. Aber man untersucht, wie sich Quantenteilchen in einer gekrümmten Raumzeit verhalten. Allerdings wird der Einfluss ignoriert, den die Quantenteilchen auf die Raumzeit haben. Die sich dabei ergebenden Gleichungen heißen semiklassische Einstein-Gleichungen.
Diese erste Näherung hat zu wichtigen Einsichten geführt, wie zu Hawkings Entdeckung der thermischen Strahlung von Schwarzen Löchern oder zur Beschreibung des frühen Universums und extremer astrophysikalischer Umgebungen.
Quantenfeldtheorie
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Anfang des 20. Jahrhunderts entstand die Quantenmechanik – und revolutionierte die Vorstellung von Materie. Plötzlich war ein Elektron nicht mehr bloß ein punktförmiges Teilchen, sondern besaß in manchen Situationen Eigenschaften, die eigentlich lediglich Wellen innehaben. In den folgenden Jahren verallgemeinerten die Fachleute die quantenphysikalischen Konzepte, indem sie den Formalismus nicht nur auf die Mechanik, sondern auch auf den Elektromagnetismus und die Kernkräfte übertrugen.
Das führt jedoch schnell zu Problemen: Die Quantenmechanik an sich kann beispielsweise bloß Systeme mit einer festen Teilchenzahl beschreiben, die sich nicht ändert. Möchte man aber etwa ein Elektron und sein Antiteilchen, das Positron, beschreiben, die sich gegenseitig vernichten, braucht man eine allgemeinere Theorie.
Und so entwickelte sich die Quantenphysik weiter. In den 1950er und 1960er Jahren setzten sich so genannte Quantenfeldtheorien immer mehr durch. In diesen ist die Raumzeit niemals leer, sondern von verschiedenen Feldern durchzogen. Schwingungen darin entsprechen Teilchen oder Antiteilchen. Doch die Quantenfelder sind niemals ruhig: Sie sind der Theorie zufolge stets von kleinen Kräuselungen durchzogen, die extrem kurzlebigen Teilchen entsprechen. Die »virtuellen« Teilchen lassen sich nicht direkt detektieren – ihre Auswirkungen konnten aber bereits nachgewiesen werden.
Bei solchen Überlegungen spielt die so genannte Zweipunktfunktion eine wichtige Rolle. Für zwei Punkte x und y liefert sie eine Wahrscheinlichkeit, dass ein Teilchen am Punkt x erzeugt wird, zum Punkt y läuft und dort wieder vernichtet wird. Fachleute konnten beweisen, dass die Zweipunktfunktion in gekrümmten Räumen jener in der flachen Raumzeit ähnelt, wenn die Punkte x und y nah beieinander sind. Dieses Äquivalenzprinzip ist eines der Grundprinzipien der allgemeinen Relativitätstheorie.
Möchte man jedoch zwei Orte genau auflösen, stößt man mit dem semiklassischen Ansatz wegen der heisenbergschen Unschärferelation unweigerlich auf Probleme. Die Unschärferelation besagt, dass sich Ort und Impuls niemals gleichzeitig genau bestimmen lassen. Das ist keine Folge von Messfehlern, sondern eine grundsätzliche Eigenschaft der Natur. Das bedeutet: Je genauer man einen Ort vermisst, desto größer wird die Impulsunschärfe – und damit schwankt die Energie, was die Raumzeitgeometrie an dem Ort beeinflusst. Zoomt man immer weiter an einen Ort heran, kommt es irgendwann zum gravitativen Kollaps. Die Unschärfe des Impulses wird dann so groß, dass ein Schwarzes Loch entsteht. Das Phänomen heißt geometrisches Messproblem und zeigt, dass es im Rahmen einer klassischen Gravitationstheorie keinen Sinn ergibt, über Raumzeitpunkte in diesem Bereich zu sprechen.
Eine Quanten-Raumzeit als Lösung
Eine quantenphysikalische Beschreibung der Raumzeit könnte solche Probleme beseitigen. Unter anderem erscheint die Raumzeit dadurch körnig. Ähnlich wie viele Größen in der Quantenmechanik wird die kontinuierliche Raumzeit durch winzige Zellen von der Größe der Plancklänge (zirka 10-34 Meter) ersetzt.
