Klimawandel: Auszug aus Thoreaus Wald
Er zog in die Wälder, um ein neues Leben auszutesten - und notierte eifrig, was um ihn herum kreuchte und fleuchte. Heute dient Henry David Thoreaus "Walden" nicht nur der Erbauung der alternativen Szene. Es macht auch Klimaforscher glücklich.
"Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hätte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte. Ich wollte nicht das leben, was nicht Leben war; das Leben ist so kostbar. Auch wollte ich keine Entsagung üben, außer es wurde unumgänglich notwendig. Ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen, so hart und spartanisch leben, dass alles, was nicht Leben war, in die Flucht geschlagen wurde." (Henry David Thoreau, Walden oder Leben in den Wäldern, 1854)
Dieses Zitat – in abgewandelter Form – verführte nicht nur die Mitglieder des "Clubs der toten Dichter" in Peter Weirs gleichnamiger Tragikomödie zu einem intensiveren Leben außerhalb der engen Mauern der konservativen Welton Academy. Thoreaus Buch "Walden" inspirierte auch außerhalb der Literatur ganze Generationen amerikanischer Leser und gilt als eines der wegweisenden Werke der frühen Naturschutz- wie der Studentenbewegung der 1968er. Sogar Mahatma Ghandi soll sein Ideal des gewaltfreien Widerstandes und seiner asketischen Lebensführung ausdrücklich auf dieses Werk des US-amerikanischen Schriftstellers und Philosophen zurückgeführt haben.
Literat und Naturforscher
Sie interessieren sich allerdings weniger für die philosophischen als für die naturwissenschaftlichen Ansätze des Bandes, denn Thoreau war ebenso ein akribischer Forscher, der die Wälder und Felder um Concord über Jahrzehnte hinweg studiert hat. Der Freigeist notierte ausführlich, wo welche Pflanzen vorkommen und wann diese blühen. Immer wieder haben Biologen darauf zurückgegriffen und sie um ihre Daten ergänzt: Entstanden ist daraus eine einzigartige Sammlung, die den ökologischen Wandel der Region über eineinhalb Jahrhunderte hinweg dokumentiert – was sie für heutige Wissenschaftler unschätzbar macht.
Dank der langen Zeitreihe konnten die Biologen um Willis etwa erkennen, dass seit der Mitte des vorletzten Jahrhunderts mehr als ein Viertel aller Pflanzenarten, die Thoreau damals katalogisiert hatte, in der Gegend ausgestorben sind. Ein weiteres Drittel existiert vor Ort zudem nur noch in so winzigen Mengen, dass ihr baldiges lokales Erlöschen befürchtet werden muss – obwohl sehr viel Land um Concord unter Naturschutz steht oder seit damals kaum verändert wurde.
Fluch der Verwandtschaftsverhältnisse
Es müsse folglich ein Einflussfaktor verantwortlich sein, der großräumig und über alle Lebensräume hinweg wirkt, so die Forscher, die schnell den Klimawandel im Verdacht hatten: Immerhin erwärmte sich die Region während der letzten 100 Jahre um 2,4 Grad Celsius. Viele Pflanzen passten sich dem rasch an, weshalb sich die Blühzeiten durchschnittlich um rund eine Woche nach vorne verlagerten – allerdings bei Weitem nicht bei allen der 473 untersuchten Spezies und vor allem nicht völlig zufällig in allen Pflanzenfamilien. Vielmehr kristallisierten sich auch hier enge phylogenetische Zusammenhänge heraus.
Warum die Arten leiden, die dem Klimawandel nicht folgen können, ist noch nicht abschließend geklärt: Womöglich fehlen ihnen zur Blütezeit die bestäubenden Insekten, die vielfach ihren Rhythmus ebenfalls nach vorne verlagern. Oder aber ihr Auftreten fällt nun in eine Phase, in der mehr Fressfeinde unterwegs sind, die Blüten und Samen schädigen.
Dieses Zitat – in abgewandelter Form – verführte nicht nur die Mitglieder des "Clubs der toten Dichter" in Peter Weirs gleichnamiger Tragikomödie zu einem intensiveren Leben außerhalb der engen Mauern der konservativen Welton Academy. Thoreaus Buch "Walden" inspirierte auch außerhalb der Literatur ganze Generationen amerikanischer Leser und gilt als eines der wegweisenden Werke der frühen Naturschutz- wie der Studentenbewegung der 1968er. Sogar Mahatma Ghandi soll sein Ideal des gewaltfreien Widerstandes und seiner asketischen Lebensführung ausdrücklich auf dieses Werk des US-amerikanischen Schriftstellers und Philosophen zurückgeführt haben.
