Lexikon der Geowissenschaften: Mineralogie
Mineralogie, ursprüngliche Bezeichnung für die Lehre von den Mineralen und bis zum Anfang dieses Jahrhunderts eine mehr beschreibende Naturwissenschaft. Sie ist heute ein höchst dynamisches Forschungsgebiet. Schon in ihren Ursprüngen, die mit der Entwicklung der Menschheit und den ersten technischen Entwicklungen einhergehen, ist ihr heutiger Stand und noch mehr ihre zukünftige Entwicklung der einer angewandten und technischen Wissenschaft. Kristall- und Mineralkunde werden heute durch die Wissenszweige Petrographie, Geochemie und Lagerstättenkunde ergänzt. Chemie, Physik, Geologie und Mathematik sind wichtige Nachbardisziplinen der Mineralogie, denn chemische, physikalische und mathematische Kenntnisse sind Voraussetzung für das Verständnis der mineralogischen Grundbegriffe. Im Gegensatz zur Geologie,welche die historische Entwicklung der Erde im Rahmen der Erdgeschichte, die zeitliche und räumliche Trennung der Gesteinsformationen (Stratigraphie) und das mechanische Verhalten der Gesteinskomplexe (Tektonik) verfolgt, besteht das Aufgabengebiet der Mineralogie im Studium des Verhaltens, der Bildung und des Auftretens der kleinsten stofflich einheitlichen Teile der Erde und des Kosmos, der Minerale. Darüber hinaus beschäftigt sich die Angewandte und Technische Mineralogie, mit denEigenschaften der gesamten kristallisierten Materie, insbesondere mit dem vorwiegend anorganischen Festkörper. Die Mineralogie ist eine wichtige Hilfswissenschaft für die Bodenkunde (Tonmineralogie), Biologie (Biomineralisation), Bergbau und Hüttenkunde, Bauingenieurwesen, Landwirtschaft (Düngemittelindustrie), Keramik, Metallurgie, Aufbereitung, Archäologie usw.
Allgemeine Mineraloge (Kristallkunde) und Mineralkunde (Spezielle Mineralogie) bilden die Grundlage zum Verständnis einer Reihe von Fachgebieten, die man heute allgemein als mineralogische Wissenschaften bezeichnet. Die Forschungsschwerpunkte in der Mineralogie haben sich heute von der rein systematischen Beschreibung von Strukturen und Zusammensetzungen von Mineralen und Mineralgruppen in Richtung auf das Verständnis des Verhaltens der Minerale innerhalb der Erde und auf ihre strukturellen und chemischen Reaktionen auf Veränderungen in der physikalischen und chemischen Umgebung im Verlauf geologischer Prozesse verlagert. Zunehmende Bedeutung gewinnen Aspekte der Umwelt, z.B. in der Tonmineralogie (z.B. Bindung von Schadstoffen, Abdichtung von Deponien), der Festkörperchemie und der Festkörperphysik. Die Mineralogie ist heute eine Materialwissenschaft, die sich zur Lösung ihrer Aufgaben insbesondere chemischer und physikalischer Verfahren bedient; sie hat darüber hinaus aber auch eigene spezifische Methoden entwickelt. Neben den Methoden der Polarisationsmikroskopie mit ihren vielfältigen Anwendungen im Durchlicht und Auflicht und den Verfahren der Röntgenbeugung zur Bestimmung von Kristallstrukturen und zur Mineral- und Gesteinsanalyse werden heute z.T. routinemäßig in der Mineralogie eingesetzt: Elektronen- und Neutronenbeugung, Raster- und Transmissions-Elektronenmikroskop, IR-Spektroskopie, NMR-Spektroskopie, Raman-Spektroskopie, Massenspektrometrie, optische Spektroskopie (Farbursachen von Mineralen), Atomabsorptionsspektroskopie, Röntgenspektroskopie (mit EXAFS und XANES), Röntgenfluoreszenzspektroskopie, Elektronenstrahl-Mikroanalyse (ESMA, mit der Mikrosonde) und Mößbauer-Spektroskopie. Weitere aktuelle Forschungsgebiete der Mineralogie sind z.B. Phasenübergänge in Mineralen bei hohen Drücken im Zusammenhang mit der Erforschung von Zusammensetzung und Struktur des unteren Erdmantels, Ordnungs-/Unordnungs-Zustände in Mineralen, Ermittlung thermodynamischer Daten für Minerale und Mineralreaktionen und die Untersuchung von Mineraloberflächen sowie die Entwicklung neuer keramischer Werkstoffe, Baustoffe und Bindemittel.