Das löst das geometrische Messproblem: Da die Raumzeit gequantelt ist, besitzt die Natur eine begrenzte Auflösung. Gleichzeitig liefert das einen interessanten Ansatz für eine Quantengravitationstheorie. Da die einsteinschen Feldgleichungen die Verbindung zwischen Schwerkraft und Krümmung der Raumzeit beschreiben, sollte jede Theorie der Quantengravitation auch die Quantisierung der Raumzeit berücksichtigen. Der Grundgedanke der nichtkommutativen Geometrie besteht darin, die Mathematik, auf der die Quantenphysik fußt, auf die geometrische Beschreibung der Raumzeit zu übertragen.
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Das kann man mit einem mathematischen Trick machen, der als Nichtkommutativität bezeichnet wird. In diesem Fall gehorchen die geometrischen Größen, die Zeit und Raum beschreiben, nicht mehr den gewohnten Rechenregeln. In der Quantenphysik trifft man ständig auf eine solche Nichtkommutativität. Zum Beispiel folgt die heisenbergsche Unschärferelation daraus, dass die Operatoren, die Ort und Impuls beschreiben, nicht miteinander vertauscht werden können. Das heißt, es kommt etwas anderes heraus, wenn man erst den Ort und dann den Impuls misst, als wenn man die Messung andersherum vornimmt. Wären die Operatoren vertauschbar, also kommutativ, gäbe es keine heisenbergsche Unschärferelation.
Im Gegensatz zu anderen Ansätzen der Quantengravitation ist die nichtkommutative Geometrie recht jung. Der französische Mathematiker Alain Connes, der 1982 die Fields-Medaille erhielt, legte 1994 mit seinem Buch »Nichtkommutative Geometrie« den Grundstein für diesen neuen Zweig der Mathematik, der tief greifende Auswirkungen auf die theoretische Physik haben sollte. In seinem Werk führte Connes das Konzept ein, indem er den gewöhnlichen Begriff des Raums verallgemeinert. Wie sich herausstellt, spiegelt das eine quantenmechanische Sichtweise der Raumzeit wider.
Connes untersuchte auch, wie die nichtkommutative Geometrie aus physikalischer Sicht einen natürlichen Rahmen für das Standardmodell der Teilchenphysik und die Vereinigung von Schwerkraft und Quantenmechanik bieten kann. Damit begründete er das Gebiet der nichtkommutativen Quantengravitation. Hierbei ist besonders, dass die Schwerkraft nicht mehr wie bei Albert Einstein durch geometrische Größen wie die Krümmung beschrieben wird, sondern durch algebraische Zusammenhänge: Wie lassen sich bestimmte Objekte miteinander verknüpfen? Von einem einzelnen Ansatz zu sprechen, ist allerdings irreführend. Inzwischen existieren etliche Theorien der nichtkommutativen Geometrie. Sie unterscheiden sich durch ihren mathematischen Zugang, aber die Grundidee einer Quanten-Raumzeit ist bei allen gleich.
Ein Ansatz ist beispielsweise die emergente Gravitation. Hier ist die Gravitation keine Grundkraft, sondern entsteht aus einer tieferen Quantenstruktur der Raumzeit. In der nichtkommutativen Geometrie wird die Raumzeit durch nichtkommutative Rechenregeln ersetzt. Das erlaubt es, die Raumzeit auf kleinsten Skalen zu quantisieren und dabei die Begriffe von Punkten und Distanzen aufzugeben, die zum Messproblem führten. In diesem Rahmen lässt sich die Schwerkraft als Eigenschaft dieser nichtkommutativen Struktur betrachten, ähnlich wie Temperatur in der Thermodynamik aus der mikroskopischen Bewegung von Molekülen hervorgeht.
Ein weiterer Ansatz besteht darin, die Multiplikation in physikalischen Theorien zu verallgemeinern und der Raumzeit dadurch eine Quantenstruktur zu verleihen. Das so genannte Sternprodukt erweitert die Multiplikation, indem man vom Kommutativgesetz ablässt, während die Assoziativität (also A · (B · C)= (A · B) · C) weiterhin gültig ist. Wendet man ein Sternprodukt auf eine Theorie an, ergibt sich dadurch oft ihre quantisierte Version. Zum Beispiel lässt sich auf diese Weise die newtonsche Mechanik in die Quantenmechanik überführen.
