Lexikon der Biologie: Affen
Affen, Anthropoidea, diejenige Unterordnung der Primaten oder Herrentiere, zu der zoologisch-systematisch betrachtet auch der Mensch rechnet, d. h. die sog. "Höheren Primaten", mitunter (früher) auch Simiae genannt im Unterschied zu den Prosimiae oder Halbaffen. Sie leben hauptsächlich in den Tropen und Subtropen (mit Ausnahme von Madagaskar, Australien und Neuguinea; vgl. Abb.); nur 1 Art kommt heutzutage auch in Europa vor, der Berberaffe oder Magot auf Gibraltar (wenn man von der weltweiten Verbreitung des Menschen einmal absieht). Im Pliozän und noch im Pleistozän lebten auch Makaken in Europa. Die Körpergröße der Affen reicht von mausgroß (Beispiel: eine 1997 im Amazonas-Regenwald neuentdeckte Art der Tamarins) bis Gorillaformat, und ihr äußeres Erscheinungsbild ist so unterschiedlich, wie die Bezeichnungen Hundsaffen, Menschenaffen und Mensch bereits zum Ausdruck bringen. Dennoch sind die anatomischen Unterschiede zwischen den Angehörigen dieser Gruppe gering und handelt es sich dabei meist nur um Abwandlungen in den Proportionen einzelner Körperteile oder um besondere Anpassungen an bestimmte Lebensformen, wie z. B. die beim Menschen in Zusammenhang mit dem aufrechten Gang (aufrechter Gang) entwickelte Krümmung der Wirbelsäule oder Ausbildung der Hinterextremität (Beine). – Alle Angehörigen dieser Gruppe weisen einen im Vergleich zu den anderen Säugetieren besonders geräumigen Hirnschädel ( vgl. Abb. ) mit ausgedehnten Großhirnhemisphären auf (Cerebralisation, Gehirn, Telencephalon; Gehirn II). Ihre Nase ist rückgebildet, ohne nackten Nasenspiegel, und mit freier (d. h. nicht mehr am Zahnfleisch angewachsener) Oberlippe, und demzufolge das Riechvermögen (chemische Sinne, Geruchssinn) gegenüber allen anderen Säugetierarten – auch den "Niedrigeren Primaten" (den Halbaffen) – entsprechend schwächer ausgeprägt. "Stattdessen", so könnte man sagen, ist ihr Sehvermögen (Linsenauge) besonders gut entwickelt – äußerlich erkennbar an den nach vorne gerichteten, zu stereoskopischem Sehen (binokulares Sehen) befähigenden Augen. Die fünfstrahligen Extremitäten sind mit dem opponierbaren 1. Strahl (Daumen, opponierbar) als Greiforgane ausgebildet (Greifhand, Greiffuß). Die unbehaarten Handflächen und Fußsohlen zeigen ein (für jedes Individuum!) charakteristisches Rillenmuster (Hautleisten). Meist tragen die Finger- bzw. Zehenendglieder "Nägel" als epidermale Hornbildungen (Fingernagel), seltener Krallen (z. B. Krallenaffen). Zu dem menschenähnlichen Aussehen vieler Affenarten (vgl. Bildtafeln) tragen das teilweise unbehaarte Gesicht mit den nach vorne blickenden Augen, das Fehlen des Nasenspiegels, die Form der Ohren, vor allem aber das ausdrucksvolle Mienenspiel bei (Mimik), ermöglicht durch die freie Beweglichkeit der Oberlippe und die oft hohe Entwicklung der Gesichtsmuskulatur.
