Lexikon der Biologie: Halbaffen
Halbaffen, Prosimiae, Prosimii, von G. Simpson (1945) aufgrund ihres „primitiveren“ Evolutionsniveaus den eigentlichen Affen(Simiae oder Anthropoidea) systematisch vorangestellte, morphologisch und verwandtschaftlich heterogene Unterordnung der Primaten. Zu den Halbaffen ( vgl. Tab. ) zählen die in Afrika sowie Vorder- und Hinterindien verbreiteten Galagos und Loris (Zwischenordnung Lorisiformes), die auf Madagaskar und den angrenzenden Komoren lebenden Lemuren (Zwischenordnung Lemuriformes) und die in der südostasiatischen Inselwelt heimischen Koboldmakis (Zwischenordnung Tarsiiformes). Die früher zu den Halbaffen gerechneten Tupaias (Spitzhörnchen) werden heute u.a. aufgrund ihrer abweichenden Fortpflanzungsbiologie in eine eigene Säugetierordnung (Scandentia) gestellt. Die Bezeichnung Halbaffen bezieht sich auf zahlreiche ursprüngliche Merkmale, die Halbaffen mit anderen Säugern gemeinsam haben, sie aber von den eigentlichen Affen und Menschenaffen unterscheiden. So haben fast alle Halbaffen (Ausnahme: Fingertier) ein geringeres Gehirngewicht als Affen vergleichbarer Größe. Bis auf einige Lemuren (z.B. Kattas [ vgl. Abb. 1/2 ], Indris) sind alle Halbaffen nachtaktive Baumbewohner. Sie haben große, nach vorn gerichtete Augen mit einer stark Licht reflektierenden Schicht („Tapetum lucidum“, Tapetum) in der Gefäßhaut (Ausnahme: Koboldmakis; vgl. Abb. 1/3 ), verfügen über einen gut ausgebildeten Gehörsinn mit oft sehr großen Ohrmuscheln und einen ausgezeichneten Geruchssinn, dessen Tätigkeit – wiederum mit Ausnahme der Koboldmakis – von einem unbehaarten drüsigen Nasenspiegel („Rhinarium“) unterstützt wird. Viele Halbaffen gebären Mehrlinge und verfügen über mehr als ein Paar Zitzen. Zu den Merkmalen, die Halbaffen mit den „Höheren“ Primaten gemeinsam haben, gehören u.a. opponierbare Daumen und Großzehen sowie Plattnägel an Fingern und Zehen. Abgeleitete (sekundär erworbene) Merkmale der Halbaffen sind „Putzkrallen“ an der 2. (bei Koboldmakis auch an der 3.) Zehe sowie die (bei Lemuren und Loris; vgl. Abb. 1/1 ) zu „Zahnkämmen“ umgewandelten, nach vorn ragenden Schneidezähne im Unterkiefer, die ebenso wie die Putzkrallen bei der Fellpflege eingesetzt werden. Die Körpermasse der Halbaffen liegt zwischen 30 g (Zwergmausmaki, Microcebus myoxinus, Lemuren; kleinste rezente Primatenart, Kopfrumpflänge: 6 cm) und 6–8 kg (Indri, Indri indri, Indris; Kopfrumpflänge 60 cm); ausgestorbene Arten wie Megaladapis edwardsi erreichten die Größe eines Bernhardiners. – Die meisten nachtaktiven Halbaffen führen anders als die in Gruppen lebenden tagaktiven Primaten ein weitgehend solitäres Leben. Dies schließt engere und längerfristige Beziehungen zwischen Müttern und ihren Nachkommen (vor allem Töchtern) allerdings nicht aus (gemeinsame Schlafnester bei Galagos; vgl. Abb. 2 ). Einige Arten, wie z.B. der Wollmaki (Avahi laniger), leben auch in Paaren oder kleinen Familiengruppen. Bei der nächtlichen Nahrungssuche werden die Jungtiere von ihren Müttern nicht getragen, sondern in Nestern oder Astgabeln zurückgelassen („geparkt“). – Obwohl die Koboldmakis(Tarsiidae) von ihrem Evolutionsniveau her Halbaffen sind, weisen sowohl anatomische wie auch genetische Befunde darauf hin, daß sie den „echten“ Affen verwandtschaftlich näher stehen. In der phylogenetischen Systematik werden sie mit diesen daher zur Unterordnung Haplorhini („Primaten ohne feuchten Nasenspiegel“) vereint, während die übrigen Halbaffen (Lemuren und Loris) zur Unterordnung Strepsirhini („Primaten mit feuchtem Nasenspiegel“) gezählt werden.
A.P.
Halbaffen
Abb. 1:
Loris (Lorisidae):1 Plumplori (Nycticebus coucang); Lemuren (Lemuridae):2 Katta (Lemur catta); Koboldmakis (Tarsiidae):3 Koboldmaki (Tarsius spec.).
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