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Raumfahrt: Beginnt die Aufrüstung im All?

Ende März testete Indien erstmals eine Anti-Satelliten-Waffe und zerstörte mit einer Rakete einen eigenen Satelliten. Was Europa gegen ein Wettrüsten im All tun kann, erklärt ESA-Generaldirektor Johann-Dietrich »Jan« Wörner im Interview.
Weltraummüll

Am 27. März 2019 verkündete Indiens Premierminister Narendra Modi seinen Landsleuten stolz, Indien sei nun zu einer Weltraummacht geworden. Von der Testanlage Abdul Kalam im Osten des Landes sei eine ballistische Rakete aufgestiegen und habe in einer Höhe von 300 Kilometern einen eigenen, aktiven Satelliten abgeschossen. Laut »Breaking Defense« dürfte es sich um den 740 Kilogramm schweren und erst vor zwei Monaten gestarteten mutmaßlichen Militärsatelliten Microsat-R gehandelt haben.

Gemäß Narendra Modi ist Indien jetzt als viertes Land der Erde nach den USA, Russland und China dazu in der Lage, Satelliten im Orbit abzuschießen. Die Entwicklung dieser Anti-Satelliten-Waffe sei ein wichtiger Schritt für Indiens Sicherheit, sein Wachstum und seine technologische Entwicklung, doch keinesfalls wolle sich Indien an einem Wettrüsten im All beteiligen, sagte der Regierungschef.

Karl Urban sprach aus diesem Grund mit dem ESA-Generaldirektor Jan Wörner über den indischen Abschuss und seine möglichen Folgen.

Herr Wörner, was denken Sie über den Abschuss?

Die indische Regierung will wohl damit sagen, sie sei eine Weltmacht, die sich auch im All verteidigen kann. Das ist die offizielle Lesart, so wie ich sie gesehen habe. Ob das nun eine Fähigkeit ist, die sie unbedingt braucht, ist eine andere Frage. Wir als ESA finden das natürlich nicht lustig. Aber es ist nicht das erste Mal: China hat schon eigene Satelliten abgeschossen. Die USA und die Sowjetunion haben das ebenfalls bereits getan.

Wie gravierend sind die Auswirkungen?

Ich will nicht darüber reden, welches Zeichen dies für die Verteidigungsfähigkeit des Landes bedeutet, sondern über die unmittelbaren Folgen. Viele Bruchstücke fallen nicht herunter, wie das bei einem abgeschossenen Flugzeug wäre, sondern sie fliegen weiter um die Erde herum und gefährden damit andere Satelliten. Auch Astronauten können dadurch bedroht werden. Als die Chinesen im Jahr 2007 einen eigenen Satelliten in 860 Kilometer Höhe abschossen, entstand ein gravierendes Problem: Wir können die kleinsten Bruchstücke nicht richtig orten, aber man hat damals von mehreren zehntausend Teilen größer als ein Zentimeter gesprochen. Sie befinden sich weiterhin im All und bilden ein Risiko für andere Satelliten. Das ist kein theoretischer Fall: Vor zwei Jahren traf ein Bruchstück einen unserer Sentinel-Satelliten und zerstörte dabei einen Teil des Solarpaneels. Bei größeren Brocken Weltraumschrott kann man natürlich ausweichen, doch gerade bei den kleineren Brocken geht das nicht.

Bei dem indischen Vorfall haben wir ein Trümmerfeld in einer Höhe von etwa 300 Kilometern, soweit ich informiert bin. Das heißt, dort verbleiben die Bruchstücke weniger lang. Das Risiko für andere Raumgefährte ist daher vergleichsweise gering, weil die meisten der erzeugten Überreste relativ niedrig kreisen. Sie werden bald in der Erdatmosphäre verglühen.

Rechenmodelle Ihres Büros für Weltraumrückstände sagen: Drei Viertel der Trümmerteile des indischen Versuchs verglühten bereits bis zum 1. April, bis zum 1. Mai werden es rund 90 Prozent sein. Was könnte denn unternommen werden, um den erdnahen Weltraum zukünftig sauber zu halten?

Für die ESA ist die Sache einfach: In unserer Konvention steht die ausnahmslos friedvolle Nutzung des Weltraums. Und das schließt für uns militärische Verteidigungsaufgaben aus. Wir beschäftigen uns im Rahmen des Kopernikus-Programms zwar mit Sicherheit, aber als rein zivile Maßnahme. Wir wollen ganz im Gegenteil Weltraumschrott verhindern.

Die Amerikaner haben ihren Satelliten-Abschuss 2008 damit begründet, ihr Satellit funktioniere nicht mehr und er habe den Raketentreibstoff Hydrazin an Bord. Und damit dieser niemanden gefährdet, würden sie ihn besser abschießen. Bei der ESA denken wir aber, dass es bessere Methoden gibt. Wir wollen dort oben auch aufräumen, jedoch nicht in zerstörerischer Absicht. Wir möchten die gefährlichen großen Teile vorsichtig einsammeln und sie gezielt und am Stück herunterbringen. Denn das ist mittlerweile wirklich ein Thema, weil wir so unheimlich viele Raumfahrtrückstände herumfliegen haben. Man rechnet etwa mit 900 000 Teilen, die größer als ein Zentimeter sind. Und dazu kommen 3000 komplette, allerdings nicht mehr funktionsfähige Satelliten sowie eine größere Zahl an Raketenoberstufen. In Zukunft sollten wir möglichst alles tun, damit die Menge nicht noch größer wird.

