Verhaltensforschung: Brüder im Geiste?
In den letzten Jahren haben zahlreiche Verhaltensstudien die Grenze zwischen tierischen und menschlichen Fähigkeiten verwischt. Vor allem Menschenaffen werden komplexe geistige Fähigkeiten und sogar eine Kultur zugeschrieben. Andererseits unterscheiden sich unsere neuronalen Strukturen selbst von den äffischen stark. Gibt es ein Missverhältnis zwischen Geist und Gehirn?

© Paul Fusco (Ausschnitt)
Banane im Kasten | Die nachfolgenden Bilder zeigen einen Versuch, der logisches Denken und Einsicht in die Situation des Gegenübers bei Schimpansen demonstriert. Hier wird vor den Augen der Schimpansin Jessie eine Banane in einer Kiste eingeschlossen.
So erscheinen beim Menschen die Neuronen im Kortex anders strukturiert und komplexer vernetzt. Vor allem fiel den Hirnforschern auf, dass sich die Gehirne von Homo sapiens und den Affen gerade in denjenigen Regionen unterscheiden, die für soziales Lernen und Sprache zuständig sind. Zudem wird ausschließlich der Mensch von einer Vielzahl neurodegenerativer Erkrankungen geplagt wie Autismus, Alzheimer-Demenz und Schizophrenie – ein weiteres Indiz für die Einmaligkeit unserer grauen Zellen.
Ist der Mensch einzigartig?
Auf der anderen Seite hat die tierische Verhaltensforschung in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Bastionen ehemals rein menschlicher Eigenschaften gestürmt – etwa Werkzeuggebrauch, Sprache oder das Hineinversetzen in das Gegenüber – und scheint damit Darwins Ansicht zur Kognition Recht zu geben: "Es gibt keinen grundlegenden Unterschied zwischen Mensch und höherem Säugetier bezüglich der geistigen Fähigkeiten."

© Paul Fusco (Ausschnitt)
Augen zu | Jessie sieht einen Versuchsleiter mit einer Augenbinde und einem Schlüssel um seinen Hals.
Gleich und gleichzeitig ganz anders
Premack findet keinen Widerspruch zwischen Gehirn und Geist. Vielmehr sei in der Literatur Ähnliches zu schnell als Gleiches bezeichnet worden. Es müsse hier fein abgestuft wie behutsam formuliert und dürften neben grundlegenden Gemeinsamkeiten nicht grundlegende Unterschiede vernachlässigt werden, so der Psychologe. Tierisches Verhalten, betont der Wissenschaftler, richtet sich hauptsächlich auf ein bestimmtes Ziel, während sich das menschliche als unvergleichlich komplexer und abstrakter zeigt.

© Paul Fusco (Ausschnitt)
Augen auf | Jessie nimmt dem Versuchsleiter die Augenbinde ab, so dass er zur Kiste gehen und sie aufschließen kann. Die Schimpansin kann sich also in die Situation des Menschen versetzen und Maßnahmen planen, um an die Banane zu gelangen.
Apfel ja, Feuer nein
Auch bei der viel gelobten Fähigkeit von Schimpansen, einfache Kausalzusammenhänge zu erfassen, lohne sich ein genaueres Hinsehen, so Premack: Sehen die Tiere auf einer Tafel zum Beispiel das Bild eines ganzen Apfels und eines Messers, ergänzen sie die Reihe um das Bild eines geschnittenen Apfelstückes. Doch der Forscher betont, dass auch dieses Verhalten auf einfachste Abfolgen beschränkt bleibt. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass ein Tier abstraktere Zusammenhänge wie das Gefrieren von Wasser bei Kälte oder das Entfachen eines Feuers durch einen Funken auch nur annähernd begreift.

© Paul Fusco (Ausschnitt)
Am Ziel | Der Versuchsleiter hat die Box geöffnet und Jessie die Banane gegeben. Schimpansen zeigen erstaunliche kognitive Fähigkeiten, allerdings sind diese weitgehend doch unvergleichbar mit den menschlichen.
Vielleicht lässt sich die Quintessenz von Premack doch mit den Worten Darwins zusammenfassen, nur leicht abgewandelt. Tiere besitzen viele geistige Fähigkeiten in einfacher, teils schablonenhafter Weise, demnach ist der Mensch ein big-brained ape – aber eben auch Mensch.
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