Lexikon der Biologie: Selen
Selens [von griech. selēnē = Mond; analoge Bildung zu Tellur als nahe verwandtem Element], chemisches Zeichen Se, ein zu den Bioelementen zählendes, sehr selten vorkommendes chemisches Element (Halb-Metall). Selen kommt in der Natur und in biologischen Systemen ( vgl. Tab. ) als Selenat (Se6+), Selenit (Se4+), elementares Selen (S0) und Selenid (Se2–) vor. In niedrigen Dosen ist Selen für viele Organismen ein für Wachstum und Fruchtbarkeit essentielles Spurenelement (bei Schafen werden täglich 0,1 mg/kg Körpergewicht benötigt). Aufgrund seiner chemischen Verwandtschaft mit Schwefel kann dieser in mehreren Biomolekülen durch Selen ersetzt werden, wie z.B. in den Aminosäuren ( vgl. Abb. ) Selenocystein, Selenomethionin, Se-Methylselenocystein und Selenocystathionin und in modifizierten Basen bestimmter tRNAs (transfer-RNA). Die beiden Selenoaminosäuren Selenocystein bzw. Selenomethionin können in Proteine anstelle von Cystein bzw. Methionin eingebaut werden und führen so zu Selen-haltigen Proteinen (Selenoproteine). Als Selen-haltige Enzyme (Selenoenzyme) sind u.a. Glutathion-Peroxidase (Glutathion) in Säuger-Erythrocyten und Formiat-Dehydrogenase, Glycin-Reductase und Xanthin-Dehydrogenase in bestimmten Bakterien gefunden worden. Das flüchtige Dimethyl-Selen wird von Pilzen und Mikroorganismen in Böden und Sedimenten gebildet. Einige nordamerikanische Pflanzen der Gattungen Astragalus (Tragant), Xylorhiza und Oonopsis können Selen bis zu einem Gehalt von 4 mg/g trockenes Gewebematerial anreichern. Diese und andere Pflanzen wachsen nur auf Böden mit assimilierbarem Selen, weshalb sie als Selenindikatoren bezeichnet werden. Für die meisten anderen Organismen sind hohe Selen-Dosen toxisch. Bei Weidetieren kann es zu Vergiftungserscheinungen (sog. alkali disease und blind staggers) kommen, die durch den Genuß Selen-haltiger Pflanzen bedingt sind. Gegenüber früheren Berichten über eine cancerogene Wirkung von Selenverbindungen, die auch heute für hohe Dosen nicht auszuschließen ist, stehen neuere Befunde über eine anticancerogene und antimutagene Wirkung bei niedrigen Dosen. Die krebsvorbeugende Wirkung des Selens wird vermutlich über eine Aktivierung des p53-Proteins vermittelt. Als untere Grenze einer sicheren Selen-Aufnahme zur Deckung des normativen Bedarfs der Mehrheit der Bevölkerung wurden von der WHO 30 μg Selen für Frauen und 40 μg für Männer vorgeschlagen. Als maximale sichere Aufnahmemenge gelten 400 μg. Niedrige Selenkonzentrationen im Serum findet man in der Schwangerschaft, bei Absorptionsstörungen, allgemeiner Mangelernährung (Unterernährung), bestimmten Karzinomen (Krebs) und in Gegenden mit Selen-armen Böden. Ein in Tierversuchen experimentell erzeugter Selenmangel führt zu Nekrosen in Leber, Herz und Skelettmuskel und schwächt die körpereigene Abwehr gegenüber Schadstoffen und Erregern. Diese Effekte werden durch einen Vitamin-E-Mangel (Tocopherol) noch verstärkt. Im Experiment erwiesen sich Mäuse, die mit selenreduzierter Nahrung gefüttert wurden, als deutlich empfindlicher gegenüber einer Infektion mit Grippeviren. In den selenunterversorgten Mäusen wurden bei den Grippeviren (Influenzaviren) gehäuft Mutationen festgestellt, die zu gefährlicheren Virusvarianten führten. Selen ist Bestandteil der Glutathion-Peroxidase. Dieses Enzym schützt u.a. die leicht oxidierbaren ungesättigten Fettsäuren der Zell-Membranen (Antioxidantien). Zu einem Selenmangel kommt es vor allem durch die täglich mit der Nahrung aufgenommenen Schwermetalle wie Cadmium, Blei und Quecksilber. Das Selen entgiftet diese Schwermetalle zwar, verbraucht sich aber bei diesem Prozeß. Eine Tagesdosis von weniger als 20 μg löst beim Menschen schwerwiegende Mangelerscheinungen wie Kardiomyopathie (Keshan-Krankheit), Muskeldystrophie (Myopathie) sowie Leber- und Nierennekrosen aus. Außer durch den natürlichen Kreislauf gelangt Selen zunehmend durch Verbrennungsvorgänge, industrielle Verfahren (Zementproduktion, Verwendung u.a. als Halbleiter in Photozellen, als Zusatz von Legierungen, Gläsern, Pigmenten und Katalysatoren) in die Umwelt. Berzelius (J.J.v.), Diels (O.P.H.), MAK-Wert (Tab.).
Selen
Selenocystein und Selenomethionin, zwei Beispiele für natürlich vorkommende Selenverbindungen (Selenoaminosäuren).
Selenocystein, die 21. proteinogene Aminosäure, enthält ein Selenatom anstelle des Schwefels des D-Cysteins. Sie ist Bestandteil der Glutathion-Peroxidase sowie einiger mikrobieller Enzyme, wie der Formiat-Dehydrogenase aus E. coli. Bei E. coli wird das Selenocystein während der Translation als Reaktion auf ein UGA-Codon innerhalb des Lese-Rasters in die Formiat-Dehydrogenase eingebaut. Dem UGA kommt eine Doppelfunktion als Terminationscodon oder als Codon für Selenocystein zu. Eine im Vergleich zu anderen Serin-tRNA-Arten nur in sehr niedrigen Konzentrationen vorkommende Serin-tRNA, die nur UGA erkennt, wird mit Serin beladen, das vor der Translation enzymatisch in Selenocystein umgewandelt wird.
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