Die Angewandte Mineralogie ist ein umfangreiches und wichtiges Teilgebiet der Mineralogie, das man untergliedern kann in Technische Mineralogie, Biomineralogie, Gemmologie, Industriegesteinskunde, Lagerstättenkunde und Archäometrie. Die Gemmologie oder Edelsteinkunde (Edelsteine) beschäftigt sich mit der Bestimmung der Edel- und Schmucksteine, der Verbesserung der Kenntnisse über die Herstellung von deren Synthesen und Imitationen, der Verbesserung von Edel- und Schmucksteinen durch Farb- und Eigenschaftsveränderungen und mit der Erforschung neuer Methoden und Verfahren zur Edelsteindiagnostik sowie mit der Entwicklung neuer Instrumente und Hilfsmittel zur Unterscheidung natürlicher und synthetischer Steine. Die moderne Gemmologie, die sich von einem wissenschaftlichen Teilgebiet der Mineralogie zu einer technisch-wissenschaftlichen Disziplin entwickelt hat, stützt sich zur Erfassung ihrer Objekte nicht nur auf Mineralogie, Chemie, Physik und Geologie, sondern auch auf Kulturgeschichte und Wirtschaftswissenschaften. Als Berufsgrundlage wird sie besonders von der Deutschen Gemmologischen Gesellschaft gefördert, die zu den ältesten gemmologischen Institutionen der Welt zählt. Als Folge der zunehmenden Mannigfaltigkeit der natürlichen Edelsteinvorkommen und der zunehmenden Syntheseproduktion, aber auch mit der steigenden Bedeutung der Edelsteine für technische Zwecke ist die moderne Gemmologie heute eine Disziplin mit eigener Forschung und Lehre. Da in Fragen der Graduierung und der Bestimmung von Edel- und Schmucksteinen großer Wert auf die Befunde neutraler Institutionen gelegt wird, ist die Diagnose der Steine und der sichere Nachweis von Synthesen, Imitationen und Fälschungen eine wichtige Aufgabe der Angewandten Mineralogie. Es gibt zahlreiche Syntheseprodukte, z.B. bei Smaragd, Rubin, Opal u.a., wo eine sichere Diagnose oft nur mit großem instrumentellem Aufwand möglich ist. Dasselbe gilt für den Nachweis einer künstlichen Verbesserung von Edel- und Schmucksteinen durch Bestrahlung, Erhitzung oder durch hydrothermale Diffusion, da solche Prozesse ja auch unter natürlichen Voraussetzungen stattfinden können. Auch die sichere Diagnose von Perlen und Zuchtperlen, die sich oft nur durch ihre Struktur und kaum durch ihren stofflichen Aufbau unterscheiden, zählt, wie auch die Herkunftsbestimmung, zu den Verfahren, die nur in gut ausgestatteten Laboratorien durchgeführt werden können. Eine wichtige Aufgabe der modernen Gemmologie ist auch die Festlegung klarer Begriffsanwendungen sowie die einheitliche und unmißverständliche Bezeichnung der Edel- und Schmucksteine als Handelsobjekte.
Im Bereich der Lagerstättenkunde sind mineralogische Kenntnisse zur Beurteilung der Abbauwürdigkeit mineralischer Rohstoffe eine wesentliche Voraussetzung. Für die Erkundung (Prospektion) und Ausbeutung einer Lagerstätte ist neben der vollständigen qualitativen und quantitativen Erfassung des Mineralinhaltes und der Paragenese (Mineralvergesellschaftung) die Klärung der Lagerstättengenese, also ihrer Entstehung und Bildungsbedingungen wichtig. Neben geochemischen Methoden werden geophysikalische Prospektionsverfahren eingesetzt, wobei die physikalischen Eigenschaften der Minerale wie Dichte, magnetische Eigenschaften, elektrische Leitfähigkeit oder Suszeptibilität von Bedeutung sind.
