Lexikon der Biologie: Orang-Utan
Orang-Utanm [von malaiisch orang hutan = Waldmensch], Pongo pygmaeus, heute nur noch in einigen Regenwaldgebieten auf Sumatra und Borneo vorkommende Art der Menschenaffen, die nach Fossilfunden aus dem Pleistozän ursprünglich auch auf Java und dem südostasiatischen Festland (Südchina bis Nordostindien und Burma; Asien) lebte. Die beiden rezenten Populationen auf Borneo und Sumatra sind seit mindestens 10.000 (nach molekularbiologischen Daten seit über 1 Million) Jahren geographisch und genetisch voneinander isoliert und unterscheiden sich in einer Reihe morphologischer, chromosomaler und biochemischer Merkmale. Traditionell werden sie als Unterarten betrachtet; gegenwärtig wird jedoch diskutiert, beiden den Artstatus zuzuerkennen (Sumatra-Orang-Utan: Pongo abelii; Borneo-Orang-Utan: Pongo pygmaeus). Orang-Utans ( vgl. Abb. ) haben ein langes, rotbraunes Fell, lange, kräftige Arme, relativ kurze Beine und zeichnen sich durch einen extremen Sexualdimorphismus aus: Männchen (Kopfrumpflänge bis 1,4 m) werden mit 80 kg mehr als doppelt so schwer wie Weibchen (Kopfrumpflänge bis 1,1 m, Gewicht 35 kg; in Menschenobhut werden beide Geschlechter deutlich schwerer); voll ausgewachsene Männchen haben breite Backenwülste und einen Kehlsack, der der Schallverstärkung dient. Diese sekundären Sexualmerkmale können bei Männchen, die im Revier eines voll ausgewachsenen, dominanten Männchens leben, bis zu 20 Jahre unterdrückt bleiben (aufgrund dieser 2 "Morphen" nahmen frühere Forschungsreisende an, es handele sich um 2 Arten). Orang-Utans sind baumlebende Hangelkletterer, die nur selten freiwillig auf den Boden kommen (Stürze sind nicht selten). Nur auf Borneo, wo es keine Tiger oder andere größere Bodenfeinde gibt, legen besonders große Männchen längere Strecken auf dem Erdboden zurück. Sie ernähren sich vorwiegend von Früchten, aber auch Blättern, Rinde und gelegentlich tierischer Kost. Die Nacht verbringen sie wie alle Großen Menschenaffen in (in der Regel täglich neu errichteten) Baumnestern aus Zweigen. Anders als alle anderen Affen und Menschenaffen leben Orang-Utans nicht in Gruppen, sondern weitgehend einzelgängerisch ("semi-solitär"). Voll ausgewachsene, dominante Männchen haben Streifgebiete von bis zu 3000 ha, die sie mit "long-distance-Rufen" markieren und die mehrere kleinere (bis zu 900 ha große) Streifgebiete von Weibchen umfassen. Die im Verhältnis zum Körpergewicht kleinen Hoden (0,05% des Körpergewichts) deuten auf ein polygynes Fortpflanzungssystem; allerdings belegen genetische Untersuchungen, daß auch subdominante Männchen Kinder zeugen. Ein großer Teil der Paarungen (vor allem mit subdominanten Männchen) erfolgt gegen den Widerstand des Weibchens. Die unter nichtmenschlichen Primaten einmalige Häufigkeit solcher "erzwungener Paarungen" ("forced copulation"; erzwungene Kopulation, Vergewaltigung) wird einerseits auf den starken Sexualdimorphismus und die solitäre Lebensweise zurückgeführt (die Weibchen haben keinerlei soziale Unterstützung), andererseits auf die extrem niedrige Geburtenrate: Der Abstand zwischen 2 Geburten beträgt 8 Jahre. Weibchen werden mit 11–15 Jahren geschlechtsreif (in Menschenobhut früher), bringen aber meist erst mehrere Jahre später nach einer Schwangerschaftsdauer von 250–270 Tagen ihr erstes Kind zur Welt; das Jungtier wird etwa 6 Jahre gesäugt. Die maximale Lebensdauer von Orang-Utans liegt im Freiland bei etwa 45 Jahren, in Menschenobhut bei knapp 60 Jahren. – Seit prähistorischen Zeiten werden Orang-Utans bejagt, was vermutlich schon damals zu einem erheblichen Rückgang der Bestandszahlen geführt hat. Heute sind Orang-Utans vor allem aufgrund ihrer geringen Fortpflanzungsrate und der fortschreitenden Zerstörung ihres Lebensraums von der Ausrottung bedroht. Während es zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch schätzungsweise 315.000 Tiere gab, waren es 1986 noch etwa 35.000 Tiere; nach den verheerenden Feuersbrünsten in den Jahren 1997 und 1998 war der Bestand auf ca. 25.000 Tiere (Stand: Ende 1998) gesunken. Mensch (Abb.), Menschenaffen (Abb., Tab.); Affen II , Asien VIII , Menschenrassen II .
A.P.
Lit.:Nadler, R.D., Galdikas, B.M.F., Sheeran, L.K., Rosen, N. (Hrsg.): The Neglected Ape. New York 1995.
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