"Walden" ist das literarisch umgesetzte Tagebuch Thoreaus über seinen Rückzug in die Wälder von Concord im US-Bundesstaat Massachusetts, in denen er ab 1845 für mehr als zwei Jahre siedelte: Er wollte dort einen alternativen Lebensstil verwirklichen, der ihm in der Zivilisation verwehrt zu werden schien. In insgesamt 18 Kapiteln schreibt der Eremit auf Zeit über die Tiere des Waldes, seine Gedanken zur Ökonomie der Nation, die Einsamkeit und Askese, aber auch über seine Besuche in einem nahe gelegenen Dorf, dass er regelmäßig aufsuchte, um Neuigkeiten über die Welt da draußen zu erfahren. Selbst heute noch – mehr als 150 Jahre nach der Erstauflage – erweitert es den Horizont seiner Leser: etwa jenen von Charles Willis von der Harvard University und seiner Kollegen.
Literat und Naturforscher
Sie interessieren sich allerdings weniger für die philosophischen als für die naturwissenschaftlichen Ansätze des Bandes, denn Thoreau war ebenso ein akribischer Forscher, der die Wälder und Felder um Concord über Jahrzehnte hinweg studiert hat. Der Freigeist notierte ausführlich, wo welche Pflanzen vorkommen und wann diese blühen. Immer wieder haben Biologen darauf zurückgegriffen und sie um ihre Daten ergänzt: Entstanden ist daraus eine einzigartige Sammlung, die den ökologischen Wandel der Region über eineinhalb Jahrhunderte hinweg dokumentiert – was sie für heutige Wissenschaftler unschätzbar macht.
Dank der langen Zeitreihe konnten die Biologen um Willis etwa erkennen, dass seit der Mitte des vorletzten Jahrhunderts mehr als ein Viertel aller Pflanzenarten, die Thoreau damals katalogisiert hatte, in der Gegend ausgestorben sind. Ein weiteres Drittel existiert vor Ort zudem nur noch in so winzigen Mengen, dass ihr baldiges lokales Erlöschen befürchtet werden muss – obwohl sehr viel Land um Concord unter Naturschutz steht oder seit damals kaum verändert wurde.
Deshalb lässt sich nur ein Teil der Verluste mit veränderten Nutzungsbedingungen vor Ort nachvollziehen: Farmer gaben ihre Felder auf, die bald zuwucherten, Feuchtgebiete wurden entwässert oder Weiden aufgeforstet. Doch dies allein erkläre noch nicht, warum bestimmte Pflanzenfamilien überproportional oft verloren gingen, obwohl ihre Mitglieder ein breites Spektrum an Biotopen besiedeln, meinen die Wissenschaftler – etwa Korbblütler, Orchideen, Rosen-, Hahnenfuß- und Rötegewächse, Weiden oder Lippenblütler.
Fluch der Verwandtschaftsverhältnisse
Es müsse folglich ein Einflussfaktor verantwortlich sein, der großräumig und über alle Lebensräume hinweg wirkt, so die Forscher, die schnell den Klimawandel im Verdacht hatten: Immerhin erwärmte sich die Region während der letzten 100 Jahre um 2,4 Grad Celsius. Viele Pflanzen passten sich dem rasch an, weshalb sich die Blühzeiten durchschnittlich um rund eine Woche nach vorne verlagerten – allerdings bei Weitem nicht bei allen der 473 untersuchten Spezies und vor allem nicht völlig zufällig in allen Pflanzenfamilien. Vielmehr kristallisierten sich auch hier enge phylogenetische Zusammenhänge heraus.
Gerade bei eng verwandten Pflanzen, die nicht früher, sondern immer noch zur annähernd gleichen Zeit wie bei Thoreau blühten, gingen die Bestände zurück. Hatten sie zudem einen Verbreitungsschwerpunkt in eher nördlichen Gefilden, verschlimmerte sich das Desaster noch – verglichen mit dem Einfluss des Verwandtschaftsgrades spielte das jedoch nur eine zweitrangige Rolle. Familien, die bislang nach Süden tendierten, sehr flexibel auch auf kurzfristige Temperaturschwankungen reagieren können oder generell ihren Lebenszyklus nach vorne terminierten, hielten sich dagegen deutlich besser.
Warum die Arten leiden, die dem Klimawandel nicht folgen können, ist noch nicht abschließend geklärt: Womöglich fehlen ihnen zur Blütezeit die bestäubenden Insekten, die vielfach ihren Rhythmus ebenfalls nach vorne verlagern. Oder aber ihr Auftreten fällt nun in eine Phase, in der mehr Fressfeinde unterwegs sind, die Blüten und Samen schädigen.
Für die Zukunft verheißt das wohl noch größere Umwälzungen für Thoreaus Rückzugsort: Ein weiterer Temperaturanstieg zwischen 1,1 und 6,4 Grad Celsius werden für den Nordosten der USA in den unterschiedlichen Klimamodellen prognostiziert, was nach den neuen Erkenntnissen wohl vor allem bestimmte Pflanzenfamilien treffen wird – und sie "aus dem Netz des Lebens" reißen könnte, wie die Forscher schreiben. Ob Thoreau angesichts dieser Entwicklung sich auch heute noch so ekstatisch über den Einzug des Frühlings freuen könnte wie damals: "Jede Jahreszeit hat ihren eigenen Reiz, die Ankunft des Frühlings ist wie die Geburt des Kosmos aus dem Chaos und der Anbruch des Goldenen Zeitalters"?
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