Paläoanthropologie: Auch andere waren mal klein
Ob Homo floresiensis eine eigene Spezies war oder nicht, bleibt umstritten wie eh und je. Die Anhänger einer Verzwergungstheorie bekommen nun Munition aus einem Inselparadies ganz in der Nähe des indonesischen Fundortes vom kleinwüchsigen Flores-Menschen.
War er – oder war er nicht? An mehr oder minder bizarren Hypothesen über den Status des so genannten "Flores-Mensch" mangelt es nicht, und nahezu monatlich kommen neue dazu. Das winzige, im Jahr 2004 auf der Insel Flores ausgegrabene Menschlein mit noch winzigerem Schimpansengehirn und ein paar weiteren, ganz eigenen Skelett-Merkmalen war, so sind seine Entdecker sich sicher, eine ganz eigene Spezies – Homo floresiensis –, die noch zu Lebzeiten der modernen H.-sapiens-Menschheit vor 12 000 Jahren durch die Wälder seines Eilandes stromerte.
Andere glauben kein Wort: Das einzige bislang gefundene vollständige Skelett-Exemplar "LB1" ist nach ihrer festen Überzeugung selbstverständlich ein Homo sapiens. Allerdings, zugegeben, ein ziemlich komisches Einzelexemplar, das vielleicht an einer merkwürdigen Art von degenerativer Krankheit gelitten hatte. Eine passende Erkrankung zu finden, die möglichst alle Merkmalsabsonderlichkeiten des Flores-Typus erklärt, liegt bei dieser Denkschule laufend im Trend.
Gerade in der vergangenen Woche lieferte dies Stoff für einen netten neuen Schlagabtausch verfeindeter Anthropologenlager: Peter Obendorf und Kollegen vom Royal Melbourne Institute of Technology hatten per Ferndiagnose am hochgerasterten Bild vom Gehirnausguss des Flores-Exemplars eine extrem große Hypophysengrube diagnostiziert – aus ihrer Sicht ein klares Anzeichen für eine Form von "myxoödematosem Kretinismus", bei dem ein früher Defekt der Schildrüsenfunktion zu Verzwergung und einem drastisch verringertem Gehirnvolumen führt [1]. Der vom Wissenschaftsboulevard liebevoll als "Hobbit" vermarktete Flores-Mensch – nichts weiter als ein schilddrüsengestörter Kretin?
Andere nehmen noch weniger ein Blatt vor den Mund, etwa William Jungers von der Stony-Brook-Universität in New York gegenüber The Australian. Vieles an der Arbeit von Obendorf sei, so der Paläoanthropologe, "eine ziemlich große und übelriechende Ansammlung von Desinformation und wilder Spekulation".
Wo so offen über die Qualität wissenschaftlicher Beiträge geredet wird, werden manche Kritiker des Eigen-Artstatus des Flores-Exemplars etwas vorsichtiger – wie nun auch Lee Berger von der Universität Witwatersrand in Südafrika. Angeblich beim Kajakfahren vor der Küste der Felseninseln des Palau-Archipels hatte er vor einigen Jahren Höhlen erspäht, die einen genauen Forscherblick rechtfertigten: In ihnen fanden sich schließlich eine große Menge auffälliger Skelette. Die ersten Ergebnisse einer genauen Analyse dieser Überreste zeigen nun Erstaunliches und könnten vielleicht, so der Wissenschaftler bedächtig, möglicherweise auch ein klein wenig am Artstatus des Flores-Menschen kratzen [2].
Trotzdem gelang es den Forschern, einige typische anatomische Details der bestatteten Urbevölkerung von Palau zu ermitteln. Die älteren Exemplare lassen sich durchaus als wahre Zwerge beschreiben: Rund einen Meter groß waren sie im Durchschnitt und brachten zu Lebzeiten wohl gerade einmal zwischen 32 und 41 Kilo auf die Waage. Die Form der Gesichtspartie und Hüftknochen stempelten sie dabei aber eindeutig als Homo sapiens, wenn auch als eben kleine Sorte unserer Spezies.
Dass Arten auf Inseln oder in isolierten Waldhabitaten verzwergen, ist eine schon gut abgehangene und überprüfte biologische Theorie – viele Formen einer Art sind auf kleinen Eilanden weniger groß, besonders, wenn die Nahrungsversorgung nur mangelhaft ist, kaum räuberische Feinde vorhanden sind und ein recht hoher Grad an Inzucht herrscht, weil die Ausgangspopulation selten von außen aufgefrischt wird.
