Lexikon der Physik: Schwarze Löcher
Schwarze Löcher, Objekte, die so kompakt sind, daß nicht einmal Licht ihrem Gravitationsfeld entweichen kann. Ihre Existenz ist eine Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie. Allgemein werden Schwarze Löcher durch Gebiete der Raumzeit charakterisiert, die nie in die Vergangenheit äußerer Beobachter gelangen und durch einen Ereignishorizont von diesen abgeschirmt sind. Aus dem Bereich innerhalb des Ereignishorizontes können keine Signale nach außen dringen. Gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie sollte sich im Innern eines Schwarzen Loches eine Singularität befinden. Es wird vermutet, daß solche Singularitäten nie ohne Ereignishorizont existieren. Allerdings wurde dieses Prinzip der kosmischen Zensur (keine ›nackten Singularitäten‹) bisher nicht mathematisch streng bewiesen. Mathematische Theoreme zeigen, daß stationäre Schwarze Löcher durch drei Parameter vollständig charakterisiert sind: Masse
, Drehimpuls
und elektrische Ladung
(›Schwarze Löcher haben keine Haare‹).
Im einfachsten Fall sphärischer Symmetrie werden Schwarze Löcher durch die Schwarzschild-Metrik beschrieben, eine Lösung der Einstein-Gleichungen im Vakuum (
):
wobei
das Linienelement auf der zweidimensionalen Kugel ist. Die Singularität bei
ist eine physikalische Singularität, während die Singularität beim Schwarzschild-Radius
eine Koordinatensingularität ist;
gibt die Lage des Ereignishorizontes an. Ein Beobachter, der durch diesen Horizont fällt, trifft in endlicher Eigenzeit auf die Singularität (die Eigenzeit vom Horizont bis zur Singularität beträgt für freien Fall
). Wenn man den räumlichen Teil der Schwarzschild-Metrik (um eine Dimension verringert) in einen dreidimensionalen Anschauungsraum einbettet, erhält man die Einstein-Rosen-Brücke (siehe Abb. bei Wurmlöcher). Sie enthält zwei asymptotisch-flache Räume, die durch einen Schlund (›Wurmloch‹) miteinander verbunden sind. Ein reales Schwarzes Loch entsteht durch Kollaps eines Objektes (z.B. eines massiven Sterns) auf eine Singularität (siehe Abb. 1, wo durch die Lage der Lichtkegel zum Ausdruck gebracht wird, daß Signale, die innerhalb des Ereignishorizontes ausgesandt werden, nie in den Außenraum gelangen können). Das von der Oberfläche des kollabierenden Sterns abgestrahlte Licht kommt bei dem entfernten Beobachter rotverschoben an, wobei die Rotverschiebung durch
gegeben ist. Die Leuchtkraftabnahme des Sterns beträgt
so daß der Stern auf der sehr kurzen Zeitskala
zu erlöschen scheint. Am Horizont wird die Rotverschiebung unendlich. Ein äußerer Beobachter sieht deshalb nie, wie ein Objekt den Ereignishorizont durchdringt.
Da die Einstein-Gleichungen keine Zeitrichtung auszeichnen, ist auch der zu Abb. 1 zeitlich gespiegelte Prozeß möglich: die Entstehung eines Sternes aus einem Weißen Loch. Solche Prozesse existieren im Universum vermutlich nicht, was seinen Grund im Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik hat (Irreversibilität).
Ersetzt man in der Schwarzschild-Metrik
, so erhält man die Metrik eines sphärisch-symmetrischen Schwarzen Loches mit elektrischer Ladung
. Diese Reissner-Nordström-Lösung ist nur von theoretischer Bedeutung.
