Lexikon der Mathematik: Quantenkohomologie
eine Disziplin, die ihren Ursprung in der Physik hat (topologisches Sigma-Modell gekoppelt mit Gravitation). Hier wird nur der mathematische Inhalt skizziert.
Das Grundproblem ist das folgende: Gegeben sei eine glatte projektive algebraische Varietät über ℂ (oder allgemeiner eine kompakte symplektische Varietät), sowie eine Klasse A in H2(V,ℤ) oder in A∗ (V,ℤ) (algebraische Zyklen) und Zyklen Z1,…,Zn auf V. Man betrachtet die Menge aller algebraischen KurvenC vom Geschlecht g mit [C] = A und C ∩ Zi ≠ ∅, i = 1,…,n.
Die Gromov-Witten-Invarianten kann man sich zunächst anschaulich als die Anzahl solcher Kurven (zu gegebenen A, Z1,…,Zn) denken. Sie sind in einigen speziellen Fällen in der Tat gerade solche Anzahlen (z. B. rationale Kurven von kleinem Grad, der hier der Klasse A entspricht, auf einer Hyperfläche fünften Grades in ℙ4).
Um zu einer genaueren Definition zu kommen, wird der folgende Modulraum 𝔐g,n (V, A) konstruiert: 𝔐g,n (V, A) klassifiziert Tupel (C, p1,…,pn, f) aus einer algebraischen Kurve C vom Geschlecht g mit n ausgezeichneten, paarweise verschiedenen Punkten p1,…,pn ∈ C, und einem Morphismus f : C → V mit f∗ ([C]) = A.
(\({\overline{{\mathfrak{M}}}}_{g,n}\) (V, A) klassifiziert auch noch gewisse Ausartungen solcher Tupel, um einen kompakten Raum zu erhalten: C darf gewöhnliche Doppelpunkte als Singularitäten haben, die pi sollen alle nichtsingulär sein, und so verteilt, daß (C, p1,…,pn, f) nur endlich viele Automorphismen hat).
Dann hat man eine natürliche Abbildung
\begin{eqnarray}\begin{eqnarray}{\overline{{\mathfrak{M}}}}_{g,n}\end{eqnarray}\end{eqnarray}
(X, A) istwas sich wie folgt ergibt: 3g − 3 + n ist die Zahl der Moduln von (C, p1,…,pn) (Modulprobleme). Die Abbildung f ist durch ihren Graphen Γf ⊂ C × V bestimmt und definiert einen Punkt im Hilbert-Schema (Quot-Schema) von C × V. In einer Umgebung dieses Punktes sind die entsprechenden Unterschemata immer noch Graphen von Morphismen C → V. Da H0 (Γf, N) (N ist das Normalenbündel von Γ in C × V) der Tangentialraum an das Hilbert-Schema ist, und für das Normalenbündel eines Graphen N ≃ f∗ ΘV gilt, ist nach der klassischen Riemann-Roch-Formel
falls H1 (C, f∗ ΘV) = 0.
Varietäten V mit H1 (C, f∗ ΘV) = 0 für alle stabilen Kurven C vom Geschlecht 0 und f : C → V heißen auch konvex. Dazu gehören z. B. die projektiven Räume, oder allgemeiner homogene algebraische Varietäten (unter einer linearen algebraischen Gruppe von Automorphismen).
Für derartige Varietäten X hat \({\overline{{\mathfrak{M}}}}_{0,n}(V,A)\) die erwartete Dimension und ist außerdem als algebraisches Stack glatt, und die obige Definition ist in der Tat korrekt.
Kontsevich und Manin haben folgende Axiome für Gromov-Witten-Klassen formuliert (die aus obiger „Definition“ folgen, falls die Modulräume glatt und von der erwarteten Dimension sind).
(GW0) Ig, n,A = 0, wenn A nicht effektiv ist (d. h., wenn ∫Aα = 0 für ein amples α ∈ H2 (V)).
(GW1)
mit
(c1(V) = ist die erste Chern-Klasse von V).
(GW2) Ig,n,A ist Sn-äquivariant bzgl. der Wirkung der Permutationsgruppe Sn auf Vn resp. \({\overline{{\mathfrak{M}}}}_{g,n}\).
(GW3) Bei der natürlichen Abbildung
( „vergessen“ des letzten Punktes) ist
(GW4) Wenn β ∈ H2(V, ℚ) Klasse eines Divisors ist, so ist für A ≠ 0
(GW5) Für A = 0, g = 0 (also konstante Abbildungen f : ℙ1 → V) ist
(GW6) Für g = g1 + g2, n = n1 + n2, und die natürliche Abbildung natürliche Abbildung
(die zwei Kurven in den jeweils letzten ausgezeichneten Punkten verheftet) gilt
wobei (Δν), (Δν) zueinander reziproke Basen bzgl. des Schnittproduktes auf H∗ (V, ℚ) sind.
