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Unglück in Beirut: 5 Fakten zu Ammoniumnitrat

Eine gewaltige Detonation hat am Dienstagabend Teile der libanesischen Hauptstadt Beirut verwüstet, vor allem der Hafen ist stark zerstört. Mindestens 135 Menschen sind tot, über 5000 verletzt. Die genaue Ursache ist noch unklar. Nach den offiziellen Angaben soll ein Lager mit Ammoniumnitrat explodiert sein. Was ist das für ein Stoff, und wie gefährlich ist er?
Rauchwolke nach Explosion in Beirut

Was ist Ammoniumnitrat und wozu braucht man es?

Ammoniumnitrat mit der Formel NH4NO3 ist ein Salz und besteht aus dem positiv geladenen Ammoniumion (NH4+) und dem negativ geladenen Nitration (NO3).

Man benötigt die Chemikalie vor allem als Grundstoff für Düngemittel. Dazu wird sie weltweit in großem Maßstab produziert – die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) schätzt den Jahresbedarf allein im Wirtschaftsraum Europa auf 10 bis 100 Millionen Tonnen pro Jahr. Darüber hinaus verwendet man Ammoniumnitrat als Sprengstoff, beispielsweise im Bergbau als Gemisch mit Dieselöl (»ammonium nitrate plus fuel oil«, kurz ANFO, ANC oder ANO).

Warum ist Ammoniumnitrat so explosiv?

Eigentlich gehört Ammoniumnitrat nicht zu den Explosivstoffen. Damit es detoniert, braucht es eine Zündquelle und brennbares Material. Erwärmt man es kontrolliert auf über 170 Grad Celsius, zersetzt es sich langsam zu Wasser und Lachgas (N2O). So gewinnen Hersteller übrigens großtechnisch Lachgas. Wenn aber eine Zündquelle vorliegt – etwa ein großes, heißes Feuer in der Nähe – zersetzt sich das Salz spontan zu Wasser, Sauerstoff und Stickstoff:

Dabei entstehen aus dem Feststoff schlagartig Gase – Wasser liegt bei den dann herrschenden hohen Temperaturen als Wasserdampf vor –, was sich dadurch bemerkbar macht, dass die Mischung auf einmal sehr viel mehr Platz benötigt und sich ausdehnt, kurz: Das Ganze explodiert.

Chemisch gesehen handelt es sich um einen Sonderfall einer Redoxreaktion. Im Ammoniumnitrat liegen zwei »unterschiedliche« Stickstoffatome vor. Das heißt, bei beiden handelt es sich natürlich um dasselbe Element, doch sie besitzen unterschiedlich viele Elektronen, haben also verschiedene Oxidationsstufen: –3 im Ammoniumion, +5 im Nitration. Bei einer explosionsartigen Zersetzung oxidiert das Nitration den Stickstoff im Ammoniumion, so dass am Schluss beide N-Atome die Oxidationsstufe 0 haben – man spricht von einer Komproportionierung.

In der Praxis läuft die Reaktion nicht so sauber ab wie im Lehrbuch – es entstehen daneben weitere Produkte, darunter Stickoxide: das farblose Gas NO sowie das rotbraune Gas NO2. »Die rote Farbe der Wolke in Beirut deutet daher mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine Explosion von Ammoniumnitrat hin«, urteilt Thomas Schendler, Leiter der Abteilung Chemische Sicherheitstechnik bei der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM).

Dass Nitrate eine hohe Sprengkraft besitzen, ist seit Jahrhunderten bekannt. Sie sind gute Oxidationsmittel, liefern also den Sauerstoff für eine solche, heftige Reaktion. Schon im Schwarzpulver, dem ersten Sprengstoff, diente Nitrat als »sprengaktiver« Bestandteil. Zahlreiche nitrierte organische Moleküle wiederum sind allein von sich aus explosiv: zum Beispiel Schießbaumwolle (Zellulosenitrat), Nitroglycerin (der explosive Bestandteil des Dynamits) oder das berühmte Trinitrotoluol (TNT).

