Neurophysiologie: Alter Schalter
Neben den bekannten Zapfen und Stäbchen gibt es noch ein weiteres lichtempfindliches System in unseren Augen. Melanopsin heißt das kürzlich entdeckte Fotopigment, das die innere Uhr steuert. Und es funktioniert genauso wie die Pigmente in unseres Sehzellen - zumindest fast.
Lehrbücher tragen ein schweres Schicksal: Sie altern. Da heißt es jahrzehntelang, in der Netzhaut unseres Auges gebe es nur ein einziges lichtempfindliches System, das mit zwei Sinneszellen auskommt: die für das Dämmerungssehen zuständigen Stäbchen und die weniger empfindlichen, dafür aber farbtüchtigen Zapfen. Beide verfügen über das gleiche lichtempfindliche Protein namens Rhodopsin und senden ihre Botschaften an die darunter sitzenden Ganglienzellen, deren Fasern sich zum Sehnerv vereinen. Diese Ganglienzellen galten – selbstverständlich – als vollkommen blind.
Eine Vorstellung, die sich inzwischen als überholt herausgestellt hat.
Rätselhaft blieb jedoch immer noch, wie Melanopsin funktioniert. Berson hat sich natürlich mit diesem Problem ausgiebig beschäftigt, doch die Konkurrenz schläft bekanntlich nicht – und so erschienen jetzt fast zeitgleich vier Publikationen über den rätselhaften Lichtschalter.
Einen Unterschied gibt es jedoch – und der ist durchaus interessant: Das all-trans-Retinal in den Sehzellen der Wirbeltiere lässt sich durch Licht nicht mehr in die 11-cis-Form zurückverwandeln, es ist gebleicht und löst sich vom Rhodopsin. Die Zapfen und Stäbchen müssen auf enzymatische Prozesse zurückgreifen, die in der Dunkelheit das lichtempfindliche Pigment wieder neu aufbauen.
Die all-trans-Form des Melanopsin behält jedoch seine Lichtempfindlichkeit, wenn auch im geringeren Maße. Und dies erinnert an die Pigmente wirbelloser Tiere, bei denen ebenfalls eine lichtinduzierte Umwandlung von der all-trans- in die 11-cis-Form möglich ist.
Damit scheint das Melanopsin-System der Säugetiere ein altes Erbe aus längst vergangene Zeiten zu sein. Während es sich bei Insekten und Weichtieren zum Sehpigment weiterentwickelte, übernahm es bei unseren Vorfahren eine neue Aufgabe: als Steuerinstrument für die innere Uhr.
Eine Vorstellung, die sich inzwischen als überholt herausgestellt hat.
Denn zum Ende des Jahrtausend tauchte der Verdacht auf, dass dieses auf Rhodopsin beruhende lichtempfindliche System wohl nicht ganz ausreicht. Wie jeder Vielflieger weiß, verfügen wir über eine innere Uhr, die über das Tageslicht gesteuert wird. Lange wurde das Rhodopsin der Zapfen und Stäbchen als Schalter dieser Uhr angesehen, doch dann entdeckten mehrere Arbeitsgruppen ein zweites Pigment in der Netzhaut der Säugetiere: Melanopsin.
Anfang des Jahres 2002 konnten schließlich die Forscher um David Berson von der amerikanischen Brown-Universität den Verdacht bestätigen: Melanopsin sitzt in einigen Ganglienzellen – die damit keineswegs blind sind und die einen direkte Draht zum Steuerzentrum der inneren Uhr im Gehirn haben. Für die Zeitschrift Science gehörte diese Erkenntnis zu den wichtigsten Durchbrüchen des Jahres 2002.
Rätselhaft blieb jedoch immer noch, wie Melanopsin funktioniert. Berson hat sich natürlich mit diesem Problem ausgiebig beschäftigt, doch die Konkurrenz schläft bekanntlich nicht – und so erschienen jetzt fast zeitgleich vier Publikationen über den rätselhaften Lichtschalter.
Xudong Qiu aus Bersons Arbeitsgruppe gelang es, das Melanopsin-Gen Opn4 aus Mäusen in menschliche Nierenzellen zu verpflanzen [1]. Fast das gleiche – nur mit umgekehrten Vorzeichen – versuchten die britischen Kollegen um Robert Lucas von der Universität Manchester und Mark Hankins vom Imperial College London: Sie wählten Nervenzellen von Mäusen als Empfänger für das menschliche Melanopsin-Gen [2]. Die Forscher um Satchidananda Panda vom Genomics Institute of the Novartis Research Foundation unternahmen ähnliches mit Froscheiern [3]; Mauro Cesar Isoldi und seine Kollegen von der Universität von Virginia untersuchten das Pigment ebenfalls am Krallenfrosch Xenopus [4].
Alle vier Arbeitsgruppen kamen zu vergleichbaren Ergebnissen: Egal ob Nerven-, Nieren- oder Eizelle, sobald das Gen Opn4 das Pigment Melanopsin produziert, verwandelt sich eine zuvor vollkommen blinde Zelle in einen Lichtempfänger. Wenn Licht auf die manipulierte Zelle fällt – am besten im blaugrünen Bereich bei 480 Nanometer – laufen im Grunde die gleichen Prozesse wie in den Zapfen und Stäbchen ab. Denn genauso wie Rhodopsin besitzt Melanopsin das Pigment Retinal, dass sich nach Lichtabsorbtion von der gewinkelten 11-cis-Form in die gestreckte all-trans-Variante verwandelt. Und diese Verwandlung löst eine biochemische Kaskade aus, bei der sich die Ionenkanäle in der Zellmembran schließen und damit die Membranspannung der Zelle verändern.
Einen Unterschied gibt es jedoch – und der ist durchaus interessant: Das all-trans-Retinal in den Sehzellen der Wirbeltiere lässt sich durch Licht nicht mehr in die 11-cis-Form zurückverwandeln, es ist gebleicht und löst sich vom Rhodopsin. Die Zapfen und Stäbchen müssen auf enzymatische Prozesse zurückgreifen, die in der Dunkelheit das lichtempfindliche Pigment wieder neu aufbauen.
Die all-trans-Form des Melanopsin behält jedoch seine Lichtempfindlichkeit, wenn auch im geringeren Maße. Und dies erinnert an die Pigmente wirbelloser Tiere, bei denen ebenfalls eine lichtinduzierte Umwandlung von der all-trans- in die 11-cis-Form möglich ist.
Damit scheint das Melanopsin-System der Säugetiere ein altes Erbe aus längst vergangene Zeiten zu sein. Während es sich bei Insekten und Weichtieren zum Sehpigment weiterentwickelte, übernahm es bei unseren Vorfahren eine neue Aufgabe: als Steuerinstrument für die innere Uhr.
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