(GW7) Bei der natürlichen Abbildung
(die die letzten beiden Punkte miteinander identifiziert) ist
wobei [Δ] die zur Diagonale gehörige Kohomologie klasse in H∗(V, ℚ) ⊗ H∗(V, ℚ) ist.
(GW8) Es gibt Klassen \({C}_{g,n,A}^{V}\) im Chow-Ring von \({\overline{{\mathfrak{M}}}}_{g,n}\times {V}^{n}\) mit
(p, q die Projektionen von \({\overline{{\mathfrak{M}}}}_{g,n}\times {V}^{n}\) auf den ersten bzw. zweiten Faktor).
Zur Illustration dieser Axiome dient folgende Vorstellung: Wenn α1,…,αn durch Untervarietäten Z1,…,Zn ⊆ V repräsentiert werden, so wird
durch das Bild π∗Zg,n (A) der Untervarietät
repräsentiert.
In Axiom (GW6) wird φ∗ (Ig, n,A (α1,…,αn)) repräsentiert durch die Summe der Bilder von
mit A1 + A2 = A.
Hierbei ist Δ ⊂ V × V die Diagonale, e0 die Evaluierung der Abbildung f1 (resp. f2) in Punkte p0 (resp. q0). Da ΣΔν ⊗ Δν die Kohomologieklasse von Δ in
repräsentiert, wird Axiom (GW6) anschaulicher. Auf jeden Fall lassen sich solche Invarian-
ten korrekt definieren, entweder im Rahmen der algebraischen Geometrie durch Definition sog. virtueller Fundamentalklassen (Li-Tian, Behrend-Fantecchi), oder im Rahmen der symplektischen Geometrie durch Übergang zu generischen fast komplexen Strukturen, die verträglich mit der gegebenen symplektischen Struktur sind (Li-Tian, Siebert).
Die Gromov-Witten-Invarianten (für g = 0) ergeben Funktionen
auf H∗ev (V, ℂ) = H, und, zumindest formal, durch Zusammenfassung eine Funktion, das Gromov-Witten-Potential
Hierbei ist
φ eine geschlossene 2-Form auf V, deren Imaginärteil eine Kählerform ist.
Um Supermannigfaltigkeiten zu vermeiden, beschränken wir uns hier auf die Kohomologie in geraden Graden
Die Frage der Konvergenz kann nur in bestimmten Klassen von Beispielen, z. B. konvexen Mannigfaltigkeiten oder Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten (c1 (X) = 0) geklärt werden. Ist
und deg αi = 2mi, so muß nach Axiom (GW 1) gelten
bzw.
Beispielsweise ist für konvexe Varietäten V das Bündel f∗ ΘV direkte Summe von Geradenbündeln nichtnegativen Grades auf C = ℙ1 (f : ℙ1 → V) und ΘC ⊆ f∗ ΘV ( falls f nicht konstant ist, also
daher gibt es zu gegebenen α1 ⊗ · · · ⊗ αn nur endlich viele A mit
In diesem Fall ist φ zumindest als formale Potenzreihe \((\in {\hat{{\mathcal{O}}}}_{H,0}={\mathbb{C}}||{t}_{0},\ldots, {t}_{N}||,)\), wenn (t0,…,tN) ein lineares Koordinatensystem auf H ist) definiert. Sei also M das formale Schema \({\hat{H}}_{0,}\), oder eine Umgebung von 0 in H, auf der φ konvergent ist. Dann ist M eine Frobenius-Mannigfaltigkeit mit φ als Potential. Die Tangentialgarbe ist 𝒪M ⊗ H mit der kanonischen flachen Struktur, die quadratische Struktur ist durch das Schnittprodukt auf H, d. h. durch
gegeben, das neutrale Element durch
Das Vektorfeld, das bei der Identifizierung ΘM = 𝒪M ⊗ H durch
(mit einer Basis (Δν) von H = H0 ⊕ H2 ⊕ · · · aus homogenen Elementen und dem zugehörigen Koordinatensystem \(\alpha =\displaystyle \sum {x}_{v}{\Delta }_{v}\mapsto ({x}_{v}))\) definiert wird, ist ein Eulerfeld (Frobenius-Mannigfaltigkeit). Die Garbe von kommutativen assoziativen 𝒪M-Algebren, die globalen Schnitte, also
mit diesem Produkt, ist die Quantenkohomologie von V.
Für flache Vektorfelder, d. h. für α, β ∈ H, ist das Produkt durch
für alle γ ∈ H gegeben (auf der rechten Seite sind also α, β, γ als Richtungsableitungen zu verstehen), oder, durch eine Basis (Δν) ausgedrückt,
bzw.
wobei (Δλ) die zu (Δν) reziproke Basis (bzgl. g) bezeichnet. Wichtig an dieser Betrachtungsweise ist, daß φ die sog. WDVV-Gleichung erfüllt (als Ausdruck des Assoziativgesetzes). Hieraus ergeben sich rekursive Relationen zwischen den GW-Invarianten, die u. a. neue Ergebnisse der abzählenden Geometrie liefern.