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In einer Folge von zwei Veröffentlichungen im Jahr 2024 und 2025 habe ich auch ein Sternprodukt für gekrümmte Raumzeiten konstruiert – die bisherigen Beispiele hatten sich auf flache Raumzeiten bezogen. Mit diesem neuen Sternprodukt lässt sich eine quantisierte Version der zu Grunde liegenden Raumzeit erzeugen. Damit die Assoziativität A · (B · C)= (A · B) · C gewahrt wird, muss die Quanten-Raumzeit eine Bedingung erfüllen: Ihre Quantenstruktur muss lokal (in kleinen Umgebungen) wie eine flache Raumzeit aussehen – ähnlich wie beim Äquivalenzprinzip der allgemeinen Relativitätstheorie. Durch diese Gleichung ist es möglich, für jede Raumzeit eine Quantenversion explizit auszurechnen.
Nach diesem mathematisch anspruchsvollen Teil habe ich das Sternprodukt auf Quantenfeldtheorien mit gekrümmten Raumzeiten angewandt. Damit konnte ich beweisen, dass die so erhaltenen Zweipunktfunktionen ebenfalls das quantenfeldtheoretische Äquivalenzprinzip erfüllen. Für kleine Abstände verhalten sie sich wie bei flachen Raumzeiten. Damit erfüllen auch Quantenfelder auf quantisierten, gekrümmten Raumzeiten eines der Grundprinzipien der allgemeinen Relativitätstheorie.
Nichtkommutative Kosmologie
Eine besondere Form der Raumzeit ist das 1988 vom späteren Nobelpreisträger Kip Thorne und seinem damaligen Doktoranden Mike Morris beschriebene Wurmloch. Es stellt eine Art Tunnel in der Raumzeit dar, der zwei entfernte Punkte im Universum miteinander verbindet. Ein stabiles Wurmloch ist jedoch auf exotische Materie angewiesen, eine hypothetische Form von Materie mit negativer Energiedichte. Nur das verhindert, dass die Wände des Wurmlochs zusammenfallen. Allerdings lässt sich eine solche Art von Materie nur äußerst schwer mit den aktuellen physikalischen Theorien in Einklang bringen.
Wie sich herausstellt, ist exotische Materie vielleicht nicht die einzige Möglichkeit, hypothetische Wurmlöcher zu realisieren. Die Lösungen der nichtkommutativen Gleichungen zeigen, dass die Quantenstruktur der Raumzeit in großen Entfernungen zum Wurmloch verschwindet, in dessen Nähe jedoch maximal wird. Je mehr die Raumzeit zusammengedrückt wird, desto größer werden ihre Quanteneffekte. Diese wirken abstoßend, so dass die Raumzeitwände des Wurmlochs auseinandergepresst werden. Dieser Druck könnte ein Wurmloch stabilisieren, ohne exotische Materie zu benötigen.
Eine weitere Lösung der allgemeinen Relativitätstheorie, die man sich mit der nichtkommutativen Geometrie ansehen kann, ist das so genannte Friedmann-Robertson-Walker-Lemaitre-Modell oder kurz FRWL-Modell – das Fundament der modernen Kosmologie. Gemäß diesem kam es vor etwa 13,8 Milliarden Jahren zum Urknall, aus dem unser heutiges, sich ausdehnendes Universum hervorgeht. Das Modell passt zu den bisherigen Beobachtungsdaten wie der kosmischen Hintergrundstrahlung und sagt voraus, dass sich Galaxien von uns entfernen.
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Dennoch enthält das FRWL-Modell Lücken. Zum Beispiel kann es das Universum erst 10-36 Sekunden nach dem Urknall erklären. Es ist unklar, was davor passiert ist. Der Zeitpunkt 0 wird als Urknallsingularität bezeichnet, damals war die Dichte und Temperatur dem Modell zufolge unendlich. Eine weitere offene Frage betrifft die »inflationäre Phase«, die etwa 10-36 bis 10-32 Sekunden nach dem Urknall stattfand. Das Universum hat sich in diesem Zeitraum offenbar um das 1026-Fache vergrößert. Was diese extreme Inflation hervorgerufen hat, ist bis heute unklar. Als mögliche Ursache führte der Kosmologe Alan Guth im Jahr 1980 das so genannte Inflaton ein, ein hypothetisches Teilchen mit negativem Druck, das zu einer Art gravitativen Abstoßung führt. Ein Nachweis des Inflatons steht aber noch aus.