Viele der nun auch auf Palau gefundenen Skelettmerkmale sind zuvor herangezogen worden, um den Artstatus des Flores-Menschen zu rechtfertigen, kommentiert Berger – seine Funde schienen aber zu belegen, dass diese Eigenarten durchaus in das Formenspektrums von Homo sapiens passen. Einzig das Durchschnitts-Gehirn der frühen Palaubewohner ist nach vorsichtigen Schätzungen doch noch rund doppelt so groß wie das sehr kleine Denkorgan der frühen Floresianer.
Am Ende kaum verwunderlich: All das überzeugt die Gegenseite des Flores-Disputes nicht. So etwa den Freund des deutlichen Wortes, William Jungers – er weist für seine Verhältnisse recht zahm darauf hin, dass das wichtigste und einzigartige altertümliche Kennzeichen des Flores-Menschen immer noch bestimmte wulstförmige Knochenpartien im Kiefer sind, die sonst nur bei den Vorläuferarten des modernen Menschen auftauchen.
Die jüngste Runde des Argumentenaustausches darf demnach vorerst als Unentschieden gewertet werden – wobei Kombattant Berger allerdings ohnehin explizit darauf hinweist, dass er nicht davon ausgegangen sei, mit den Palau-Skeletten die Flores-Knochen zu entschlüsseln. Immerhin belege sein Fund aber die weite Verbreitung kleinwüchsiger Inselformen auch des Menschen in der Region – und liefert zumindest Hinweise darauf, dass auch der Hobbit, ob eigene Art oder nicht, zunächst einmal auch ein Sonderfall insularer Verzwergung sein könnte. Ungewöhnlich ist das vor Ort nicht gerade: Auch heute noch leben Pygmäenstämme wie die philippinischen Aeta ganz in der Nähe.
Andere glauben kein Wort: Das einzige bislang gefundene vollständige Skelett-Exemplar "LB1" ist nach ihrer festen Überzeugung selbstverständlich ein Homo sapiens. Allerdings, zugegeben, ein ziemlich komisches Einzelexemplar, das vielleicht an einer merkwürdigen Art von degenerativer Krankheit gelitten hatte. Eine passende Erkrankung zu finden, die möglichst alle Merkmalsabsonderlichkeiten des Flores-Typus erklärt, liegt bei dieser Denkschule laufend im Trend.
Gerade in der vergangenen Woche lieferte dies Stoff für einen netten neuen Schlagabtausch verfeindeter Anthropologenlager: Peter Obendorf und Kollegen vom Royal Melbourne Institute of Technology hatten per Ferndiagnose am hochgerasterten Bild vom Gehirnausguss des Flores-Exemplars eine extrem große Hypophysengrube diagnostiziert – aus ihrer Sicht ein klares Anzeichen für eine Form von "myxoödematosem Kretinismus", bei dem ein früher Defekt der Schildrüsenfunktion zu Verzwergung und einem drastisch verringertem Gehirnvolumen führt [1]. Der vom Wissenschaftsboulevard liebevoll als "Hobbit" vermarktete Flores-Mensch – nichts weiter als ein schilddrüsengestörter Kretin?
"Ich bin der Einzige auf dem Planeten der gesehen hat, was von der Hypophysengrube übrig ist"
(Peter Brown)
Die Arbeit von Oberdorf stieß, um es vorsichtig auszudrücken, kaum auf Gegenliebe in der restlichen Wissenschaftswelt – schon allein deswegen, weil niemand die vermeintlich krankhafte Übergröße der Hypophysengrube am Schädelexemplar und seinen Ausgüssen tatsächlich nachvollziehen konnte. An prominenter Stelle äußert sich dahingehend der Erstuntersucher des Flores-Menschen, Peter Brown von der Universität von New England in Australien, gegenüber Nature: "Ich bin der Einzige auf dem Planeten, der je gesehen hat, was eigentlich von der Hypophysengrube des Flores-Exemplars übrig ist. Sie ist sehr schlecht erhalten und kann gar nicht vermessen werden." (Peter Brown)
Andere nehmen noch weniger ein Blatt vor den Mund, etwa William Jungers von der Stony-Brook-Universität in New York gegenüber The Australian. Vieles an der Arbeit von Obendorf sei, so der Paläoanthropologe, "eine ziemlich große und übelriechende Ansammlung von Desinformation und wilder Spekulation".
Wo so offen über die Qualität wissenschaftlicher Beiträge geredet wird, werden manche Kritiker des Eigen-Artstatus des Flores-Exemplars etwas vorsichtiger – wie nun auch Lee Berger von der Universität Witwatersrand in Südafrika. Angeblich beim Kajakfahren vor der Küste der Felseninseln des Palau-Archipels hatte er vor einigen Jahren Höhlen erspäht, die einen genauen Forscherblick rechtfertigten: In ihnen fanden sich schließlich eine große Menge auffälliger Skelette. Die ersten Ergebnisse einer genauen Analyse dieser Überreste zeigen nun Erstaunliches und könnten vielleicht, so der Wissenschaftler bedächtig, möglicherweise auch ein klein wenig am Artstatus des Flores-Menschen kratzen [2].