Beispiele:
1) Für V = ℙr besitzt H eine Basis Δ0 = 1V, Δ1,…,Δr, und jeder lineare Unterraum der Kodimension j repräsentiert die Kohomologie-Klasse Δj.
Sei H2 (V,ℤ) = ℤ[ℓ], [ℓ]-Klasse einer Geraden. Für a > 0 und m1 ≤ · · · ≤ mn ist nach den Axiomen
Sei
für m = μ2 + · · · + μr ≥ 3 und
Dies ist die Anzahl der rationalen Kurven vom Grad a, die μj gegebene lineare Unterräume in allgemeiner Lage schneiden, j = 2,3,…r.
Mit diesen Bezeichnungen ist also für
und \(p=\displaystyle {\int }_{[\ell ]}\varphi \),
mit
wobei über alle (μ2,…,μr) mit μ2 + · · · + μ3 ≥ 3 und μ2 + 2μ3 + · · · + (r − 1)μr = (a + 1)(r + 1)− 4 summiert wird.
Für A = 0 liefert nur I0,3,0 (Δ3) einen Beitrag, nämlich
Somit ist das Gromov-Witten-Potential für ℙr die Funktion
mit
2) Es sei V ⊂ ℙ4 eine Hyperfläche vom Grad 5.
Hier ist c1 (V) = 0, also ist die erwartete Dimension von \({\overline{{\mathfrak{M}}}}_{0,n}(V,A)\) gleich n − 3 + 3 = n, und dementsprechend ist 3 die erwartete Dimension der Fasern von \({\overline{{\mathfrak{M}}}}_{0,n}(V,A)\to {\overline{{\mathfrak{M}}}}_{0,n,}\), d. h., bis auf Reparametrisierung der Abbildung \(C\mathop{\to }\limits^{f}V\) ist die rationale Kurve virtuell starr. Daher ist
außer wenn α1,…,αn Divisorenklassen sind. Nach dem Lefschetz-Theorem über Hyperebenenschnitte wird H von Δ0 = 1, Δ1, Δ2, Δ3 (den Einschränkungen der entsprechenden Klassen von ℙ4) erzeugt, und für Δ = x0 Δ0 + x1 Δ1 + x2 Δ2 + x3 Δ3 ist
(nach GW 4).
Mit a = deg(A) = ∫A Δ1 ist dann
wobei N(a) die virtuelle Anzahl von rationalen Kurven vom Grad a auf V ist. Eine Definition dieser Zahlen ergibt sich aus folgendem Schema:
Die Gleichung F einer Quintik V liefert einen Schnitt des Bündels
vom Rang 5a + 1 (a = deg(A)), dessen „Nullstellenschema“ \({\overline{{\mathfrak{M}}}}_{0,0}(V,A)\) ist. Daher ist die Chern-Klassec5a+1 (ℰ) = N(a) (Porteous-Formel), und wenn \({\overline{{\mathfrak{M}}}}_{0,0}(V,A)\) endlich ist, ist dies tatsächlich die Anzahl der Punkte in \({\overline{{\mathfrak{M}}}}_{0,0}(V,A)\).
Die „Modulräume“ \({\overline{{\mathfrak{M}}}}_{0,0}({{\mathbb{P}}}^{\text{4}},A)\) und \({\overline{{\mathfrak{M}}}}_{0,1}({{\mathbb{P}}}^{\text{4}},A)\) existieren als algebraische Stacks, damit ist die Begründung gerechtfertigt. Allerdings liefert z. B. jeder Morphismus vom Grad k, ϕ : ℙ1 → ℙ1 und jeder Morphismus vom Grad d, f : ℙ1 → V einen neuen Morphismus f. ϕ : ℙ1 → V vom Grad a = dk, sodaß
wenn k | a. Die Schnitt-Theorie liefert dann die Formel
wobei n′d tatsächlich die Anzahl rationaler Kurven vom Grad d auf V ist, wenn diese Anzahl endlich ist.
Zunächst wurde vermutet (Clemens 1983), daß für generische Quintiken V die Anzahl rationaler Kurven gegebenen Grades d auf V endlich ist, und daß jede dieser Kurven glatt ist. Letzteres hat sich als falsch erwiesen (Vainsencher 1995).
Für d ≤ 9 ist bewiesen, daß die Anzahl nd glatter Kurven auf V endlich ist (z. B. ist nd = 2875, 609250, 317206375, 242467530000 für d = 1,2,3,4. Diese Werte stimmen mit denen aus physikalischen Berechnungen (Mirror-Symmetrie) überein.
Für das Gromov-Witten-Potential einer Quintik V ergibt sich also (bis auf Terme vom Grad ≤ 2)
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.