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Glückskurve: Gibt es die schöne Jugend nicht mehr?

Unbeschwerte Kindheit, eine Krise zur Lebensmitte, aber zufrieden im Ruhestand – so sah die Glückskurve jahrzehntelang aus. Nun hat sich daran etwas geändert: Erheblich mehr junge Menschen sind unglücklich.
Junge Frau schaut traurig und nachdenklich vor sich, die Hände vor dem Gesicht gefaltet
Seit einigen Jahren steigt unter jungen Menschen der Anteil derer, die sich permanent nicht gut fühlen. (Symbolbild)

20 Jahre lang dokumentierte der Ökonom David Blanchflower immer wieder, dass Glück und Zufriedenheit in der Lebensmitte einen Durchhänger haben. Hinweise auf eine solche u-förmige Glückskurve fand er bei den Geburtenjahrgängen der 1940er bis 1980er Jahre, in über 145 Ländern – und sogar bei Affen. Doch nun habe sich etwas grundlegend verändert, berichtet Blanchflower gemeinsam mit Kollegen in einem Arbeitspapier des US-National Bureau of Economic Research.

Die Gruppe hat Studien der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) ausgewertet, in denen Erwachsene zwischen 18 und 80 Jahren nach ihrem Befinden gefragt werden. Den meisten ging es jüngsten Daten zufolge sehr gut: Mehr als die Hälfte gaben an, dass sie sich im vergangenen Monat an keinem Tag psychisch schlecht gefühlt hatten. Doch 7 Prozent der Befragten ging es an sämtlichen Tagen nicht gut – damit hat sich diese Rate seit 1993 ungefähr verdoppelt. Mehr noch: Die Zunahme geht vor allem auf junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren zurück, besonders auf junge Frauen. Der Trend zeichnet sich laut CDC-Daten auch unter Jugendlichen ab: Allein von 2011 bis 2021 war der Anteil der Highschool-Schülerinnen, die sich fast jeden Tag traurig oder hoffnungslos fühlten, von 36 auf 57 Prozent gestiegen, und der Anteil der Jungs von 21 auf 29 Prozent.

Die zunehmende psychische Belastung unter jungen Erwachsenen sei weltweit zu beobachten – den Daten des Global Minds Project zufolge bereits in mehr als 30 Ländern. Angaben zur Lebenszufriedenheit, erhoben von 2005 bis 2018 und nochmals 2022, deuten die Autoren außerdem als Hinweis darauf, dass die Zufriedenheit nun mit dem Alter kontinuierlich steigt – während früher das Hoch bei Anfang 30 und das Tief bei Anfang 50 gelegen habe. Doch wie kam es dazu?

Die Trendwende zum Schlechten ereignete sich zwischen 2014 und 2017; erste Anzeichen habe es aber schon im Jahr 2011 gegeben, betont Blanchflower in einem Essay mit Koautor Alex Bryson vom University College London. Die Corona-Pandemie könne deshalb nicht die Ursache sein, sondern lediglich verstärkend beigetragen haben. »Wir suchen nach etwas, das um 2014 herum begann, weltweit, und das überproportional die Jüngeren betraf, vor allem Frauen«, erklärt der Ökonom dem Wissenschaftsmagazin »Scientific American«. »Außer Handys fällt mir dazu nichts ein.« Der zunehmende Gebrauch von Smartphones und sozialen Medien habe das Leben junger Menschen stark verändert.

Im Jahr 2012 besaßen knapp 50 Prozent der Jugendlichen in Deutschland ein Smartphone. 2014 waren es knapp 90 Prozent, 2018 knapp 100 Prozent

Zahlreiche Befunde passen zu dieser Theorie. Beispielsweise zeigte eine britische Studie mit Jugendlichen der Geburtenjahrgänge 2000 und 2001, dass vor allem Mädchen umso mehr psychische Probleme hatten, je mehr Zeit sie online und in den sozialen Medien verbrachten. Wie viel sie am Computer spielten oder fernsahen, spielte eine geringere Rolle. Ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang gilt allerdings noch nicht als bewiesen, wie Blanchflower einräumt.

Ebenso wenig ist bislang Blanchflowers neues Kredo belegt: dass die alte Glückskurve ausgedient habe. Denn niemand kann wissen, wie sich die jungen Erwachsenen von heute entwickeln werden. Nur weil sie einen signifikant schlechteren Start haben, heißt das nicht, dass ihnen die Krise mit 50 erspart bleibt. Die u-förmige Glückskurve war allerdings seit jeher umstritten, da sie vor allem auf Querschnittsdaten beruhte, also Momentaufnahmen verschiedener Altersgruppen. Manche Studien fanden keine oder nur geringfügige Veränderungen über die Lebensspanne. Langzeitdaten aus dem Sozio-oekonomischen Panel in Deutschland lassen eher auf einen wellenförmigen Verlauf der Zufriedenheit schließen: ein Absinken zwischen 9 und 16 Jahren, kaum Veränderung zwischen 20 und 50, dann ein Anstieg von Mitte 50 bis 70 und schließlich ein Abfall wenige Jahre vor dem Tod. Außerdem hängt die Kurve davon ab, wonach gefragt wird: nach der Zufriedenheit mit dem Leben oder nach positiven oder negativen Gefühlszuständen: Beide Extreme nehmen im Lebensverlauf ab, die Zufriedenheit zu.

Ob u-förmig oder nicht: Bei der Kurve handelt es sich um Durchschnittswerte. Über den Einzelfall verrät dieser mittlere Verlauf wenig. Bei einigen bleibt alles gleich, bei manchen geht es bergauf, bei manchen bergab. Viele kehren zwar auch nach einschneidenden Ereignissen mit der Zeit wieder auf ihr altes Niveau zurück. Doch bei jedem Vierten sinkt oder steigt die Zufriedenheit langfristig deutlich. Sie ist damit veränderlicher als andere Eigenschaften wie Persönlichkeitsmerkmale, Körpergewicht oder Blutdruck.

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