Artensterben: 3 Milliarden Vögel verschwunden
Die Bilder gleichen sich: Wie in Europa befinden sich auch die Bestandszahlen nordamerikanischer Vogelarten im freien Fall. Seit 1970 »verschwanden« in Kanada und den USA rund drei Milliarden Vögel. Die Gesamtzahl dieser Tier nahm um knapp 29 Prozent ab, so eine Studie von Ornithologen um Ken Rosenberg vom Cornell Lab of Ornithology, die er zusammen mit weiteren Wissenschaftlern verschiedener Naturschutzorganisationen und staatlicher Behörden in »Science« veröffentlichte. 90 Prozent dieser Verluste entfallen auf zwölf Vogelfamilien wie Waldsänger, Sperlinge, Finken und Schwalben. Besonders dramatisch sind dabei die Verluste für Arten, die im Gras- und Kulturland vorkommen. Präriebewohner erlebten den dramatischsten Rückgang von mehr als der Hälfte ihres ursprünglichen Bestands vor 50 Jahren: ein Verlust von 720 Millionen Individuen.
»Wir hatten erwartet, dass ohnehin schon bedrohte Spezies weiter verlieren. Doch die Ergebnisse bezeugen überwältigende Rückgänge bei eigentlich häufigen Arten in allen Lebensräumen – inklusive von Gartenvögeln«, so Rosenberg. Die Wissenschaftler werteten dazu eine gewaltige Datensammlung aus. Seit Jahrzehnten beteiligen sich beispielsweise zehntausende US-Amerikaner an Vogelzählungen wie dem Audubon Christmas Bird Count, bei dem alljährlich um die Weihnachtszeit im ganzen Land die Anzahl und Arten der vorkommenden Vögel in einem bestimmten Zeitraum erfasst werden. Dazu kamen weitere Datensätze wie der North American Breeding Bird Survey, der von US- und kanadischen Behörden überwacht wird. Die Zahl der alljährlich wiederkehrenden Zugvögel lässt sich zudem mit Hilfe von Radardaten abschätzen, da die Vögel charakteristische Signaturen in diesen Aufzeichnungen hinterlassen: Hier zeigte sich allein in den letzten zehn Jahren ein Rückgang von 14 Prozent.
»Die Daten passen zu den Entwicklungen, die wir bei anderen Tiergruppen wie Amphibien oder bestimmten Insekten ebenfalls beobachten. Auch hier gehen Bestände massiv zurück«, ergänzt Peter Marra von der Georgetown University in einer Mitteilung. Die Studie widmete sich nicht der Ursachenforschung, doch gibt sie Hinweise auf die Auslöser der Bestandseinbrüche, die sich beispielsweise in Europa ebenfalls beobachten lassen. Verglichen mit Vogelarten des Gras- und Kulturlandes schnitten andere Gruppen etwas besser ab. Waldbewohnende Spezies verloren je nach Habitat – boreale Nadel-, Gebirgs- oder östliche Laubwälder – unterschiedlich stark, aber nicht in dem Ausmaß wie Bewohner im offen Land. Wasservögel wie Enten zeigten sogar als einzige Gruppe eine Zunahme. Auch verschiedene Großvögel wie Weißkopfseeadler, Wanderfalken oder Kraniche erholten sich zahlenmäßig, weil sie von starken Schutzmaßnahmen profitierten.
Zu den Hauptursachen zählen die Wissenschaftler daher veränderte landwirtschaftliche Praktiken. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Anbau intensiviert, Grasland wurde zu Mais- und Sojafeldern umfunktioniert und neue Pestizide eingeführt, welche die Nahrungsbasis der Vögel zerstörten. Insektenfresser gehören zu den am stärksten betroffenen Gruppen. Dazu kommen weitere Faktoren wie Lebensraumzerstörung in den Brut- und tropischen Überwinterungsgebieten, die zunehmende Urbanisierung mit Gefahrenquellen wie Vogelschlag oder verwilderten Hauskatzen. »Die Geschichte ist aber noch nicht vorbei«, ermutigt Michael Parr von American Bird Conservancy, die ebenfalls an der Studie beteiligt ist. Die Organisation möchte in Zusammenarbeit mit Landwirten und anderen Beteiligten mehrere Millionen Hektar Land wieder vogelfreundlicher gestalten. »Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, den Vögeln zu helfen«, sagt Parr. »Manche brauchen politische Entscheidungen wie das Gesetz zum Schutz von Zugvögeln oder das Verbot bestimmter Pestizide. Aber auch jeder Einzelne kann helfen, etwa indem er seine Katzen im Haus hält, vogelschlagsichere Fenster einbaut oder Lebensräume schützt.«
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