Eine weitere Anwendung mineralogischer Kenntnisse bezieht sich auf die Aufbereitungsverfahren, bei denen aufgrund des unterschiedlichen Verhaltens der Minerale, z.B. gegenüber Flotationsreagenzien, eine Sortierung nach Korngrößengruppen und eine anschließende Klassifizierung nach Erz- und Gesteinskomponenten durchgeführt wird. Hierbei sind die Verwachsungen der Minerale untereinander und ihre Korngrößenverhältnisse wichtig. Bei der Flotation (Schwimmaufbereitung) werden die Erzminerale aufgrund ihrer unterschiedlichen Oberflächeneigenschaften von den Nichterzen (Bergen) abgetrennt. Auch bei anderen Aufbereitungsverfahren, z.B. mit Hilfe von Schüttelherden oder Magnetscheidern, spielen die morphologischen (Tracht und Habitus) und physikalischen Eigenschaften der Minerale eine wesentliche Rolle. Zur Lösung von Problemen der Aufbereitung, die aus wirtschaftlichen Gründen rasch erfolgen muß, werden elektronisch arbeitende Quantometer in Verbindung mit der Erz- und Auflichtpolarisationsmikroskopie eingesetzt. Große Bedeutung für den Steinkohlebergbau und für die chemische und technologische Beurteilung der Kohle hat die Steinkohlepetrographie. Hier lassen sich aufgrund der unterschiedlichen Mineraleigenschaften der Steinkohlen aus polarisationsoptischen, erz- und auflichtmikroskopischen Untersuchungsergebnissen Vorausberechnungen über wirtschaftlich-technologische Daten wie Verkohlungsbedingungen, Koksfestigkeit, Teer-, Gas- und Benzolprodukte der Kohleausgangsgemische in der Kokereitechnik machen.
In der Erdölindustrie nimmt die Mineralogie weniger zu den Problemen der Ölverarbeitung selbst, als vielmehr zu denen der Speicherung in den Gesteinen bei der Erbohrung und Förderung des Rohöls Stellung. Petrographische Untersuchungen über das technologische Verhalten der Gesteine lassen sich auch bei der zunehmenden Mechanisierung im Streckenvortrieb im Bergbau anwenden, wo heute immer mehr Maschinen zur Auffahrung eingesetzt werden. Die Mannigfaltigkeit der Mineralzusammensetzung der Gesteine läßt die für den Tunnelbau so wichtigen technologischen Eigenschaften wie Verschleißverhalten, Zug- und Druckfestigkeit und andere vom Mineralbestand und vom Gefüge abhängigen Eigenschaften in weiten Grenzen sehen. Mineralogisch-petrographische Rohstoffuntersuchungen bei der Einsatzplanung von Streckenvortriebsmaschinen sind hier zur Vermeidung von Fehleinsätzen unerläßlich.
Bei der Gewinnung der Metalle aus ihren Erzen ergibt sich eine Vielfalt von Aufgaben, die mit mineralogischen Methoden lösbar sind. Dabei spielen Phasenaufbau und Paragenese der Erze für ihre Reduzierbarkeit bei der Verhüttung eine wesentliche Rolle. Auch sind die bei der Erzvorbereitung, insbesondere in der Eisenhüttenindustrie aus den Rohstoffen hergestellten Pellets und Sinter ein Untersuchungsobjekt des Mineralogen, wobei das Studium der für die Sintereigenschaften wichtigen Bindemittelphasen besonders bedeutsam ist. Bei den Verhüttungsprozessen fallen silicatische Schlacken an, die in vielfältiger Weise für Hochofenzement, Leichtbaustoffe und als Straßenbaumaterial eingesetzt werden können. Ihre Verwertbarkeit hängt wesentlich von Parametern wie Kristallisationsgrad, Abkühlungsgeschwindigkeit und von ihren hydraulischen Eigenschaften ab. Mineralische Flußmittel wie Bauxit, Colemanit und Fluorit haben einen wesentlichen Einfluß auf den Verfahrensablauf. Beim Stahlwerkskalk ist die durch den Brenngrad bedingte Körngröße der CaO-Kristalle für die Reaktionsgeschwindigkeit beim Sauerstoffaufblasverfahren wichtig. Bei den phosphorhaltigen Stahlwerksschlacken spielt der Apatitgehalt für ihre Löslichkeit und damit für die Düngewirksamkeit in der Landwirtschaft eine große Rolle. Bei Hüttenwerken aller Art tritt Hüttenrauch auf, der von der Zusammensetzung sog. Gießhilfsmittel abhängig ist. Unter ergonometrisch-medizinischen Gesichtspunkten durchgeführte mineralogische Untersuchungen sind ein wesentlicher Beitrag im Rahmen der Umweltsicherung. Die Hüttenindustrie ist der größte Verbraucher feuerfester Baustoffe. Bei Hochofenprozessen kommt es an Schamottesteinen durch die Einwirkung der alkalischen Schlacken zu Reaktionen und Mineralneubildungen, woraus sich eine Vielzahl mineralogischer Probleme ergibt. Neben Feldspatmineralien bilden sich hier Alkalicarbonate, Willemit, Sylvin, Steinsalz, Kalsilit, Leucit, Nephelin, Sodalith u.a. Mineralogische Untersuchungen an historischen Brennöfen erlauben Rückschlüsse auf früher angewandte Verhüttungsverfahren und über die damals eingesetzten Erze und Zuschlagstoffe. Sie sind ein wichtiger Teil der modernen archäometrischen Forschung. [GST]
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