Johann-Dietrich »Jan« Wörner | ist Bauingenieur, Dozent und ehemaliger Universitätspräsident der TU Darmstadt. Von 2007 bis 2015 war er Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Seit dem 1. Juli 2015 leitet er als Generaldirektor die Europäische Weltraumorganisation ESA. Seine Amtszeit endet am 28. Februar 2021.

Die indische Regierung sagt, ihr Test sei völlig legal gewesen. Müsste man nicht solche Regeln für jedermann einführen – oder zumindest solche gewaltsamen Abschüsse verbieten?

Einige Staaten versuchten, ein internationales Abkommen abzuschließen, laut dem niemand Waffen für den Weltraum entwickeln sollte. Aber dieses trat bis heute leider nicht in Kraft. Dennoch gilt: Nicht alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, muss deshalb gut und richtig sein – wie im privaten Leben auch. Deshalb äußere ich in diesem Zusammenhang schon Zweifel.

Könnte die Staatengemeinschaft wenigstens jetzt, vor dem Hintergrund des neuen Anti-Satelliten-Tests, schärfere Regeln beschließen?

Nüchtern betrachtet, glaube ich nicht daran. Die USA wollen beispielsweise eine Space Force aufbauen, also eine neue Waffengattung neben Air Force oder Navy. Das bedeutet noch nicht, dass nun alle ein Wettrüsten im All erfasst. Meiner Meinung nach wäre dies die falsche Vorgehensweise. Die ESA wird nicht mitmachen. Wir können jedoch nicht verhindern, dass andere mit ihren Werten und Urteilen ihr eigenes Leben gestalten. Dennoch bleibt es richtig, selbst positiv zu bleiben.

Müsste man nicht Staaten in der Raumfahrt sanktionieren, die durch solche Versuche letztlich die Sicherheit aller Satelliten oder gar bemannter Raumfahrzeuge gefährden?

Die ESA hat mit der indischen Raumfahrtbehörde ISRO bisher sehr wenig zu tun, obwohl ich immer versucht habe, die Beziehungen zu intensivieren. Natürlich werde ich mit den Kollegen darüber reden, wie sie sich dazu stellen. Die Frage ist, wie stark Indiens zivile Raumfahrtbehörde vom militärischen Teil der Regierung getrennt ist. Das weiß ich nicht genau.

Allerdings ist mir ein Punkt sehr wichtig: Isolation hat noch nie geholfen. Deshalb arbeiten wir auch mit Ländern zusammen, mit denen wir vielleicht hin und wieder nicht dieselben Werte teilen. Und trotzdem ist es sinnvoll, zu kooperieren. Denn irgendwie müssen wir ja die Krisen auf der Erde durch vernünftige Maßnahmen lösen. Und zivile Raumfahrtprojekte helfen dabei, das sehen wir immer wieder. Hier würde ich ebenso sagen: Es darf keinen Ausschluss geben, wegen dem man nicht mehr auf ziviler Ebene zusammenarbeitet.

Den USA, Russland und China fällt es sicher schwer, Indiens Abschuss zu kritisieren. Sie haben selbst Anti-Satelliten-Waffen getestet und dabei Weltraumschrott produziert. Sollte da nicht gerade die ESA als friedfertige Organisation den Finger heben?

So agieren wir stets. Wir heben immer wieder hervor, dass wir mit Überzeugung unsere Konvention zur ausschließlich friedlichen Nutzung des Weltraums vertreten – ein Wert schlechthin, den die ESA vermittelt. Damit können wir mit jedem Land der Erde zusammenarbeiten, ohne unsere Werte aufzugeben.

Wie geht es nun weiter – wird sich das Wettrüsten weiter zuspitzen? Immerhin hat Indiens Kontrahent Pakistan bekannt gegeben, selbst keine Anti-Satelliten-Waffen anzustreben. Manche Analysten sagen zudem, Indiens Test sei eher eine Machtdemonstration gegenüber China gewesen.

Ich hoffe, dass der indische Abschuss außer einer Machtdemonstration überhaupt keinen sonstigen Wert hat. Was will ich denn damit machen? Will ich damit jetzt jeden Satelliten, der bei mir vorbeikommt, abschießen? Das ist keine Perspektive. Ich hoffe, dass dieser Vorgang nicht zu einem echten Aufrüsten führt.

Anmerkung: Nur einen Tag nach diesem Gespräch am 28. März 2019 endete eine zweiwöchige Konferenz bei den Vereinten Nationen in Genf, die sich mit der zu vermeidenden Aufrüstung im All beschäftigte. Zwei Tage vor Ende dieser Konferenz führte Indien den Abschuss seines Satelliten durch. Wie in diesem Interview vermutet, endete die Konferenz ohne Ergebnis. Der Vorsitzende Guilherme de Aguiar Patriota sagte später auf einer Pressekonferenz, die Staaten seien »nicht sonderlich offen gegenüber den nötigen Schritten« zu einem neuen Weltraumvertrag.

Der Artikel erschien ursprünglich im RiffReporter-Projekt »Weltraumreporter«.

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