Lexikon der Biologie: Rhabdoviren
Rhabdoviren [von *rhabdo- ], Rhabdoviridae, umfangreiche Familie von RNA-Viren mit stäbchenförmiger Morphologie und einem nichtsegmentierten Genom aus einzelsträngiger Minusstrang-RNA (Mononegavirales). Rhabdoviren werden in 6 Gattungen unterteilt ( vgl. Tab. 1 ). Sie infizieren die verschiedenartigsten Wirtsorganismen (Insekten, Fische, Vögel, Säuger, Pflanzen). Viele Rhabdoviren vermehren sich in Insekten und werden durch sie auf andere Tierarten übertragen (Arboviren). Zu den tierischen Rhabdoviren gehört das Rabiesvirus, das als Erreger der Tollwut medizinische Bedeutung hat ( vgl. Abb. , vgl. Infobox ). Die pflanzenpathogenen Rhabdoviren (Pflanzenviren) werden je nach ihrer Replikation im Cytoplasma oder im Zellkern in 2 Gattungen unterteilt. Ihre Übertragung erfolgt in persistenter, propagativer Weise durch pflanzensaugende Insekten (Zikaden, Blattläuse und andere). – Die Rhabdoviruspartikel (Durchmesser 45–100 nm, Länge 100–430 nm) sehen entweder geschoßartig (ein abgerundetes und ein flaches Ende) oder bacillenförmig (beide Enden abgerundet) aus. Sie bestehen aus einer äußeren Lipoproteinhülle (Envelope) und einem inneren Ribonucleoprotein (Abk. RNP). Die Virushülle trägt nach außen gerichtete, 5–10 nm lange Spikes, die von dem viralen Glykoprotein G gebildet werden, und wird nach innen von dem Matrixprotein M (M-Proteine) ausgekleidet. Das RNP enthält ein helikales Nucleocapsid, in dem die Genom-RNA assoziiert mit dem Hauptstrukturprotein N sowie die aus den Proteinen L und P aufgebaute virale RNA-abhängige RNA-Polymerase (Transkriptase; RNA-Replikase) vorliegt. Das Genom der Rhabdoviren besteht aus einer einzelsträngigen nicht-infektiösen RNA (Minusstrang-Polarität; die relative Molekülmasse beträgt 3,5–4,6 ·106, was ca. 11.000–15.000 Nucleotiden entspricht) und enthält 5 Gene in der Reihenfolge 3'-N-P-M-G-L-5' ( vgl. Tab. 2 ). Zwischen den Genen liegen sehr kurze (2–5 Basen) intergenische Sequenzen. Der Vermehrungszyklus der Rhabdoviren wurde hauptsächlich am Beispiel von VSV (Vesikuläres Stomatitis-Virus; vgl. Abb. ) untersucht. Die Adsorption der Viren an die Wirtszellen erfolgt über das G-Protein. Nach Eintritt der Viruspartikel durch rezeptorvermittelte Endocytose und Freisetzung des RNP im Cytoplasma beginnt die Synthese der mRNAs durch die im Virion enthaltene Transkriptase. Die Transkription beginnt am 3'-Ende der Minusstrang-Matrize, wobei als erstes eine kurze nichtcodierende leader-RNA synthetisiert wird. Jede mRNA codiert für ein einziges Protein. Die Transkription erfolgt sequentiell entsprechend der Reihenfolge der Gene im Genom. Dabei stoppt die Transkriptase an den Gen-Enden, überliest die intergenischen Sequenzen und startet die Transkription wieder am nächsten Gen-Anfang. Da die Re-Initiation nicht immer erfolgreich verläuft, nimmt die Menge synthetisierter mRNA-Moleküle von N nach L ab. Der Wechsel von der mRNA-Synthese zur Genomreplikation, welche die Synthese von vollständigen Plusstrang-RNAs erfordert, hängt von der Menge an synthetisiertem N- und P-Protein ab. Die neu synthetisierten, mit N-Protein assoziierten Plusstrang-RNAs werden zur Synthese neuer Minusstrang-Genom-RNAs verwendet. RNP-Partikel werden während der RNA-Replikation zusammengebaut. Nach Einlagerung des G-Proteins in die zelluläre Plasmamembran und Ansammlung von M-Protein und RNP-Partikel an diesen Stellen kommt es zur Bildung und Freisetzung der reifen Virionen durch Knospung (budding). Infektionen mit Rhabdoviren führen zu einer effizienten Abschaltung der zellulären DNA-, RNA- und Proteinsynthese und zum schnellen Tod der Wirtszelle. Bei der Replikation entstehen Defekte interferierende Partikel. Zwischen VSV und heterologen Viren (z.B. Newcastle-disease-Virus [Paramyxoviren], Herpes-simplex-Virus, RNA-Tumorviren) kann phänotypische Mischung auftreten. Virusinfektion, Viruskrankheiten.
E.S.
Rhabdoviren
Elektronenmikroskopische Aufnahmen (mit unterschiedlichen Vergrößerungen) von Virionen des 1 Vesikulären Stomatitis-Virus (VSV) und 2 des Rabiesvirus (Tollwutvirus)
Rhabdoviren
Tab. 1:
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Vesiculovirus | Vesicular stomatitis virus (VSV; Typusart) Vesiculoviren von Säugetieren, Fischen und Insekten | Vesikuläre Stomatitis bei Pferd, Rind und Schwein | |
Lyssavirus | Rabies virus (Typusart) Lagos bat virus Mokola virus Duvenhage virus European bat lyssavirus | Tollwut | |
Ephemerovirus | Bovine ephemeral fever virus (Typusart) | Enzootische Erkrankungen von Rindern und Wasserbüffeln | |
Novirhabdovirus | Infectious hematopoetic necrosis virus (Typusart) Viral hemorrhagic septicemia virus (Egtved virus) | Infektionen von Fischen | |
Cytorhabdovirus | Lettuce necrotic yellows virus (Typusart) | Pflanzenviren, Virusreplikation im Cytoplasma | |
Nucleorhabdovirus | Potato yellow dwarf virus, Kartoffelgelbverzwergungsvirus (Typusart) | Pflanzenviren, Virusreplikation im Zellkern |
Rhabdoviren
Tab. 2: Gene und Genprodukte des Vesikulären-Stomatitis-Virus (VSV)
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N | 1,3 kb | Nucleocapsid-Protein | |
L | 6,5 kb | Large Protein, im Ribonucleoprotein; bildet zusammen mit P die Transkriptase | |
P (NS) | 0,8 kb | Phosphoprotein, im Ribonucleoprotein | |
G | 1,6 kb | Glykoprotein, Spikes der Lipoproteinhülle | |
M | 0,8 kb | Matrixprotein zwischen RNP und Hülle |
* exakte Gesamtlänge des VSV-Genoms: 11.161 Nucleotide
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