Eine Quantenraumzeit könnte die beschleunigte Expansion kurz nach dem Urknall erklären. Weil die Raumzeit zu diesem Zeitpunkt eng zusammengequetscht war, wurde sie wegen der nichtkommutativen Eigenschaften (ihrer Quantennatur) auseinandergedrückt. In einer noch nicht begutachteten Arbeit habe ich das FRWL-Modell mit einer quantisierten Raumzeit untersucht. Wie ich feststellen konnte, verhindert die quantenmechanische Version der Raumzeit eine Urknallsingularität. Je weiter man in der Zeit zurückreist und je dichter der Raum gepackt ist, desto stärker wächst der Druck der Raumelemente, den die Quanteneffekte erzeugen. Dadurch wird eine unendlich hohe Dichte zum Zeitpunkt des Urknalls umgangen. Insbesondere deuten die Gleichungen auf eine minimale Größe des Universums hin, die ungefähr bei der Plancklänge liegt, sprich 10-34 Meter.
Die Quanteneigenschaften der Raumzeit hängen zudem umgekehrt von der Vergrößerung des Raums ab. Daraus lässt sich schließen, dass die Quantenstruktur der Raumzeit am Anfang des Urknalls abstoßend wirkte und nach der Expansion vernachlässigbar wurde. Das würde somit die anfängliche Ausdehnung des Alls erklären, ohne ein zusätzliches Teilchen wie das Inflaton zu benötigen.
Interstellares Reisen
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Wurmlöcher gelten in der Sciencefiction als potenzieller Weg für interstellare Reisen diskutiert. Für das Überleben der Menschheit kann das in ferner Zukunft unabdingbar werden – wahrscheinlich, noch lange bevor sich in etwa fünf Milliarden Jahren die Sonne zu einem Roten Riesen verwandelt.
Der nächste bekannte Planet, den wir ansteuern könnten, befindet sich im Sternsystem Alpha Centauri und ist etwas mehr als vier Lichtjahre entfernt. Die derzeit schnellste Raumsonde ist die Parker Solar Probe mit einer maximalen Geschwindigkeit von 700 000 Kilometer pro Stunde. Damit bräuchten wir ungefähr 6542 Jahre, um den Planeten zu erreichen.
Ein weiteres viel versprechendes Sternensystem ist TRAPPIST-1, das sieben erdähnliche Planeten (drei in einer bewohnbaren Entfernung) um den ultrakalten roten Zwerg bindet. Das System ist ungefähr 40 Lichtjahre von uns entfernt. Falls die Menschheit eine Rakete besitzt, die sich mit dem 0,99-fachen der Lichtgeschwindigkeit fortbewegt (297 000 Kilometer pro Sekunde), ließe sich die Reise in weniger als 5,5 Jahren bewältigen.
Dafür wird aber ungeheuer viel Energie nötig sein. Mit einer Rakete wie der SpaceX Falcon 9 bräuchte man für die Beschleunigung zig Millionen Mal mehr Energie, als die stärkste jemals gezündete Atombombe (Zar-Bombe) entfacht hat. Daher gilt ein Tunnel in der Raumzeit, ein Wurmloch, als schnellerer, effektiverer und letztlich wohl einzig möglicher Weg für solche Reisen.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Ansätzen der Quantengravitation ist die nichtkommutative Geometrie noch recht jung. Die mathematischen Grundlagen für eine solche Theorie mussten in den ersten Jahren nach der Entstehung erst einmal gelegt werden. Umso beeindruckender ist es, dass sich bereits mehrere Lösungen zu bestehenden Problemen abzeichnen, die zudem mit unserer physikalischen Intuition übereinstimmen.
In Zukunft werden drei wesentliche Punkte über den Erfolg – oder Misserfolg – dieses Ansatzes entscheiden. Erstens, ergeben sich physikalisch sinnvolle Quantenkorrekturen zu den semiklassischen Einstein-Gleichungen? Zweitens, können wir mit den erhaltenen Theorien das Informationsparadoxon auflösen? Und drittens: Lässt sich ein messbarer Effekt vorhersagen, der bisher unentdeckt blieb? Denn wie jede Theorie muss sich auch diese letztlich an Beobachtungen überprüfen lassen.
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