Lexikon der Biologie: Konfliktverhalten
Konfliktverhalten, Verhalten, das auftritt, wenn (zwei) konkurrierende Verhaltenstendenzen gleich stark motiviert (Motivation) sind, die sich normalerweise ausschließen (einige Verhaltensbereiche sind gleichzeitig miteinander vereinbar, z.B. das Atmen). Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie dieser Konflikt zum Ausdruck kommt: 1) Ambivalentes Verhalten (Ambivalenz): Das Verhalten setzt sich aus Anteilen beider Tendenzen zusammen, die sich überlagern oder abwechseln (z.B. Angriff und Flucht, so das ängstliche Beobachten eines Löwen durch eine Gazelle, die noch an Futterresten im Maul weiterkaut; der Konflikt führt zu einer Mischung von Freß- und Fluchtverhaltensweisen). 2) Umorientierte Bewegung (umorientiertes Verhalten): Das Verhalten wird auf ein anderes Objekt umgelenkt (z.B. Angriffsbewegungen, die am eigentlichen Gegner vorbeizielen; so rupfen Silber-Möwen bei Revierkämpfen demonstrativ an Grasbüscheln). 3) Übersprungbewegung, Übersprunghandlung, „Radfahrerreaktion" (veralteter Begriff), Übersprungverhalten: Es tritt ein nicht in den Kontext passendes, deplaziertes Verhalten auf (z.B. das überraschende Einnehmen der Schlafstellung bei Austernfischern mitten in einer Revierauseinandersetzung; dabei tritt, während zwei Verhaltenssysteme im Konflikt stehen, plötzlich ein Element aus einem dritten System auf). – Wird eine der beiden Verhaltenstendenzen innerhalb einer Konfliktsituation nur teilweise durch die andere gehemmt, kommt es zu einer gehemmten Intentionsbewegung, das jeweilige Verhalten wird nur unvollständig ausgeführt, gleichsam angedeutet. Darüber hinaus drücken verschiedene vegetative Reaktionen des Körpers die Konfliktsituation aus, z.B. das Sträuben und Glätten von Federn bei Vögeln (das eigentlich der Temperaturregulation dient), Haarsträuben (Haare), rasches Atmen usw.; beim Menschen kommen Erröten, Schwitzen, Frösteln, Zittern u.a. Reaktionen der Temperaturregelung vor. Bei extremen inneren Konflikten kann es zu einem Anfall kommen (z.B. wilde motorische Aktivität und Schreien). Anfälle wurden bei Mäusen unter Laborbedingungen untersucht; vermutlich bricht dabei die geordnete Verhaltenssteuerung unter der Belastung des Konflikts zusammen. Die Stärke des Konflikts und die Ausprägung des Konfliktverhaltens hängen dabei von der Stärke der Gesamt-Erregung und vom gegenseitigen Verhältnis der konkurrierenden Motivationen, Bereitschaften, Tendenzen usw. ab. So lassen sich z.B. die Variationen im Drohverhalten von Möwen erklären, indem man verschieden starke Angriffs- und Fluchttendenzen annimmt ( vgl. Abb. ). Beim Kampfverhalten insgesamt stellt ein Motivationskonflikt den Normalfall dar, da meist Angriffs- und Fluchttendenzen gleichzeitig vorhanden sind (Aggression). Stammesgeschichtlich kann Konfliktverhalten durch Ritualisierung zu einem der Kommunikation dienenden Auslöser werden. So ist auch formales Drohverhalten häufig aus ambivalentem (zwischen Angriff und Flucht schwankendem) Verhalten hervorgegangen. Beim menschlichen Kleinkind (Kind) stellt Konfliktverhalten zwischen Abwendung und Annäherung den Normalfall dar, sobald das Kind einer fremden Person begegnet. Es reagiert dann mit ambivalentem Verhalten. In der Verhaltensphysiologie wurde Konfliktverhalten auch dadurch untersucht, daß durch elektrische Hirnreizung zweier Felder beim Huhn unvereinbare Verhaltenstendenzen aktiviert wurden. Bereitschaft (Farbtafel II), Ethologie (Geschichte der), Krieg, Stereotypie; Konfliktverhalten .
H.H./M.A./E.K.
Konfliktverhalten
Unterschiedliche Drohhaltungen bei der Lachmöwe; die Höhe der Striche versinnbildlicht die Stärke der im Konflikt stehenden Angriffstendenzen (dicker Strich) und Fluchttendenzen (dünner Strich). Je stärker die Fluchttendenz, desto aufrechter ist die Haltung (Abflugintention), und desto mehr wird der Schnabel zurückgezogen. Vorgestreckte Haltung und Öffnen des Schnabels (Intention zum Zubeißen) zeigen dagegen eine stärkere Angriffstendenz an.
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