Man unterteilt die Affen gewöhnlich in zwei Großgruppen ( vgl. Tab. ), in die Breitnasen(Platyrrhina) und in die Schmalnasen(Catarrhina), so benannt nach dem weiteren oder engeren Abstand ihrer äußeren Nasenöffnungen. Beide Gruppen haben sich, wie man annimmt, unabhängig voneinander aus einer den heutigen Koboldmakis(Tarsiidae) ähnlichen Stammform entwickelt. Die Breitnasen leben in einer Vielzahl an Formen in Mittel- und Südamerika und werden deshalb auch Neuweltaffen genannt. Als Besonderheit besitzen einige unter ihnen einen Greifschwanz als zusätzliches Hilfsorgan zum "Hangeln" (Klammerschwanzaffen, Brüllaffen). – Die meisten Affen sind tagaktive Tiere, im Gegensatz zu den nachtaktiven Halbaffen. Sie leben gruppenweise, in kleinen Familienverbänden (Makaken, Gorilla) oder in Horden aus mehreren Familiengruppen (Paviane) zusammen. Das Leben vieler Arten spielt sich – entsprechend ihrer Abstammung von baumlebenden Insectivoren (Insektenfresser) – vorwiegend im Geäst der Bäume ab, wo sie sich geschickt kletternd oder hangelnd (Gibbons) fortbewegen. Einige haben sich auch dem Leben am Boden angepaßt (Paviane, Makaken und die großen Menschenaffen), manche – so auch die Vorfahren des Menschen – mit der Tendenz zur bipeden Fortbewegungsweise (Menschenaffen, aufrechter Gang, Bipedie), einer in ihrer Bedeutung nicht hoch genug einzuschätzenden Voraussetzung unserer Ahnen zur Höherentwicklung (Werkzeuggebrauch, Intelligenz). – Die Nahrung der Affen ist im allgemeinen recht vielseitig (Omnivoren). Sie besteht überwiegend aus verschiedensten Pflanzenteilen, aber auch aus Insekten, Vogeleiern und (meist kleineren) Wirbeltieren. Echte Nahrungsspezialisten sind die Schlankaffen als reine Blätterfresser, mit einem speziell dazu eingerichteten Verdauungstrakt. – Das Fortpflanzungsverhalten der Affen weist eine Besonderheit auf: Im Gegensatz zu den meisten anderen Säugetieren ist ihre Fortpflanzung an keine bestimmte Jahreszeit gebunden; sie können sich das ganze Jahr über paaren. Nur bei Arten der gemäßigten Breiten (Magot, Japan-Makaken) gibt es bevorzugte Fortpflanzungszeiten. Die weiblichen Tiere machen in Zusammenhang mit der Eireifung einen Monatszyklus durch, an dessen befruchtungsfähigen Tagen bei einigen Arten (z. B. Pavianen, Schimpansen) der Hautbezirk um die Geschlechtsorgane auffällig anschwillt und dadurch bei den männlichen Tieren besondere Aufmerksamkeit hervorruft (Auslöser, Bonobo). Die Tragzeit ist zwar von Art zu Art verschieden, dauert jedoch mit 5 bis 9 Monaten vergleichsweise lang. Außer den Krallenaffen, bei denen Zwillingsgeburten etwas häufiger beobachtet werden, bringen Affen im Regelfall jeweils nur 1 Junges zur Welt, das bei manchen Arten (z. B. Menschenaffen) über 1 Jahr lang gesäugt wird. (Als echte Primaten besitzen alle Affen 2 brustständige Zitzen; Herrentiere.) Während dieser langen Periode lebt das Jungtier als sog. Tragling in enger Bindung an die Mutter, welche in dieser Zeit nicht befruchtungsfähig ist (natürliche Geburtenregelung). Menschenaffen bekommen dadurch nur alle 2–3 Jahre Nachwuchs. Raubfeinde haben Affen unter den Großkatzen und großen Greifvögeln. Die stärkste Bedrohung für diese Tiergruppe geht jedoch von einem ihrer nächsten Verwandten, dem Menschen aus, der die noch verbliebenen Reste ihres einstigen Lebensraums durch Rodung und Verkehrserschließung (Regenwald) ständig weiter verkleinert. – Unter den heute lebenden Affenarten sind es die zu den Altweltaffen oder Schmalnasen gehörenden Menschenaffen, mit denen der Mensch – von den verschiedensten Aspekten betrachtet, vom Äußeren bis zur molekularen Ebene (Cytochrome) – mehr Gemeinsamkeiten als mit jeder anderen Tiergruppe aufweist. Australopithecinen, Brachiatorenhypothese, Pongidenhypothese, Paläanthropologie. Affen I , Affen II .
H.Kör.
Lit.:Fleagle, J.G.: Primate Adaptation and Evolution. San Diego 1988. Hill, W.C.O.: Comparative Anatomy and Taxonomy. 8 Bde. Edinburgh 1953–74. Sommer, V.: Die Affen. Unsere wilde Verwandtschaft. Hamburg 1989.
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