"Eine ziemlich übelriechende Ansammlung von Desinformation und wilder Spekulation"
(William Jungers)
Die Skelette von Palau – rund 600 Kilometer östlich der Philippinen gelegen – sind zwischen 900 und 2900 Jahren alt und, besonders die älteren Exemplare, ebenso kleinwüchsig wie unsere alten Australopithecus-Vorfahren und der noch recht frisch ausgestorbene Flores-Mensch, wie Bergers Team mühsam ermittelte. Erschwert wurde ihre Arbeit massiv durch die Eigenheiten des Fundortes: Immer wieder einmal sind in den Jahrhunderten die ausschließlich als Begräbnisorte genutzten, nie durchgehend bewohnten Küstenhöhlen vom Hochwasser umgewühlt worden. Im Laufe der Zeit überzog die verwirbelten Gebeine schließlich auch noch ein tropfsteinähnlicher Sinterüberzug und buk Schädel und Knochen derart fest, dass sie nur schwerlich zu untersuchen sind. (William Jungers)
Trotzdem gelang es den Forschern, einige typische anatomische Details der bestatteten Urbevölkerung von Palau zu ermitteln. Die älteren Exemplare lassen sich durchaus als wahre Zwerge beschreiben: Rund einen Meter groß waren sie im Durchschnitt und brachten zu Lebzeiten wohl gerade einmal zwischen 32 und 41 Kilo auf die Waage. Die Form der Gesichtspartie und Hüftknochen stempelten sie dabei aber eindeutig als Homo sapiens, wenn auch als eben kleine Sorte unserer Spezies.
Andere Eigenheiten aber teilen die Palau-Skelette auch mit den Flores-Menschen, schreiben Berger und Kollegen. So haben die beiden kleinwüchsigen Menschensorten etwa unter anderem deutliche Oberaugenwülste, relativ große Zähne und kleine Gesichtspartien im Verhältnis zur Schädelgröße sowie merkwürdig verdrehte Zahnstellungen im Ober- und Unterkiefer. Daraus wollen Berger und Co nun keinesfalls schließen, dass beide Menschen eng miteinander verwandt waren – vielmehr sind die Übereinstimmungen nach ihrer Überzeugung Folgen extremen menschlichen Kleinwuchses, der wiederum vielleicht als Reaktion einer Population an die besonderen Umweltbedingungen ihrer isolierten Inselumgebung gedeutet werden kann.
Dass Arten auf Inseln oder in isolierten Waldhabitaten verzwergen, ist eine schon gut abgehangene und überprüfte biologische Theorie – viele Formen einer Art sind auf kleinen Eilanden weniger groß, besonders, wenn die Nahrungsversorgung nur mangelhaft ist, kaum räuberische Feinde vorhanden sind und ein recht hoher Grad an Inzucht herrscht, weil die Ausgangspopulation selten von außen aufgefrischt wird.
Viele der nun auch auf Palau gefundenen Skelettmerkmale sind zuvor herangezogen worden, um den Artstatus des Flores-Menschen zu rechtfertigen, kommentiert Berger – seine Funde schienen aber zu belegen, dass diese Eigenarten durchaus in das Formenspektrums von Homo sapiens passen. Einzig das Durchschnitts-Gehirn der frühen Palaubewohner ist nach vorsichtigen Schätzungen doch noch rund doppelt so groß wie das sehr kleine Denkorgan der frühen Floresianer.
Am Ende kaum verwunderlich: All das überzeugt die Gegenseite des Flores-Disputes nicht. So etwa den Freund des deutlichen Wortes, William Jungers – er weist für seine Verhältnisse recht zahm darauf hin, dass das wichtigste und einzigartige altertümliche Kennzeichen des Flores-Menschen immer noch bestimmte wulstförmige Knochenpartien im Kiefer sind, die sonst nur bei den Vorläuferarten des modernen Menschen auftauchen.
Die jüngste Runde des Argumentenaustausches darf demnach vorerst als Unentschieden gewertet werden – wobei Kombattant Berger allerdings ohnehin explizit darauf hinweist, dass er nicht davon ausgegangen sei, mit den Palau-Skeletten die Flores-Knochen zu entschlüsseln. Immerhin belege sein Fund aber die weite Verbreitung kleinwüchsiger Inselformen auch des Menschen in der Region – und liefert zumindest Hinweise darauf, dass auch der Hobbit, ob eigene Art oder nicht, zunächst einmal auch ein Sonderfall insularer Verzwergung sein könnte. Ungewöhnlich ist das vor Ort nicht gerade: Auch heute noch leben Pygmäenstämme wie die philippinischen Aeta ganz in der Nähe.
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