Ist es fahrlässig, große Mengen Ammoniumnitrat zu lagern?

Es ist nicht ungewöhnlich, dass große Mengen gelagert und transportiert werden. Dabei gilt es allerdings einiges zu beachten: Abgesehen davon, dass das Material trocken, vor Sonneneinstrahlung und Hitze geschützt sowie fernab von Zündquellen liegen sollte, darf eine ganze Reihe Stoffe nicht zusammen mit Ammoniumnitrat aufbewahrt werden, zum Beispiel oxidierende oder brennbare Stoffe, alkalisch oder sauer reagierende Substanzen. Feuchtigkeit sollte das Salz ebenfalls nicht aufnehmen, da es sonst verklumpen kann. Es ist also ein hohes Maß an Sorgfalt gefordert.

In reiner Form fällt Ammoniumnitrat unter die Sprengstoffverordnung und darf in Deutschland nicht verkauft werden. Als Düngemittel, das private Verbraucher erwerben können, liegt die Chemikalie ausschließlich als Gemisch vor, beispielsweise mit Kalziumkarbonat. In dieser Kombination ist es nicht explosiv. Man muss nicht befürchten, mit Haushaltsdünger aus Versehen einen Krater in seinen Garten zu sprengen.

Reines Ammoniumnitrat wird als Düngemittel laut Thomas Schendler nicht hergestellt und gelagert, sondern stets in Mischungen. Das soll gewährleisten, dass das Material nicht explosiv ist. Um nachzuweisen, dass ein Produkt sicher ist, muss ein Düngemittelhersteller sein Material einem Explosionstest unterziehen lassen. Dazu füllt man ein »Detonationsrohr« mit dem Produkt und löst direkt darauf gezielt eine Explosion aus. Abhängig davon, ob die Mischung im Rohr die Detonation komplett weiterleitet oder nur teilweise, gilt der Test als nicht bestanden oder bestanden.

Gab es schon Unfälle mit Ammoniumnitrat?

Immer wieder sind Katastrophen geschehen, bei denen sich Ammoniumnitrat explosionsartig zersetzt hat – jüngst 2015 im chinesischen Tianjin. Dort entzündete sich eine Ladung Nitrozellulose selbst und brachte daraufhin das im selben Gebäude lagernde Ammoniumnitrat zur Detonation.

In Deutschland erschütterte 1921 eine heftige Explosion die Stadt Ludwigshafen: Dort ging beim Chemiekonzern BASF ein Lager mit dem Material in die Luft und machte fast den gesamten Stadtteil Oppau dem Erdboden gleich. Um das Risiko einer Explosion zu minimieren, hatte die Firma das Salz zwar als Mischung mit Ammoniumsulfat hergestellt – in einem Verhältnis, in dem das Ganze eigentlich explosionssicher war. Weil der Feststoff jedoch während der Lagerung immer wieder stark verklumpte, musste er regelmäßig gelockert werden, um ihn abzutransportieren. Zu diesem Zweck unternahm die BASF kontrollierte Sprengungen. Eine der Sprengungen ging am 21. September 1921 schief – rund 400 der insgesamt 4500 Tonnen Ammoniumnitrat detonierten.

Wo findet sich Ammoniumnitrat sonst noch?

Das Molekül ist ein Bestandteil von Aerosolen und entsteht, wenn in der Atmosphäre Ammoniak und Salpetersäure kondensieren. Ammoniak stammt beispielsweise von Emissionen aus der Landwirtschaft, es wird beim Düngen freigesetzt. Verkehr und Industrie sind wiederum typische Quellen für Stickoxide, die in der Atmosphäre zu Salpetersäure reagieren können. Wie Forscher kürzlich herausgefunden haben, ist Ammoniumnitrat möglicherweise ein Grund dafür, dass sich in Großstädten außerordentlich schnell Feinstaubpartikel bilden.

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