Von realistischen Schwarzen Löchern wird erwartet, daß sie einen Drehimpuls
besitzen. Die zugehörige Lösung der Einstein-Gleichungen im Vakuum ist die axialsymmetrische Kerr-Lösung. Durch die Ersetzung
erhält man hieraus die allgemeinste Lösung eines stationären Schwarzen Loches, welche ein rotierendes elektrisch geladenes Schwarzes Loch beschreibt. Rotierende Schwarze Löcher sind durch die Anwesenheit einer Ergosphäre (siehe Abb. 2) gekennzeichnet, einem Bereich außerhalb des Ereignishorizontes, in dem es möglich ist, durch bestimmte Prozesse (Penrose-Prozesse) Energie aus dem Schwarzen Loch (maximal 29 % der Ruhemasse) zu extrahieren.
Schwarze Löcher weisen eine erstaunliche Analogie zu thermodynamischen Systemen auf. Die Tabelle enthält einen Vergleich der Gesetze der Mechanik Schwarzer Löcher mit den Hauptsätzen der Thermodynamik. Dabei bezeichnen
die Oberflächengravitation des Schwarzen Loches,
seine Winkelgeschwindigkeit am Horizont und
sein elektrostatisches Potential. Stephen Hawking hat gezeigt, daß die Interpretation dieser zunächst rein formalen Hauptsätze nur im Rahmen der Quantentheorie geschehen kann. Dabei stellt sich heraus, daß Schwarze Löcher mit einer Temperatur
strahlen (Hawking-Effekt). Der hierzu analoge Effekt im flachen Raum ist der Unruh-Effekt: Ein Beobachter, der sich mit einer Beschleunigung
durch das Vakuum bewegt, beobachtet thermische Strahlung mit der Temperatur
Im Falle der Schwarzschild-Metrik lautet die Hawking-Temperatur
Da das Schwarze Loch mit der Abstrahlung immer heißer wird, verdampft es in endlicher Zeit. Die Lebensdauer ist dabei durch
gegeben. Über das Endstadium dieser Verdampfung könnte nur eine (noch ausstehende) Theorie der Quantengravitation Auskunft geben. Für ein ungeladenes nichtrotierendes Loch mit
beträgt die auf Grund des Hawking-Effektes ausgestrahlte Leistung
wovon 81,4 % in Neutrinos, 16,7 % in Photonen und 1,9 % in Gravitonen stecken (unter der Annahme, daß sonst keine masselosen Teilchen existieren). In dem Massebereich
ergibt sich
wovon 45 % in Elektronen und Positronen, 45 % in Neutrinos, 9 % in Photonen und 1 % in Gravitonen stecken. Bei kleineren
werden auch massivere Teilchen ausgestrahlt. Schwarze Löcher unterhalb etwa drei Sonnenmassen können nicht durch Gravitationskollaps von Sternen entstehen. Sie müssen, falls überhaupt, unter den extremen Bedingungen des frühen Universums entstanden sein (primordiale Schwarze Löcher).
Die Entropie eines Schwarzen Loches ist durch
gegeben (Bekenstein-Hawking-Entropie), wobei
die Oberfläche des Ereignishorizontes bezeichnet. (Im Falle der Schwarzschild-Metrik ist
.) In zahlreichen Gedankenexperimenten konnte die Gültigkeit eines verallgemeinerten Zweiten Hauptsatzes gezeigt werden: Die Summe aus
und der Entropie normaler Materie nimmt in abgeschlossenen Systemen nie ab. Ein offenes Problem ist die Interpretation von
im Rahmen einer mikroskopischen statistischen Theorie, etwa nach der Gibbs-Formel
wobei
eine geeignete Dichtematrix ist;
würde dann die Zahl der Mikrozustände angeben, die mit dem durch
gegebenen Makrozustand des Loches verträglich sind. Eine solche Interpretation sollte im Rahmen einer Quantengravitation möglich sein.
