Antike Fresken: Seltene Mysterienmalereien in Pompeji entdeckt

In Pompeji haben Archäologen ein großes Fresko aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. frei gelegt, das einst einen Bankettsaal schmückte. Der Fund hat Seltenheitswert, denn bei den Malereien handelt es sich um eine so genannte Megalographie. Darunter versteht man Darstellungen mit lebensgroßen Figuren, wie sie nur sehr selten aus der römischen Antike überliefert sind. Die Bilder zeigen Themen und Figuren aus dem Gefolge des Gottes Dionysos oder Bacchus, berichtet der Archäologische Park von Pompeji in einer Pressemitteilung. Ein vergleichbarer Bilderfries sei bisher nur einmal bekannt. Er fand sich an den Wänden der berühmten Mysterienvilla, die zwischen 1909 und 1910 in Pompeji ausgegraben wurde. Die neu entdeckten Fresken deuten wohl ebenfalls die Einweihung in einen dionysischen Mysterienkult an. Deren Anhänger mussten die speziellen Rituale, die ihnen ein seliges Dasein im Jenseits versprachen, strengstens geheim halten.
Der Festsaal, der in den vergangenen Wochen frei gelegt wurde, ist an drei Seiten mit Malereien bedeckt. Die vierte Seite war offen und führte einst in einen Garten. Laut den Ausgräbern ist an den Wänden eine dionysische Prozession dargestellt. Zu sehen sind tanzende Frauen, die Tierleiber herumschleudern oder Messer schwingen. Es handelt sich um Mänaden oder Bacchantinnen – Frauenfiguren, die dem Mythos zufolge als Begleiterinnen des Gottes Dionysos mit Raserei geschlagen blindlings wüten und dabei Tiere – und bisweilen auch neugierige Männer – zerreißen. Auf den Bildern sind außerdem junge Satyrn dargestellt, die mit ihren spitzen Ohren und einem Tierschweif als halbzivilisierte wilde Gestalten im Gefolge des Weingottes charakterisiert sind.
Die Mitte der Bilderreihe bilden eine Frau und ein alter Satyr. Letzterer trägt eine Fackel; in Mysterienkulten zählen Fackeln zu den wichtigen Requisiten. Womöglich, so deuten es der Leiter des Archäologischen Parks Gabriel Zuchtriegel und sein Team, ist eine Einweihung in einen solchen Geheimkult wiedergegeben. Denn Initiationsriten fanden meist nachts statt. Allerdings dürfte in den Bildern keine tatsächliche Einweihung gemeint sein, sondern das Ereignis spielt sich in einem mythischen Umfeld ab. »Diese Fresken haben eine tiefreligiöse Bedeutung, die aber auch als Dekor der Räume gedacht war, in denen man Bankette und Feste abhielt«, erklärt Zuchtriegel laut der Pressemitteilung.

Das Alter der Malereien haben die Archäologen stilistisch bestimmt, wie sie im hauseigenen Fachblatt »E-Journal. Scavi di Pompei« schreiben. Die Machart verlege die Bilder in die Zeit von 40 bis 30 v. Chr. Damit sei die Prozessionsdarstellung bereits mehr als 100 Jahre alt gewesen, als der Ausbruch des Vesuvs die antike Stadt 79 n. Chr. verschüttete. Damals zerstörte die massive Eruption die Städte Pompeji, Herculaneum und Stabiae und begrub sie unter meterdickem vulkanischem Auswurf.
Das Gebäude mit dem Bankettsaal liegt im Zentrum Pompejis, in der Insula 10 (Wohnblock) des einstigen 9. Stadtbezirks (regio IX). Die Ausgräber haben den Bau »Haus des Thiasus« genannt. Als Thiasus bezeichnete man in der Antike das Gefolge des Gottes Dionysos, ausgelassen tanzende Satyrn und Mänaden, wie sie auch im neu entdeckten Fresko dargestellt sind.
In der »regio IX« arbeiten die Archäologen seit 2023. Ebenfalls einen mit gut erhaltenen Malereien geschmückten Bankettraum entdeckten sie bereits 2024, mit Darstellungen aus dem trojanischen Sagenkreis.
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