Lexikon der Neurowissenschaft: Neuromer
Neuromers[von griech. neuron = Nerv, meros = Teil], Eneuromere, im weitesten Sinne die Bezeichnung für die abgrenzbaren Abschnitte eines Nervensystems, im engeren Sinne (und meist in diesem gebraucht) die Bezeichnung für sich wiederholende, seriell homologe, segmentale metamere "Bausteine", deren Zusammenbau ein Nervensystem hervorbringt. Das Paradebeispiel eines Nervensystems, das sich aus Neuromeren zusammensetzt, ist das Strickleiternervensystem mancher Ringelwürmer. Über weite Körperabschnitte hinweg ist es recht stereotyp aus segmentalen Ganglien und deren Kommissuren und Konnektiven aufgebaut. Als Encephalomere bezeichnet man sich wiederholende Bausteine, die an der Bildung des Gehirns beteiligt sind. Die Encephalomere stehen im Zentrum einer aktuellen und noch nicht entschiedenen wissenschaftlichen Debatte. Die Gehirne der Arthropoden und Mollusken (Arthropoden-Nervensystem, Mollusken-Nervensystem) bestehen zweifelsfrei aus einer Reihe von ursprünglich segmentalen Ganglien, die, zu Encephalomeren umgewandelt und verschmolzen, das Gehirn bilden. Auch die Vertebraten besitzen Encephalomere. Im Bereich des Rhombencephalons treten im Laufe der Ontogenese Einschnürungen auf, die 6 oder 7 sogenannte Rhombomere voneinander abgrenzen. Fast hundert Jahre lang wurden diese von Karl von Kupffer entdeckten Rhombomere als histologische Artefakte abgetan. Erst vor wenigen Jahren erkannte man, daß ihre Grenzen mit denen der motorischen Kerne einiger Hirnnerven (Hirnnervenkerne) und den Expressionsgrenzen von Hox-Genen zusammenfallen (Homöobox-Gene, Hox), und die Existenz von Rhombomeren ist mittlerweile allgemein anerkannt. Unmittelbar vor dem vordersten Rhombomer (aus einem Teil des Metencephalons hervorgehend) liegt im Wirbeltiergehirn eine tiefe Einschnürung, der Isthmus; rostral von ihm werden Gene exprimiert (engrailed, Otx), die mes- und prosencephale Strukturen spezifizieren. Noch umstritten ist die Frage, ob auch die vor dem Isthmus gelegenen Hirnabschnitte der Wirbeltiere (also das Mesencephalon und das Prosencephalon) ebenfalls aus sich wiederholenden Encephalomeren, den Mesomeren (vermutet: 2) bzw. Prosomeren (vermutet: 6) aufgebaut sind. Die (Wieder)entdeckung der Encephalomere der Wirbeltiere hat die Debatte über die Vergleichbarkeit der Arthropodengehirne mit denen der Wirbeltiere (wieder) aufleben lassen. Die Vertreter der "Vergleichbarkeitshypothese" betonen die weitgehenden Übereinstimmungen in den ontogenetischen und vor allem molekularen Mechanismen der Bildung der Encephalomere. Die Vertreter der "Unvergleichbarkeitshypothese" halten dagegen, daß die Encephalomere der Wirbeltiere völlig andere Beziehungen zur Kopfperipherie haben als die der Arthropoden, und daß es keine Anzeichen dafür gibt, daß je in der Stammesgeschichte ein Wirbeltiervorfahr ein segmentiertes Nervensystem besaß, wie es für die Arthropodenvorfahren typisch ist. Cephalisation, Evolution der Nervensysteme und Gehirne, Gehirn, Nervensystem.
H.W.
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