Schwarze Löcher von der Masse eines Sterns oder mehr können auf Grund ihrer Auswirkungen auf ihre Umgebung durch astronomische Beobachtungen nachgewiesen werden. Beispiele solcher astronomischen Schwarzen Löcher sind die Röntgenquelle Cygnus X-1 oder das galaktische Zentrum. Bei Objekten wie Cygnus X-1 befindet sich ein Schwarzes Loch, dessen Masse einige
beträgt, in einem Doppelstern und zieht Materie des Begleitsterns ab, die sich zunächst in einer Akkretionsscheibe (Akkretion) anlagert und von dort in das Schwarze Loch beschleunigt wird. Anhand der Beobachtungen muß ausgeschlossen werden können, daß es sich bei solchen Objekten um spektroskopische Doppelsterne oder Röntgendoppelsterne handelt.
Schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien, sog. supermassenreiche Schwarze Löcher, besitzen weit höhere Massen von mehr als einer Million
. Sie wurden zunächst vorhergesagt, um den hohen Energieausstoß von Quasaren und von aktiven Galaxien zu erklären. Auch hier geht man davon aus, daß Materie zunächst in einer Akkretionsscheibe gesammelt und von dort in das Schwarze Loch fällt. Daneben zwingen diese Schwarzen Löcher das Gas und die Sterne in ihrer Umgebung dazu, mit hoher Geschwindigkeit um das Massenzentrum zu rotieren, so daß auf Grund der Rotationsgeschwindigkeit auf die Anwesenheit eines Schwarzen Lochs geschlossen werden kann. Beispiele solcher Objekte bilden die Radioquelle Sagittarius A sowie das 1997 mit dem Hubble-Weltraumteleskop entdeckte Schwarze Loch im Zentrum der Galaxie M84 (siehe Abb. 3).
Supermassive Schwarze Löcher wurden auch postuliert, um die flachen Rotationskurven von Galaxien zu erklären. Demzufolge würden einige Dutzend Schwarze Löcher im Halo von Galaxien genügen, um zusammen mit dem stellaren Gehalt des Halo die hohen Rotationsgeschwindigkeiten in den äußeren Bereichen von Galaxien zu verursachen. Derartige Schwarze Löcher könnten auch mit Kugelsternhaufen gravitativ wechselwirken und im Laufe der Zeit zu deren Auflösung beitragen.
Die Zerstrahlung Schwarzer Löcher läßt sich nur nachweisen, wenn es gelingt, primordiale Löcher zu beobachten, da für Löcher, die aus einem Gravitationskollaps resultieren, die Temperatur zu gering ist. Nachweismöglichkeiten betreffen den Beitrag vieler primordialer Löcher zum diffusen Gammahintergrund sowie die Beobachtung eines einzelnen verdampfenden Loches. Bisher gibt es hierfür nur obere Schranken.
Schwarze Löcher: Vergleich der Gesetze der Mechanik Schwarzer Löcher mit den Hauptsätzen der Thermodynamik.
| |||
Nullter | T konstant auf einem Körper im thermischen Gleichgewicht | konstant auf dem Horizont eines Schwarzen Loches | |
Erster | |||
Zweiter | |||
Dritter | kann nicht erreicht werden | kann nicht erreicht werden |
Schwarze Löcher 1: Gravitationskollaps eines Sterns zu einem Schwarzen Loch.
Schwarze Löcher 2: Ergosphäre um ein rotierendes Schwarzes Loch.
Schwarze Löcher 3: Rotationsgeschwindigkeit im Zentrum der Galaxie M84 hin. Die großen blau- und rotverschobenen Meßwerte (links bzw. rechts) deuten auf die Anwesenheit eines Schwarzen Loches in M84. Ohne Anwesenheit eines solchen Objekts würde man eine in etwa vertikal verlaufende Linie erwarten (Quelle: Hubble Space Telescope, NASA, AURA/ST ScI).
Schwarze Löcher 4: Computersimulation des Einflusses der Raumkrümmung auf ein Gebäude (erstellt an der University of Arizona).
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